Lesen allein hilft nichts

Bildungschancen werden von immer mehr Schülern als ungerecht beurteilt

Die Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Ansicht, dass nicht alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. Das geht aus einer am Tag der Bildung am 8. Dezember veröffentlichten Forsa-Umfrage hervor. Vielmehr hängt die Chance auf gute Bildung nach Meinung von 64 Prozent der Befragten von der sozialen und kulturellen Herkunft ab.

Eigentlich nichts Neues, dass entgegen allen politischen Beteuerungen schon vorgezeichnet ist, welchen Abschluss ein Kind erreichen wird. Doch noch nie, seit die Frage erstmals im Jahr 2015 im Rahmen der repräsentativen Umfrage gestellt wurde, haben so viele Jugendliche und Erwachsene die Chancengleichheit so schlecht beurteilt. Lediglich ein Drittel der Befragten ist der Ansicht, dass alle Kinder in Deutschland im Großen und Ganzen die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben.

Über zwei Drittel der Befragten glauben trotzdem daran, dass eine gute Zukunft in den kommenden Jahren auf sie wartet. Lediglich 23 Prozent sind sich dessen nicht ganz so sicher und sieben Prozent antworteten mit Nein. Ein Großteil der jungen Menschen ist davon überzeugt, eine gute berufliche Zukunft zu haben, wobei männliche Befragte dabei häufiger positiv eingestellt sind als weibliche. Auch Stress und Leistungsdruck verbinden Frauen häufiger als Männer mit dem Thema Schule. Bei den jüngeren Befragten assoziieren vor allem diejenigen zwischen 14 und 18 Schule mit Stress, die älteren Befragten zwischen 19 und 21 Jahren hingegen etwas seltener.

Eine weitere am Donnerstag veröffentlichte Studie untermauert den Eindruck der jungen Menschen zur Bildungsungerechtigkeit. Nach dieser Analyse des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der Universität Dortmund gibt es bei dem Wortschatz von Viertklässlern in Deutschland erhebliche Unterschiede. Der Förderbedarf ist besonders groß bei Kindern, die selten oder nie ein Buch lesen, und bei Kindern, die nicht in Deutschland geboren wurden, darüber hinaus aber auch bei denjenigen Kindern, deren Eltern einen eher niedrigen Bildungsabschluss haben.

Ulrich Ludewig, der die Auswertung der Daten durchführte, erläutert: »Dabei ist zum einen deutlich geworden, dass es schon in der Grundschule sehr große Unterschiede im Wortschatz gibt und dass diese Unterschiede zum anderen systematisch mit dem familiären Hintergrund zusammenhängen, konkret, welchen Bildungsabschluss die Eltern haben.« Die durchschnittlichen Unterschiede im Wortschatz entsprächen zwischen manchen Schülergruppen dem Lernzuwachs von über einem Jahr. Und der Wortschatz sei eine Säule der Sprachkompetenz, die wiederum eine zentrale Bedeutung für den Bildungserfolg habe.

In der Erhebung gab die Hälfte der Grundschulkinder an, (fast) täglich Bücher zu lesen, während 22 Prozent nie oder maximal einmal im Monat ein Buch lesen. Schülerinnen und Schüler, die (fast) täglich Bücher lesen, zeigen dabei im Mittel einen deutlichen Wortschatzvorsprung gegenüber denjenigen, die seltener lesen. Doch das gilt nicht automatisch für alle gleichermaßen. Denn laut der Studie zeigen sich bei Kindern, die entweder selbst zugewandert sind oder deren Eltern höchstens einen mittleren Schulabschluss (ohne Berufsausbildung) haben, trotz
häufigen Bücherlesens kein signifikant größerer Wortschatz im Vergleich zu weniger lesenden
Kindern aus ihrer Vergleichsgruppe.

»Um mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland zu erreichen, ist daher in den Schulen ab der ersten Klasse eine regelmäßige Diagnostik der Sprachkompetenzen mit daran anschließender gezielter Förderung unter Einbezug der Familien dringend angeraten«, fordert das IFS-Forscherteam. Außerdem müsse die systematische Förderung bestimmter Schülergruppen in den Schulen, besser noch bereits im Kindergarten, verstärkt werden.

Doch auch schon in Kindertageseinrichtungen werden diejenigen schlechter gefördert, die Unterstützung am meisten bräuchten. Von einem zu niedrigen Personalschlüssel sind vor allem Kitas in Stadtteilen betroffen, in denen viele Menschen Sozialleistungen beziehen oder nur einen geringen Bildungsabschluss haben. Das geht aus einer bereits im Juni veröffentlichten Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor.

Wie schlecht es hierzulande um die Bildungsgerechtigkeit steht, zeigt auch eine aktuelle OECD-Untersuchung. Deutschland liegt dabei unter dem Durchschnitt der 38 OECD-Länder. Und wer in Deutschland einen niedrigen Bildungsabschluss hat, ist laut OECD-Bericht später dann zu 43 Prozent von Einkommensarmut betroffen.

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