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Arithmetik gegen links

Bundestagswahlkreis Lichtenberg könnte aufgelöst werden

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Neuzuschnitt der Bundestagswahlkreise sorgt für Ärger in der Berliner Parteienlandschaft. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass es im Zuge der geplanten Reform der Bundestagswahlkreise zukünftig in Berlin nur noch elf statt zwölf Bundestagswahlkreise geben soll. Kurz vor Ende der Frist, bis zu der die Parteien Stellung zu den Vorschlägen der Wahlkommission beziehen können, wächst jetzt der Unmut über die Vorschläge der Wahlkreiskommission.

Weil der Bundestag nach einem Beschluss aus dem November 2020 deutlich schrumpfen soll, plant eine vom Bundespräsidenten eingesetzte Kommission, bundesweit die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 280 zu reduzieren. Aktuell weicht das Parlament mit 736 Abgeordneten deutlich von der vorgesehenen Regelgröße von 598 Abgeordneten ab. Berlin würde entsprechend einen Wahlkreis verlieren, obwohl die Stadt in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen ist. Noch ein weiterer Grund macht den Neuzuschnitt notwendig: Das Wahlgesetz sieht vor, dass die Zahl der Wahlberechtigten in einem Bundestagswahlkreis nicht stärker als 15 Prozent vom Durchschnitt aller Wahlkreise abweichen sollte. Die Wahlkreise Reinickendorf und Spandau-Charlottenburg-Nord liegen jeweils unter diesem Wert. Die Landeswahlleitung hat daher im November zwei Vorschläge vorgelegt, wie die Zahl der Wahlkreise reduziert werden könnte.

Vor allem bei der Linkspartei schrillen jetzt die Alarmglocken. Denn nach der Variante, die die Wahlkreiskommission vorzieht, würde im Rahmen mehrerer Transfers von Ost nach West der Wahlkreis Lichtenberg, den zuletzt Gesine Lötzsch (Linke) gewann, unter den benachbarten Wahlkreisen aufgeteilt werden. Bei gleichbleibender Stimmverteilung würde die Partei so ein Direktmandat verlieren. Sollte die Partei bei der nächsten Wahl erneut bundesweit nicht die Hürde von fünf Prozent überwinden, würde sie daher ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlieren, da sie nicht mehr drei Direktwahlkreise gewinnen könnte.

»Lichtenberg ist ein wachsender Bezirk und schon deshalb spricht einiges dafür, ihn als Wahlkreis zu erhalten«, teilt der Berliner Linken-Geschäftsführer Sebastian Koch auf nd-Anfrage mit. Das Problem, dass es in den West-Bezirken Reinickendorf und Spandau nicht genügend Wahlberechtigte gibt, müsse auch im Westen gelöst werden. Besonders stört ihn, dass die zwei SPD-Hochburgen Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg bei der Neuzuteilung nahezu unberührt blieben.

Die Wahlkreisabgeordnete Gesine Lötzsch selbst spricht gegenüber »nd« von einem »gezielten Angriff gegen Die Linke«. Die Landeswahlleitung betreibe »Gerrymandering«. Der Begriff bezeichnet eine in den USA geläufige Praxis, mit der die Parteien mit teilweise absurden Zuschnitten der Wahlkreise versuchen, ihre eigenen Chancen zu erhöhen. »Es ist augenfällig, dass es hier gezielt gegen eine Partei geht«, sagt sie. Sie erinnert daran, dass vor der Bundestagswahl 2002 die Wahlkreise bereits einmal zu Ungunsten der Partei umgestaltet worden waren. Die damalige PDS konnte daraufhin nur zwei Direktmandate erzielen und verpasste den Fraktionsstatus. Die in der SPD-geführten Innenverwaltung angesiedelte Landeswahlleitung habe mit dem Vorschlag klar parteiisch gehandelt.

Tatsächlich würde die SPD von der neuen Wahlkreisaufteilung profitieren. Legt man die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 zugrunde, würde sie bei beiden diskutierten Varianten trotz der kleineren Zahl der Berliner Wahlkreise fünf statt vier Direktmandate gewinnen. Entsprechend wenig Änderungsbedarf sehen die Sozialdemokraten. Die SPD habe auf eine Stellungnahme verzichtet, sagt Sprecher Ralf Höschele zu »nd«. »Die vom Bundespräsidenten einberufene Wahlkreiskommission arbeitet unabhängig, wir respektieren dies als Berliner SPD«, sagt er.

Kritik gibt es auch daran, dass der von der Wahlkommission favorisierte Vorschlag sich am Zuschnitt der Wahlkreise zur Abgeordnetenhauswahl orientiert und lebensweltliche Bezugsräume weitgehend ignoriert. Bei der Aufteilung würden zusammenhängende Kieze wie das Gensinger Viertel in Lichtenberg zerrissen werden, warnen Kritiker. Ebenso sei der Bevölkerung schwer vermittelbar, warum beispielsweise der Innenstadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg gemeinsam mit von Großsiedlungen geprägten Räumen in Lichtenberg einen Wahlkreis bilden sollte. In beiden Teilen, so die Befürchtung, könnten sich die Bewohner nicht unbedingt von einem gemeinsamen Abgeordneten vertreten fühlen.

Neben dem Vorschlag, den die Wahlkommission bevorzugt, gibt es noch einen weiteren, den die Landeswahlleitung favorisiert. Dieser Vorschlag orientiert sich stärker an den sogenannten lebensweltlich orientierten Räumen (LOR), die die Grundlage für stadtplanerische Maßnahmen bilden. Bei diesem Vorschlag würde Lichtenberg als Wahlkreis größtenteils erhalten bleiben, aber dafür Pankow weitgehend aufgelöst werden. Während Die Linke ihre zwei Direktmandate so behalten könnte, würden die Grünen das Mandat von Stefan Gelbhaar verlieren. »Zuschnitte, die eine offensichtliche Parteilichkeit beinhalten, untergraben das Vertrauen in die Demokratie«, sagt Gelbhaar zu »nd«. Er fordert, dass gewachsene Strukturen respektiert werden sollten und keine Partei durch den Zuschnitt der Wahlkreise bevorzugt oder benachteiligt werden sollte, gibt sich aber auch optimistisch: »Was auch immer beim Neuzuschnitt rauskommt, wir werden als Bündnisgrüne damit umgehen.«

Während Grüne und Linke noch auf einen für sie glimpflichen Ausgang des Prozesses hoffen können, steht ein Verlierer bereits jetzt fest: In beiden diskutierten Varianten würde die CDU ein Mandat verlieren, weil ihre Hochburg Reinickendorf im Westen mit Spandau und im Osten mit Pankow fusioniert wird. Die Reinickendorfer CDU-Bundestagsabgeordnete Monika Grütters wäre wohl in beiden neuen Wahlkreisen chancenlos. Sie ließ ebenso wie ihre Partei eine Anfrage unbeantwortet.

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