- Politik
- Fanrechte
Fußballfans gegen Repression
Dachverband wehrt sich gegen Überwachung und willkürliche Polizeigewalt
Fußballfans verlangen von der Polizei in Deutschland weniger Gewalt und Überwachung. Auf der jährlichen Mitgliederversammlung ihres Dachverbandes der Fanhilfen in Hannover haben 22 lokale Vereine hierzu am Sonntag einen gemeinsamen Katalog mit fünf zentralen Forderungen gegen »Dauerüberwachung, Freiheitsbeschränkungen, rechtswidrige Datensammlungen, fehlende Handhabe gegen Polizeigewalt und die geplante Kontrolle jeglicher digitaler Kommunikation« veröffentlicht. Kritisiert wird etwa die massive Präsenz der Polizei bei Fußballspielen in und an den Stadien.
Oft würden Fans »schlechter als andere Bürgerinnen und Bürger behandelt« und von der Polizei besonders hart angegangen. Bei Auswärtsspielen kämen Repressalien gegen die reisenden Fans hinzu, darunter das Versagen eines Toilettengangs. »Wasserwerfer, Ganzkörperkontrollen und sogar Drohnenüberwachung gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire der Polizei – selbst bei Fußballspielen in der 3. Liga. Das offenbart einen völlig übertriebenen Generalverdacht gegenüber allen Fans«, sagt Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands. Dieses Feindbild »Fußballfan« müsse systematisch abgebaut werden.
Die Fanhilfen fordern deshalb eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Nur so könnten willkürliche Körperverletzungen wie etwa überzogene Schmerzgriffe, Schläge und Tritte rechtlich verfolgt werden, heißt es in dem Papier. Derzeit wird die Kennzeichnungspflicht aber in rund der Hälfte der Bundesländer umgesetzt. Auch die Bundespolizei schickt ihre Beamten noch anonym in den Einsatz. Die Innenministerin Nancy Faeser plant jedoch eine entsprechende Änderung in der Novelle des Bundespolizeigesetzes mit Einführung einer »taktischen Kennzeichnung«, berichtet der »Spiegel«. Die Umrüstung der Uniformen soll 30 Millionen Euro kosten, schreibt das Magazin. Ob es sich dabei um eine eindeutige Individualisierung handelt, wie von den Fans gefordert, ist noch unklar.
Unliebsame Fans werden von der Polizei in der Datei »Gewalttäter Sport« gespeichert. Fachlich zuständig dafür ist die »Zentrale Informationsstelle Sport« (ZIS) bei der nordrhein-westfälischen Polizei in Duisburg. Physisch wird die Datensammlung als Verbunddatei zentral beim Bundeskriminalamt geführt. Alle deutschen Polizeibehörden können dort Informationen über »auffällig gewordene« Fans eintragen und abrufen. Für eine Speicherung genügt der bloße Verdacht oder die Tatsache, am Rand einer polizeilichen Maßnahme erfasst zu werden. Jeder fünfte Eintrag erfolgt wegen »Personalienfeststellung, Platzverweis und Ingewahrsamnahme«. Speicherungen wegen eines Ermittlungsverfahrens werden auch dann nicht automatisch gelöscht, wenn dieses wegen erwiesener Unschuld eingestellt wird. Mit Stand vom 8. April 2021 waren insgesamt 7485 Personen in der Datei »Gewalttäter Sport« erfasst, mit großem Abstand die meisten (fast 3000) in Nordrhein-Westfalen.
Der Dachverband kritisiert die Datei als unrechtmäßig und fordert die Abschaffung. Unterstützung, wenn auch weniger radikal, kommt dabei von den Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. So fordert etwa Dieter Kugelmann, Beauftragter für Rheinland-Pfalz, eine Neuausrichtung mit einer Stärkung von Betroffenenrechten. Personen, die als »Gewalttäter Sport« eingespeist werden, sollten demnach in allen Bundesländern darüber benachrichtigt werden. Nur so könnten die Fans falsch gespeicherte Daten gerichtlich angreifen. Eine solche Reform »in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz« verspricht die »Ampel« auch im aktuellen Koalitionsvertrag, Initiativen dazu sind im Bundestag aber bislang nicht bekannt. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage bestätigte die Bundesregierung im Frühjahr lediglich den »Bedarf einer kritischen Überprüfung«.
Als fünfte Forderung nennen die Fanhilfen die Verhinderung der von der Europäischen Union geplanten »Chatkontrolle«. Gemeint ist der Versuch, Internetplattformen zum Mitlesen verschlüsselter Kommunikation zu verpflichten, ein entsprechender Vorschlag wird zurzeit von den 27 Regierungen und demnächst auch im Parlament beraten. Dies beschränke auch Fanrechte »massiv«, schreibt der Dachverband und schließt sich der bundesweiten Kampagne »Chatkontrolle stoppen« gegen die geplante EU-Verordnung an.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.