Strafen als Ersatzhandlung

In der Kriminalisierungskampagne gegen Klimaaktivisten werden rechtsstaatliche Prinzipien missachtet

  • Volkmar Schöneburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Reaktionen der herrschenden Parteien und ihrer Protagonisten auf spektakuläre Aktionen der Klimaaktivisten in den letzten Wochen sind so vorhersehbar wie selbstherrlich. Der Chef der CDU-Bundestagsfraktion, Friedrich Merz, diffamiert die Organisation »Letzte Generation«, die mit einem Kartoffelbrei-Attentat auf ein Gemälde und der Blockade von Straßen sowie eines Rollfelds des Flughafens BER in Erscheinung trat, kurzerhand als »Weltuntergangssekte der Klima-Idioten«. Die Aktivisten seien keine Aktivisten, sondern kriminelle Straftäter, denen gegenüber keine Toleranz geübt werden dürfe. Er wisse zwar, dass die meisten im Gefängnis nicht besser würden. »Aber die Zeit, in der sie da sitzen, ist draußen Ruhe.«

Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Brandenburger Landtag, Jan Redmann, sieht, ganz auf der Linie seines Parteichefs, die »Letzte Generation« auf dem Weg zu einer kriminellen Vereinigung. In das gleiche Horn stößt Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), für den, wer rechtswidrig handelt, ein Straftäter, aber kein Demonstrant ist. Auch die Brandenburger Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Alexandra Pichl, geht auf Distanz zu den Kritikern der staatlichen Umweltpolitik und deren Formen des zivilen Ungehorsams.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) wie auch der unvermeidliche Alexander Dobrindt (CSU) fordern eine harte Bestrafung durch den Rechtsstaat. Berlins Senatorin für Inneres (SPD) spricht sich für eine Ausweitung der Präventivhaft, also einer Inhaftierung ohne Anklage, Gerichtsverhandlung und Urteil, für Berlin aus. Ähnliches strebt Stübgen für Brandenburg an. Sein Vorbild ist das bayerische Polizeiaufgabengesetz, nach dem eine zweimonatige Präventivhaft möglich ist. Gleichzeitig begibt sich Stübgen gemeinsam mit Susanne Hoffmann (CDU), der Brandenburger Justizministerin, auf die Suche nach Lücken im Strafgesetzbuch. Denn das Strafrecht, so die beiden Verfassungsminister, stelle die Schwere solcher Taten nicht hinreichend dar. Die Bundestagsfraktion der CDU bringt sogar ein Gesetz zur Verschärfung des Strafrechts in das Parlament ein, das jedoch keine Mehrheit findet.

Diese hektische Betriebsamkeit der Politik bedarf einiger kritischer Anmerkungen.

Erstens: Mit dem Ruf nach mehr Strafen und Repression sowie mit der Stigmatisierung der Mitglieder des Umweltbündnisses als »gewöhnliche Kriminelle« geht ein bewusster Ausblendungsmechanismus einher. Den Taten werden ihre Entstehungsgeschichten genommen. Was Politiker wie Merz, Stübgen und Wissing betreiben, ist eine Enthistorisierung, Entpolitisierung und Entsozialisierung der sich in den Taten manifestierenden Konflikte. Damit gelingt es ihnen gleichzeitig, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Es wird (populistische) Handlungsfähigkeit in der Kriminalpolitik demonstriert – und die Handlungsunfähigkeit in der Klimapolitik verdeckt.

Zweitens: Der Ruf der Politik nach dem Rechtsstaat hat mit diesem nicht viel zu tun. Ganz im Gegenteil. Der zentrale Gedanke, der den Rechtsstaatsprinzipien zugrunde liegt, ist die Limitierung der Staatsgewalt im Interesse der Bürger. Das klassische historische Konzept des rechtsstaatlichen Strafrechts, wie etwa von Wilhelm von Humboldt in seinen »Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen« vertreten, sieht den Menschen und seine Freiheit im Mittelpunkt. Der Staat hingegen wird als ständige Gefährdung dieser Freiheit angesehen. Daher sind das Gesetzlichkeitsprinzip, die Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung Prinzipien des Rechtsstaates. Die Forderung nach Ausdehnung der Präventivhaft, also ein Guantanamo light, oder die Verhängung langer Haftstrafen, damit »draußen Ruhe« ist, haben wie das Schließen vermeintlicher Strafrechtslücken mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Das Agieren dieser Politiker ordnet sich jedoch in einen generellen Trend in der Sicherheitspolitik ein, der in einem Übergang von einer »post-crime logic« zu einer »pre-crime logic« besteht. Die möglichen Straftaten in der Zukunft interessieren mehr als die tatsächlich begangenen. Das führt nicht etwa zu vermehrten Anstrengungen in der Sozialpolitik, sondern zu Veränderungen im Polizei- und Strafrecht. Auf der Strecke bleibt dabei die Rechtssicherheit der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere die vor dem Staat.

Drittens: Unzweifelhaft sind die von den Mitgliedern der »Letzten Generation« angewandten Protestformen teilweise jenseits der Legalität angesiedelt und verletzen auch Strafrechtsnormen. Das nehmen die Protestierenden bewusst in Kauf. Darüber brauchen sie nicht durch abgehobene Politiker belehrt zu werden. Sie entziehen sich auch nicht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Vielmehr garantieren sie ihre Festnahmen durch Festkleben. Hier wird auch die Absurdität einer Gleichsetzung mit der RAF oder einer kriminellen Vereinigung sichtbar: In beiden Fällen versuchen bzw. versuchten die Täter, sich einer Verhaftung zu entziehen.

Die Aktionen der Klimaaktivisten stehen hingegen in der Tradition der ebenfalls kriminalisierten Sitzblockaden gegen den Bau eines atomaren Entsorgungszentrums (Gorleben), gegen den Bau eines Atomkraftwerks (Brokdorf) oder die Stationierung von Pershing-II-Raketen (Mutlangen) in den 80er Jahren. Diese Formen des zivilen Ungehorsams bzw. zivilen Widerstands gehören übrigens zur Gründungs-DNA der Grünen. Insofern ist es schon enttäuschend, wie wenig die Grünen der öffentlichen, ja schon kampagnenhaften Diffamierung der »Letzten Generation« entgegensetzen. Nicht nur Dostojewski (»Aufzeichnungen aus einem Totenhaus«) sah in der Kriminalität zum Teil auch eine Rebellion gegen die bestehenden gesellschaftlichen Sozial- und Machtverhältnisse.

Die gewaltlosen Normverstöße der Aktivisten sind eine Rebellion gegen eine inkonsequente, den Kapitalverwertungsinteressen sich unterordnende Klimapolitik. Eine Politik, die nicht einmal in der Lage ist, gegen die Profitinteressen der Autoindustrie den Kohlendioxidausstoß durch die Einführung eines Tempolimits zu mindern. Dabei wird es angesichts der epochalen ökonomisch-ökologischen Zangenkrise, die das Überleben menschlicher Zivilisation berührt, auf konsequente Staatsinterventionen ankommen.

Die Politik hat während der Coronakrise in Ansätzen bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist. Trifft das aber auch zu, wenn es um die sozio-ökonomischen Strukturen, also ums Eingemachte geht? Abschließend könnte man in Anlehnung an Brecht (»Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?«) angesichts des Gefahrenpotentials für die Gesellschaft fragen: »Was ist das Festkleben auf einer Autobahn gegen eine Aktie?« Die Proteste der »Letzten Generation« sind zwar nicht legal, aber angesichts eines Politikversagens im Kontext einer existenziellen Krise nachvollziehbar.

Volkmar Schöneburg ist promovierter Jurist, Publizist und Politiker der Partei Die Linke. Von 2009 bis 2013 war er Justizminister des Landes Brandenburg, anschließend von 2014 bis 2019 war er Landtagsabgeordneter in Brandenburg.

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