Menschengemachte Katastrophe

Verheerender Erdrutsch von Ischia rückt erneut Sünden der italienischen Politik ins Zentrum

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Sonntagmorgen hat das römische Kabinett Giorgia Melonis in einer Dringlichkeitssitzung den Notstand über die kampanische Insel Ischia verhängt. Nach starken Regenfällen hatte sich zuvor ein Teil der Hänge im Norden der Insel über den Orten Casamicciola Terme und Lacco Ameno gelöst, Schlammlawinen ergossen sich über die Ortschaften. Viele Häuser wurden mitgerissen, Autos und Busse von den Wasser- und Schlammmassen einfach ins Meer gespült. Die dringende Sitzung der Regierung und das Verhängen des Notstandes waren erforderlich, um Gelder für Rettungsmaßnahmen in Höhe von zwei Millionen Euro freizugeben. Auch der Gouverneur von Kampanien, Vincenzo De Luca, hat seinerseits den Ausnahmezustand über die Insel verhängt.

Am Samstag war eine 31-jährige Frau tot aus dem Schlamm geborgen worden, ihr ebenfalls mitgerissener Ehemann wird noch vermisst. In den frühen Sonntagsstunden wurde die Leiche eines fünfjährigen Mädchens gefunden. Bis zum Montagmittag erhöhte sich die Zahl der Todesopfer auf acht, vier weitere Menschen werden noch vermisst. Die Zahl der Obdachlosen stieg inzwischen auf 167, ohne Aussicht auf Rückkehr in ihre Häuser. Nachdem wegen schlechten Wetters am Samstag ein Übersetzen von Rettungskräften vom Festland auf die Insel nahezu unmöglich gewesen war, konnten in der Nacht zum Sonntag Feuerwehren und Zivilschutz mit Spezialgeräten anlanden. Erste Aufräumarbeiten in dem beliebten Thermalort Casamicciola haben begonnen, doch überall herrscht noch ein Bild der Verwüstung vor.

Dass es immer wieder zu verheerenden Folgen solcher Naturkatastrophen in Italien kommt, ist zumeist vom Menschen selbst verursacht. Bereits nach dem Erdbeben 2017 in Casamicciola hatten Umweltschützer und Verantwortliche des Zivilschutzes gemahnt, dass es deutlich zu viele nicht genehmigte und vor allem in ihrer Substanz nicht überprüfte Bauten auf der Insel gebe. Bauland wurde bis in kritische Zonen erschlossen, Häuser wurden unter Missachtung jeglicher baurechtlicher Vorschriften zu Erdbeben- und Flutschutz errichtet. Die Kritiker schätzen, dass etwa 50 Prozent der Bausubstanz auf Ischia illegal und rechtswidrig ist. »Alle diese Häuser müssten abgerissen werden«, forderte der nationale Präsident der Umweltbehörde Legambiente, Stefano Ciafani. Die jetzige Schlammlawine sei schon das dritte verheerende Naturereignis, das die Insel innerhalb der vergangenen 15 Jahre heimgesucht habe.

Wie hier auf Ischia zeigt sich immer wieder dasselbe Bild: 2004 und 2010 hatten Flutkatastrophen in Genua Todesopfer gefordert und Schäden in Millionenhöhe verursacht. Grund waren damals begradigte und zubetonierte Bäche und Abflüsse aus den Bergen gewesen, die sich bei Starkregen in reißende Ströme verwandelt hatten. Ähnliches spielte sich im vergangenen September an der Ostküste Italiens ab, als die Fluten Ortschaften in der Provinz Ancona mit sich rissen und zehn Menschen ums Leben kamen.

Wie immer in solchen Fällen formulieren Politiker Appelle, nun endlich etwas Vorsorgliches für den Umwelt- und Katastrophenschutz zu unternehmen. Der sozialdemokratische Gouverneur Kampaniens, Vincenzo De Luca, erklärte, es gebe 24 europäische Staaten, die längst auf die Extremwetterfolgen des Klimawandels reagiert und entsprechende Notfallpläne erarbeitet hätten. Leider befinde sich Italien nicht in dieser Gemeinschaft. Seit drei Regierungszeiten – angefangen beim Kabinett Paolo Gentlilonis – sei man sich der Gefahren bewusst. Dennoch würden daraus keine Konsequenzen gezogen.

Auf Ischia war man noch immer mit der Begutachtung und Beseitigung der Schäden des Erdbebens von 2017 beschäftigt. Damals waren im Gebiet um Casamicciola zwei Frauen ums Leben gekommen, 2600 Menschen hatten ihr Obdach verloren, mehr als 1000 Touristen hatte man aufs Festland evakuieren müssen.

Doch es ist hier dasselbe wie in den Erdbebengebieten Zentralitaliens: Hilfsgelder kommen zu langsam bei den Menschen an oder versickern auf dem Weg dorthin in dunklen Kanälen. Die Betroffenen müssen derweil in Notunterkünften ausharren und darauf hoffen, dass Rom den Umweltschutz wirklich einmal zur Priorität erhebt.

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