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Therapeuten in Ausbeutung
Angehende Psychotherapeuten fordern bessere Entlohnung
»Jetzt seid mal richtig laut«, fordert eine Rednerin. Sie gibt am Mikrophon die Parole vor: »45 percent pays no rent!« (45 Prozent reichen nicht für die Miete). Etwa 60 Psychotherapeuten in Ausbildung haben sich am Meyerinckplatz in Charlottenburg unweit ihres Ausbildungsinstituts, der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT), versammelt. Bei eisigen Temperaturen wird Glühwein und Tee ausgeschenkt, Aktivisten verteilen Flyer an Passanten. Die Psychotherapeuten in Ausbildung wollen eine Liste mit 250 Unterschriften an die Institutsleitung überreichen.
Sie fordern bei ihrem Aktionstag am vergangenen Donnerstag mehr Geld. Als Teil ihrer Ausbildung müssen sie 600 sogenannte Ambulanzstunden absolvieren, bei denen sie Patienten an ihrem Institut eigenständig behandeln. Die Ambulanzstunden werden regulär von den Krankenkassen vergütet, aber eine Tochtergesellschaft des Instituts, die die Ambulanz betreibt, behält den größten Teil des Honorars ein. Den Auszubildenden wird nur ein Anteil von 45 Prozent ausgezahlt. Bei einer Vollzeitambulanztätigkeit entspricht das üblicherweise etwa 600 Euro im Monat. In Berlin reicht das unmöglich zum Leben. »Wir machen einen verantwortungsvollen Job, das sollte auch angemessen vergütet werden«, sagt eine Person, die für die Psychotherapeuten spricht. Weil zur Institutsleitung auch Prüfer gehören, möchte sie anonym bleiben.
Psychotherapeuten in Ausbildung haben ihr Psychologiestudium abgeschlossen, müssen aber noch eine etwa dreieinhalbjährige Ausbildung bis zur Approbation ableisten. Statt 45 Prozent sollten sie zunächst 52 Prozent und längerfristig 60 Prozent des Kassensatzes erhalten, fordern die Psychotherapeuten in Ausbildung.
»Wir erwarten nicht, reich zu werden, aber wir wollen über die Runden kommen«, sagen zwei von ihnen bei der Kundgebung. Auch sie wollen anonym bleiben. Er habe sogar einen Kredit aufnehmen müssen, berichtet einer. Besonders erbost sind viele darüber, dass die DGVT weitere Institute und Ambulanzen aufkauft, während die Honorare weiter niedrig bleiben. »Die Beschäftigten, nicht die Profite sollten Priorität haben«, sagt eine Rednerin.
Für ihren Aktionstag haben die Psychotherapeuten in Ausbildung die Arbeit für einen Tag niedergelegt. Sie werden als Selbständige für die Ambulanzstunden beauftragt. Von einem Streik möchte man daher nicht sprechen. »Wir machen das auf unsere eigenen Kosten«, heißt es. Patienten in psychischen Notsituationen könnten sich telefonisch melden. »Wir lassen da niemanden im Stich.«
Obwohl sie als Selbständige tätig sind, werden den Psychotherapeuten in Ausbildung weitreichende Vorgaben gemacht. Selbst Kleidungsvorschriften gibt es. Und: Als Selbständige können sie nicht auf die Unterstützung von Gewerkschaften hoffen. Die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) unterstützt aber den Protest mit Beratung und Pressearbeit. »Solo-Selbständige sind für uns auch Genossen«, sagt eine FAU-Vertreterin, die Nicola genannt werden möchte, bei der Kundgebung.
Auch an den anderen 29 Ausbildungsinstituten in Berlin sind die Bedingungen für die angehenden Psychotherapeuten nicht immer einfach. Neben den ambulanten Stunden müssen auch zwei mehrmonatige Hospitanzen etwa in Krankenhäusern, Tageskliniken oder therapeutischen Praxen abgelegt werden, bei denen die Psychotherapeuten in Ausbildung voll in den Regelbetrieb integriert sind – zu höchst prekären Bedingungen. Dazu laufen parallel theoretische Seminare an den Wochenenden. »Man kommt da schnell nah an den Burnout«, wird beklagt. »Wir haben eigentlich die Aufgabe, Beschwerden zu lindern, aber unter den Bedingungen aktuell laufen wir selbst Gefahr, psychisch zu erkranken.«
Auf »nd«-Anfrage teilt Marc Stephan, Mitglied der Leitung des DGVT-Ausbildungsinstituts mit, dass es aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei, die Honorarbeteiligung auf 60 Prozent zu erhöhen. Das Institut stelle den Psychotherapeuten in Ausbildung unter anderem einen ausgestatteten Arbeitsplatz, technische Infrastruktur und Unterstützung durch ein Sekretariat zur Verfügung. »Dass die notwendige Infrastruktur in der Honorierung durch die Krankenkassen nicht berücksichtigt wird, liegt nicht in der Hand der Ausbildungsinstitute«, sagt Stephan. Das Institut zahle zudem zum Ende des Jahres einen Weihnachtsbonus, mit dem sich die ausgezahlten Beträge deutlich erhöhten.
Trotzdem will das Institut den angehenden Psychotherapeuten entgegenkommen. »Wir streben danach, einen quartalsweisen Auszahlungsbetrag von mindestens 50 Prozent zu erreichen«, sagt Stephan. »Sobald uns dies möglich wird, würden wir selbstverständlich auch dazu übergehen, uns den geforderten 52 Prozent nicht erst mit dem jährlichen Weihnachtsbonus anzunähern.« Eine weitere Anhebung schließt er aber für die nächste Zeit aus. Ebenfalls keine Möglichkeit sieht er dafür, die Psychotherapeuten in Ausbildung regulär anzustellen. »Es gibt aktuell keine Finanzierungsgrundlage, um sozialversicherungspflichtige Anstellungsverhältnisse sicherzustellen.« Dies sei bundesweit so üblich.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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