- Wirtschaft und Umwelt
- Energiepolitik
Abschied von »Peak Oil«
Während die EU ihr Embargo samt Preisdeckel gegen Russland beginnt, wächst die Ölindustrie weltweit
Zeitgleich mit dem Inkrafttreten eines Ölpreisdeckels begann die EU am Montag das im Juni beschlossene Ölembargo. In der ersten Stufe darf kein Erdöl mehr aus Russland auf dem Seeweg in den Ländern der EU ankommen. Deutschland will zudem bis zum Jahresende auf russische Lieferungen über die Pipeline »Druschba« verzichten. Ausnahmen gibt es für EU-Mitgliedsstaaten, die eine besondere Abhängigkeit von russischem Öl haben, wie Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Sie können weiterhin über diese Pipeline versorgt werden. Bulgarien und Kroatien dürfen befristet Rohöl aus Russland über den Seeweg beziehen.
Für den russischen Staat ist der Verkauf von Öl die wichtigste Einnahmequelle. Paradoxerweise hat Moskau bislang von EU-Sanktionen hier finanziell profitiert. Die Reduktion von russischen Exporten hat Öl – ähnlich wie Gas und Kohle – auf dem Weltmarkt verknappt und dadurch den Preis hochgetrieben. Infolgedessen dürfte Russland 2022 mehr Geld aus den EU-Staaten für sein Öl erhalten als 2021. Zudem kaufen derzeit nach Medienberichten China, Indien und Ägypten einen großen Teil des russischen Öls. Da dies fast ausschließlich auf dem Seeweg transportiert werden muss, haben russische Ölkonzerne nach einem Bericht der »Financial Times« rund 100 gebrauchte Tanker erworben.
Dabei zieht die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) mit Russland an einem Strang. Unter Führung von Saudi-Arabien – das sich zunehmend von den Vereinigten Staaten emanzipiert – haben elf Länder vor zwei Monaten vereinbart, die Fördermenge um zwei Billionen Barrel (à 159 Liter) am Tag zu senken. Damit soll der Ölpreis hochgehalten werden. Am Sonntag beschloss die Opec+, die geringere Fördermenge beizubehalten.
Von den hohen Weltmarktpreisen profitiert neben den Förderländern auch die Mineralölwirtschaft, die üppige Milliardengewinne verzeichnet. Die lukrativen Preise machen zudem Investitionen in Ölfelder wieder interessanter. Die Weltwirtschaft wird in diesem und kommenden Jahr trotz der sich abzeichnenden Rezession in der EU erheblich zulegen, laut Internationalem Währungsfonds 2023 um 2,7 Prozent. Getrieben wird das Wachstum von stark wachsenden Ländern wie Indien. Wachstum, der neue Mittelstand in Asien und ein globaler Trend zu »westlichen« Konsumgewohnheiten steigern den Energiehunger, den die Erneuerbaren nicht alleine stillen.
Investitionen in die Öl- und Gasförderung befinden sich daher im Aufwind, wie ein Blick hinter die Kulissen der Branche zeigt. So meldete kürzlich der österreichische Ölfeldausrüster Schoeller-Bleckmann Oilfield (SBO) für die ersten neun Monate »die beste Entwicklung seit einem Jahrzehnt«. Der Auftragseingang erreichte ein »Allzeithoch«, der Umsatz stieg im Vorjahresvergleich um sagenhafte 73 Prozent. »Ein hoher Investitionsbedarf in die Exploration und Produktion von Öl und Gas unterstützt die Nachfrage nach unseren Produkten und Leistungen«, freut sich Vorstandsvorsitzender Gerald Grohmann. »Wir wachsen in allen Regionen.«
SBO ist lediglich ein Spezialanbieter, aber damit am Puls der Branche. So liefern die Österreicher Bohrwerkzeuge und andere Spezialkomponenten für die Mineralölindustrie weltweit. Der wachsende Bedarf an Energiesicherheit, die geringe Opec-Reservekapazität, knappe Lagerbestände und steigende Nachfrage trieben die Investitionen in die Exploration und Produktion neuer Öl- und Gasfelder, so Grohmann. Auf den Energiemärkten zeichne sich »ein mehrjähriger Aufschwung« ab. »Peak Oil«, das schon vielfach beschworene Erreichen des Ölfördermaximums, liegt also wohl doch noch in ferner Zukunft.
Wie sich in dieses globale Szenario der Ölpreisdeckel einfügt, den EU, G7-Staaten und Australien am Montag beschlossen haben, ist auch unter Experten umstritten. Reedereien der besagten Länder dürfen Öl aus Russland nur noch transportieren, wenn der Verkaufspreis durch Russland höchstens 60 Dollar pro Barrel beträgt. Das bedeutet auch, dass EU-Unternehmen Dienstleistungen wie Versicherungen für den Transport und Finanzierungen nur dann anbieten können, wenn der Preis des transportierten russischen Öls unter dem Deckel bleibt.
Russland soll erschwert werden, sein Öl auf dem Seeweg zu exportieren. Man fühle sich daran aber nicht gebunden, machte der Kreml am Montag deutlich. Von dem Preisdeckel betroffen ist ohnehin global nur jedes zweite Tankschiff. Außerdem dürfte Russland sein Öl auch zukünftig bei Bedarf mit einem Abschlag verkaufen, sodass der Preisdeckel gar nicht berührt wird. Aktuell schwankt der globale Börsenpreis für Erdöl, je nach Sorte und Qualität, um die 80 US-Dollar und legte am Montag bis Redaktionsschluss um 2,5 Prozent zu. Die Ölpreise dürften in den kommenden Wochen weiter anziehen. Dazu trägt auch bei, dass Präsident Wladimir Putin bereits vor einigen Wochen wissen ließ, dass Russland kein Öl an Länder liefern werde, die sich dem
Preisdeckel unterwerfen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.