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Mit dem Emirat dick im Geschäft
Nachsicht mit Katar, seiner Herrscherfamilie und ihrer Politik hat in Frankreich eine lange Tradition
Weder in Paris noch in einer anderen Großstadt Frankreichs gibt es Übertragungen per Großleinwand von der gegenwärtigen Fußball-WM in Katar. Diese Entscheidung der Kommunalpolitiker wird von der Mehrheit der Franzosen – und nicht zuletzt der Fußballfans unter ihnen – begrüßt. Viele von ihnen wollen die Spiele auch nicht auf dem eigenen Fernseher verfolgen. Das ist eine Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen im WM-Gastgeberland, den skrupellosen Umgang mit ausländischen Arbeitern, von denen mehrere Tausend beim Bau der WM-Sportstätten ums Leben kamen, und auf Berichte über die Umweltbelastung durch die Klimatisierung der Stadien.
Das durch Öl- und Erdgasvorkommen zu unermesslichem Reichtum gelangte Golfscheichtum – kaum größer als die französische Mittelmeerinsel Korsika – wurde dadurch jedem Franzosen zu einem keinesfalls positiven Begriff. Doch als Präsident Emmanuel Macron dieser Tage von Journalisten dazu befragt wurde, sprach er sich gegen jeglichen Boykott aus und lehnte in diesem Zusammenhang die »Politisierung des Sports« entschieden ab. Den Hinweis auf die Ausbeutung ausländischer Arbeiter wischte er mit dem Hinweis auf die »großen Fortschritte bei der Reformierung des Arbeitsrechts« in dem Golfstaat beiseite, wobei er wörtlich eine Propaganda-Floskel aus Doha übernahm.
Diese Reaktion wird niemanden überraschen, der die Entwicklung der Beziehungen zwischen Frankreich und Katar verfolgt hat. Was mit diesen Worten zum Ausdruck kommt, erklärt sich nicht nur aus den aktuellen Bemühungen um die Versorgung mit Gas vom Golf statt aus Russland.
Seit der Unabhängigkeitserklärung von 1971 nutzten die Herrscher Katars die Beziehungen zu Frankreich, das seinerzeit eine betont pro-arabische Politik verfolgte, um den Einfluss Großbritanniens und der USA am Golf in Grenzen zu halten. Die Grundlagen für die Achse Paris-Doha wurden 1974 durch ein bilaterales Kooperations- und Handelsabkommen gelegt, das dem französischen Ölkonzern Total eine Vorrangstellung bei der Ausbeutung der Bodenschätze sicherte und der französischen Rüstungsindustrie einen ihrer wichtigsten Märkte.
So spielte die französische Industrie eine Schlüsselrolle bei der Erschließung des North Field, des unter dem Golf gelegenen größten Erdgasvorkommens der Welt. Fast alle Flugzeuge der Qatar Airways stammen vom Airbus-Konzern, der auch Militärhubschrauber vom Typ Gazelle und Puma geliefert hat, während Jets vom Typ Mirage und Rafale vom französischen Dassault-Konzern kamen. Heute ist die Armee von Katar zu 80 Prozent mit französischer Technik ausgestattet.
Eine neue Stufe erreichten die bilateralen Beziehungen 2003, als Präsident Jacques Chirac eine Beteiligung Frankreichs am zweiten Golfkrieg gegen den Irak ablehnte, und ihre Blütezeit erlebten sie während der Amtszeit von Präsident Nicolas Sarkozy 2007 bis 2012. Weil aus Doha mehrere Millionen Euro als Wahlkampfhilfe geflossen sein sollen, ermittelt die französische Justiz immer noch gegen Sarkozy. Jedenfalls war der Emir von Katar im Mai 2007 der erste ausländische Staatsmann, den der neue Präsident im Elysée empfing. Nach dem Essen hinterließ der Gast eine Bestellung von 80 Airbus-Maschinen im Gesamtwert von 16 Milliarden Dollar. Als sich Sarkozy erfolgreich darum bemühte, mittels Verhandlungen mit dem libyschen Diktator Gaddafi die bulgarischen Krankenschwestern auszulösen, die dieser acht Jahre lang unter absurden Beschuldigungen in Haft hielt, regelte der Emir den finanziellen Teil des Deals mit dem Libyer.
Indem Sarkozy mit einer Änderung im Handelsabkommen katarische Investitionen in Frankreich von den Steuern auf Aktien-Dividenden und auf Immobilien-Wertzuwachs freistellte, löste er eine Welle von Beteiligungen an französischen Konzernen aus. Als der tief verschuldete Fußballklub Paris Saint-Germain zum Verkauf stand, konnte Sarkozy den Emir von Katar überreden, PSG zu übernehmen. Zum Dank, so haben Journalisten kürzlich bekannt gemacht, lud Sarkozy für den 23. November 2010 zu einem Essen im Elysée ein. Daran nahm neben dem Kronprinzen von Katar auch Michel Platini teil, der damalige Präsident des europäischen Fußballverbands UEFA. Hier soll vereinbart worden sein, wie Platini seinen Einfluss auf Ratsmitglieder der UEFA und des Weltverbandes FIFA sowie seine eigene Stimme nutzen sollte, um bei der eine Woche später stattfindenden Abstimmung über die Vergabe der Fußball-WM 2022 dem Außenseiterkandidaten Katar den Sieg zuzuschanzen.
Unter Sarkozys Amtsnachfolgern François Hollande und Emmanuel Macron sind die politischen Beziehungen etwas abgekühlt, nicht zuletzt, weil es immer wieder Informationen gibt, dass Geld aus Katar auf Umwegen zu islamistischen Eiferern und Terroristen gelangt. Die pulsierenden Wirtschaftsbeziehungen beeinträchtigt das nicht.
Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar
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