- Politik
- Friedensprozess in Kolumbien
Mit 80 Dollar in die Welt der Mode
Eine Gruppe früherer kolumbianischer Farc-Guerilleros näht heute T-Shirts, Kimonos und mehr
Für Ángela Herrera ist es ein Glücksumstand, dass die Tochter des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro Kleidung ihres Labels trägt. Das ist die beste Werbung für das Projekt. »Zum ersten Mal habe ich Sofía Petro im März am Abend der Parlamentswahlen mit unserem Antifa-T-Shirt gesehen«, sagt die 27-Jährige mit strahlendem Lächeln. Das Shirt ist in dem kleinen Laden im Haus des Friedens in der 13. Straße der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá seitdem ein Verkaufsschlager.
»Siempre Fashion, nunca facha« (Immer Mode, nie Faschistin) steht darauf. Mit Parolen, darunter ein Bekenntnis zum Frieden in Kolumbien, ist das von Herrera mitbegründete Modelabel »Manifiesta« (Manifest) in Bogotás politisch aktiver Szene bekannt geworden. Die hat im »Haus des Friedens«, einem Veranstaltungszentrum im Zentrum der Stadt in direkter Nähe der großen Universitäten, einen wichtigen Anlaufpunkt. Zugleich gibt es dort vieles, was landesweit von Dutzenden Projekten ehemaliger Guerilla-Kämpfer*innen produziert wird. Zum Beispiel Bier der Marke La Trocha, Rucksäcke von La Montaña oder eben die Shirts von Manifiesta.
Der Verkaufsraum befindet sich im ersten Stock des Zentrums, »Manifiesta« steht dort in dicken Lettern auf der Wand, links daneben sind Fotos von ehemaligen Farc-Kämpfer*innen beim Zuschneiden von Stoffen, an der Nähmaschine und beim Zusammenlegen der fertigen Stücke zu sehen.
»22 Familien sind es derzeit, die in Icononzo produzieren, was wir hier verkaufen. Wir, Sara Arias und ich, waren 2017 als Freiwillige der Nationalen Universität dort, wollten uns für den Friedensprozess engagieren«, sagt Ángela Herrera. Damals studierte sie Politikwissenschaft, hatte 2016 die letzten Schritte bis zur Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Farc-Guerilla und der Regierung begeistert verfolgt, wollte sich engagieren und hat sich gemeinsam mit Freundin Sara Arias beworben: für ein Volontariat in einer der Demobilisierungszonen, wo die Guerilleras und Guerilleros der Farc ihre Waffen abgaben und den Weg zurück in die Zivilgesellschaft beschreiten sollen.
In Icononzo traf das pragmatische Duo eine Gruppe von Ex-Guerilleros, die den Kampfanzug mit der Nähmaschine tauschen wollten. »Das passte. Wir in Bogotá sind seitdem für Verkauf und Vertrieb verantwortlich, kümmern uns um Anträge bei staatlichen Behörden, Stoffe und Materialien, Gonzalo und die anderen um die Produktion«, schildert Herrera das Geschäftsmodell auf Augenhöhe. Beide Seiten werden je die Hälfte der Gewinne erhalten, wenn welche anfallen. Von schwarzen Zahlen ist »Manifiesta« aber noch weit entfernt. Ein Grund dafür ist die Pandemie, ein anderer die miese Infrastruktur rund um Icononzo und der fehlende Wille der Regierung des im August aus dem Amt geschiedenen rechten Präsidenten Iván Duque, meint Juan Perreira alias Gonzalo Beltrán. Die Regierung von Duque habe das Friedensabkommen der Vorgängerregierung von Anfang an sabotiert und unter anderem die zugesagten Integrationshilfen für demobilisierte Guerilleros nicht eingehalten.
Der ehemalige Guerillero Beltrán ist der Geschäftsführer der Kooperative, die in einer der länglichen, bunt bemalten Baracken in der Reintegrationszone von Icononzo, rund 130 Kilometer südlich von Bogotá, untergebracht ist. Auf einem hügeligen, abgelegenen Areal, rund 20 Kilometer von der Kleinstadt entfernt, stehen sie und sind nur über eine Schotterpiste zu erreichen. Die kann Gonzalo Beltrán auf seinem Motorrad mittlerweile quasi im Schlaf fahren, denn er ist der einzige motorisierte Genosse und folglich regelmäßig in der Kleinstadt, um Ware für die Kooperative und hin und wieder einen Besucher abzuholen.
In der Reintegrationszone von Icononzo wurden 320 ehemalige Farc-Guerilleros und Guerilleras demobilisiert und versuchen seit 2017 einen Neustart in ein ziviles Leben. Wandbilder und Parolen wie »Das Leben ist das Weben von Träumen« zeugen vom Optimismus, der anfangs hier herrschte. Längst ist die Stimmung gedämpft, denn die Kooperative kommt schlicht nicht so schnell voran, wie es theoretisch möglich wäre. »Uns fehlt die Unterstützung, zu der sich Kolumbiens Regierung eigentlich verpflichtet hat. Wir brauchen Fortbildung, tun uns schwer, eine eigene Kollektion auf die Beine zu stellen und benötigen Expertise«, schildert Geschäftsführer Beltrán das Problem und weist den Weg in die Nähstube. Ein gutes Dutzend Nähmaschinen stehen dort in zwei Reihen, dahinter der große Tisch für die Zuschnitte. An der Wand baumeln die Schnittmuster, gegenüber steht eine Vitrine mit Garnrollen, dahinter das Lager für die Stoffe. Im hinteren Teil der Baracke stehen zwei Schaufensterpuppen zwischen den Schreibtischen von Gonzalo Beltrán und Designerin Gladys Zapata. Letztere hat »Manifiesta« auf eigene Rechnung zunächst für ein paar Wochen angestellt, um den Genoss*innen etwas über Schnitte, Entwürfe und Design beizubringen. »Die staatliche Agentur für die Reintegration hat auf unsere Anträge einfach über Jahre nicht reagiert. Was bleibt uns übrig? Wir brauchen eine neue Kollektion, um unsere ersten kleinen Erfolge auch zu bestätigen«, erklärt Geschäftsführer Beltrán.
Beltrán, ein hagerer Mann mit Schnurrbart, ist regelmäßig in Bogotá, um auf das Projekt aufmerksam zu machen. Besonders erfolgreich sind Modeschauen. Auf mehr als einem halben Dutzend war »Manifiesta« bisher zu sehen und jede sorgte für Schlagzeilen: erst an der renommierten Anden Universität, dann im Parlament und zuletzt die PAZarela auf der Plaza Bolívar, dem zentralen Platz von Bogotá. Da waren mehrere Modemarken, aber auch die Kollegen von Confecciones La Montaña präsent, die Rucksäcke, Taschen und Gepäckstücke für den Alltagsgebrauch produzieren. »Alles stand unter dem Motto des Friedens, PAZarela deshalb«, so der 47-Jährige, der rund 20 Jahre mit der Waffe bei der Farc-Guerilla für ein anderes Kolumbien gekämpft hatte. Nun organisiert und koordiniert er, steht manchmal mit der Schere am Tisch für die Zuschnitte und äußerst selten auch mal an der Nähmaschine. Da sitzen die 19-jährige María Sánchez, Tochter eines Guerilleros, Designerin Gladys Zapata und zwei weitere Frauen und sprechen Schnittmuster und Stiche durch, während Luis Enrique Benavides zuschneidet und Luiz Ramírez Maß nimmt und Stoff für den Zuschnitt markiert. Teamwork.
Zwischen 6000 und 7000 Kleidungsstücke sind unter dem Label »Manifiesta« im vergangenen Jahr verkauft worden. Ein Achtungserfolg. Allerdings stammen nicht alle aus Icononzo, sondern ein paar Hundert auch aus der Werkstatt von Nicolás Galvis in Soacha. Der 36-Jährige leitet den Familienbetrieb in der südlich von Bogotá gelegenen Stadt und ist Teil von »Manifiesta«. Jacken, Blousons und Jacketts des Jungdesigners hängen nicht nur im Shop in der »Casa de la Paz«, sondern werden auch auf den Modenschauen präsentiert. »Wir als Kollektiv ehemaliger Guerilleros wollten nicht nur einen persönlichen Neustart, sondern auch etwas gut machen, uns mit ehemaligen Gegnern und Opfern versöhnen. Nicolás ist dafür ein Beispiel«, so der Geschäftsführer Beltrán.
Die Kontakte zwischen den ehemaligen Konfliktgegnern hat Ángela Herrera über eine Stiftung geknüpft, die Angehörige von Opfern der Militärs im mehr als 50 Jahre währenden bewaffneten internen Konflikt vertritt. David Sebastián Galvis gehört zu den Opfern. Als junger Soldat geriet er mit seiner Einheit in einen Hinterhalt der Farc – zwölf Soldaten starben. Darunter der 23-Jährige, der kaum seine Grundausbildung absolviert hatte, als er nach Arauca geschickt wurde, eine der damals wie heute umkämpften Regionen des Landes. Unverantwortlich für seinen älteren Bruder Nicolás. Er ist nicht gut auf die Militärs zu sprechen. »Wir wurden damals mit unserem Schmerz, unserer Ohnmacht allein gelassen. Heute hilft es uns, mir und meiner Mutter, die andere Seite der Medaille, die vermeintlichen Täter kennenzulernen und deren Geschichten zu hören«, erklärt der drahtige Mann am Frühstückstisch in der »Casa de la Paz«. Regelmäßig schaut er am Wochenende im Zentrum vorbei, weil er an einer nahegelegenen Universität Kurse in Design belegt und die Pausen nutzt, um im Shop von »Manifiesta« vorbeizuschauen. In der »Casa de la Paz« treten Student*innen der umliegenden Universitäten für den Wandel in einem polarisierten Land ein. Veranstaltungen, Diskussionen, Filme und Lesungen sorgen neben dem Verkauf der Produkte aus den Reintegrationszentren für ein Kommen und Gehen. Das schlägt sich positiv bei »Manifiesta« nieder.
Nicolás Galvis und Ángela Herrera hoffen mit der neuen linken Regierung von Gustavo Petro und Francia Márquez auf einen weiteren Schub. »Gerade weil er anders auftritt, den Gegnern die Hand reicht und einen echten Wandel inklusive sozialer Programme anstrebt«, meint Galvis mit ruhiger Stimme. Für ihn ist das der einzige Weg aus der Polarisierung des Landes, und er ist froh über den Anruf, den er vor ein paar Jahren von Ángela Herrera erhielt. Sie erzählte ihm von den Ex-Guerilleros und ihrem Wunsch nach Versöhnung. Daraufhin fuhr er letztlich nach Icononzo. »Das war ein ehrlicher Austausch. Wir haben uns unsere Geschichte erzählt. Das ist hart, aber es hilft, und heute sind wir Partner. Wir treten für etwas ein, was es so in Kolumbien kaum ein zweites Mal gibt: eine Modemarke, die für Versöhnung und Frieden steht.«
Ungewöhnlich dabei ist zudem, dass das kleine, aufstrebende Label ganz ohne externe Unterstützung begann. 150 000 Peso (2017 rund 40 US-Dollar, aktuell rund 30 Euro) legten Ángela Herrera und ihre Freundin Sara Arias auf den Tisch, die gleiche Summe Gonzalo und seine Gruppe. Dafür wurde Stoff gekauft und auf drei von einer Gewerkschaft gespendeten Nähmaschinen in Icononzo zu Kimonos verarbeitet. »Das war der Startschuss von Manifiesta und trotz Pandemie haben wir überlebt«, freut sich Ángela Herrera wenig später im kleinen Laden im 1. Stock in Bogotá, wo mehrere Kund*innen in Augenschein nehmen, was die Genossen aus Icononzo und Soacha zu bieten haben. Das ist von Monat zu Monat mehr. Beleg dafür ist die Hände ringende Suche nach Optionen, wie die neue Ladung Stoffe in das nur rund 150 Kilometer entfernte Reintegrationszentrum kommt. Das ist nach wie vor kostspielig angesichts der schlechten Infrastruktur und steigender Preise auch im Transportwesen. Dabei setzt »Manifiesta« bereits auf die Verwertung der Stoffe, die in Kolumbiens Textilindustrie nicht mehr verarbeitet werden. »Weil sie für die großen Maschinen zu klein sind, aussortiert und billig verscherbelt werden. Eine Freundin hat die Kontakte«, erklärt Herrera mit einem Lächeln. Für sie eine positive, nachhaltige Komponente, die super zu »Manifiesta« passt.
Das kleine Modelabel mit dem Shop im kritisch-alternativen »Haus des Friedens« in Kolumbiens Hauptstadt will ein tragbares politisches Statement sein und obendrein, so nachhaltig produzieren wie irgend möglich, so die Aktivistin. »Manifiesta« ist mit und bei diesem Anspruch schon weit gekommen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.