Video belastet Neuköllner Nazi

Aufnahmen von einer Grafitti-Aktion mit Morddrohung zeigen vermutlich Sebastian T.

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Mann steht in einem Hauseingang und begutachtet das Klingelschild. Dann versucht er, die Haustür aufzubrechen, scheitert, ein zweiter Mann kommt hinzu. Weitere Aufnahmen zeigen nur den Schatten des zweiten Mannes: Die Bewegungen seines Armes lassen vermuten, dass er ein Grafitti an die Hauswand außerhalb des Bildausschnittes schreibt. Danach tritt er wieder in den Hauseingang, man sieht, wie er Klingelschild und Wand mit Farbe besprüht.

In dem Video sind die Botschaften nicht zu lesen, die der Betroffene L. später zur Anzeige bringen wird: »Antifa Hurensohn«, sein Name und ein Kelten- beziehungsweise Fadenkreuz prangen nach der Nacht vom 15. auf den 16. März 2019 in roter Farbe an der Wand. Im Prozess gegen die Neuköllner Neonazis Tilo P. und Sebastian T. zeigt die Staatsanwaltschaft am Montag die Aufnahmen als Beweismittel. Der sprühende Mann soll der Nazi Oliver W. gewesen sein, bei dem ersten Mann, der während der Tat mutmaßlich Wache steht, soll es sich um den Angeklagten T. handeln.

Körperhaltung, Kleidung, Brille, Gestik, das alles spricht in den Augen des Polizeibeamten W. »zweifelsfrei« für T. Sein Kollege Z., ebenfalls als Zeuge vorgeladen, stimmt zu. Beide gehen davon aus, dass T. nicht nur an dem Droh-Grafitti gegen L. beteiligt war, sondern an drei weiteren »Schmierereien«, die in derselben Nacht entstanden, und zwar in unmittelbarer Nähe, ebenfalls in Rot und mit »ähnlichem Sprachduktus«, wie Z. erklärt. »Wir denken, dass die Taten zusammengehören.«

Tim H. war Adressat einer der drei weiteren Drohungen; unter anderem schreiben die mutmaßlichen Täter »9 mm« und »Kopfschuss« neben seinen Namen. »Ich gehe davon aus, dass das Nazis waren«, erklärt er vor Gericht. Er sei immer politisch aktiv gewesen und habe seit 2011 für die Linke gearbeitet.

Nicht nur der Inhalt selbst, auch die Entstehung des Videos ist von öffentlichem Interesse. Es stammt aus einer »gefahrenabwehrenden Überwachungsmaßnahme«, allerdings nicht gegen T. oder andere Nazis, sondern gegen den Betroffenen L., den die Polizei als »linksextremen Gefährder« überwacht. Ein Zufallsprodukt also, das aus Ermittlungen in die politisch entgegengesetzte Richtung stammt. Die zur Aufklärung der Neuköllner Terrorserie eingesetzte Ermittlungsgruppe BAO Fokus hatte dieses Video wohl bereits wenige Monate später vorliegen, trotzdem dient es erst jetzt der Aufklärung.

Auch Franziska Nedelmann, Anwältin des Nebenklägers Ferat Koçak, sieht das Video zum ersten Mal. Ein wichtiges Beweismittel? »Das einzige!«, so Nedelmann zu »nd«. Es überrasche sie deshalb, wie wenig die Staatsanwaltschaft von den zwei Zeugen der Polizei wissen will. Die Frage etwa, warum T. »zweifelsfrei« zu erkennen sei, hätte sich die Staatsanwaltschaft nicht ausreichend beantworten lassen. Auch Zuschauer*innen haben den Eindruck, die Staatsanwaltschaft gehe den Indizien für die eigene Anklage nur halbherzig nach.

Die Richterin hat unterdessen vor, den Prozess zu teilen. Die Idee, Tilo P.s Verfahren abzutrennen, soll bereits nächste Woche Realität werden. Dann würde womöglich bereits ein erstes Urteil zum Anklagepunkt der Brandstiftung fallen, allerdings nur in Bezug auf P. Gegen T. würde der Vorwurf mit den übrigen Anklagepunkten, etwa die Droh-Grafitti, weiterverhandelt. »So wird das restliche Verfahren zu einer Farce«, sagt Nedelmann, die dann zwei Abschlussplädoyers zu derselben Sache halten müsste. Auch befürchtet sie, dass ein zersplittertes Urteil weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen könnte. »Das Problem ist einfach, dass die Staatsanwaltschaft keine Strukturenklage gemacht, sondern sich nur Einzelne herausgepickt hat.«

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