- Wirtschaft und Umwelt
- Automibilindustrie
Zwischen Protektionismus und Industriepolitik
In Europa sucht man in Sachen Elektromobilität eine Antwort auf die Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten und China
Die EU ist eine weltweite Macht in der Automobilindustrie und will den Status quo erhalten. Doch zwei Sachen machen allen europäischen Staaten zu schaffen: Die erste ist der Versuch der USA, alle Wertschöpfungs-Lieferketten bei der Herstellung von Elektroautos ins eigene Land zu holen. Das zweite Problem ist Chinas Ehrgeiz, sich sowohl bei hochpreisigen Elektroautos wie auch im mittleren Marktsegment durchzusetzen. Auf beide Trends reagiert Europa reichlich spät.
Nicht nur die europäische Politik, sondern auch die Wirtschaft hat lange die massiven Konsequenzen von Bidens Inflation Reduction Act (IRA) unterschätzt. Ab nächstem Jahr soll jeder US-Amerikaner, der ein Elektroauto kauft, eine Prämie von bis zu 7500 Dollar aus Washington bekommen. Solche Prämien gibt es in Europa auch. Doch die US-Subvention hat einen Haken: Sie gilt nur für Autos, die in allen Etappen in Amerika entstehen: angefangen mit Mineralien für die Batterien, die bisher aus China und dem Kongo stammen, bis hin zu Teilen, die bisher in Japan, Südkorea oder Europa hergestellt wurden, soll nach dem neuen Gesetz nun fast alles in den USA produziert werden.
Diese Idee stößt bei europäischen Managern teils auf glatte Ablehnung. Ungewöhnlich war die Rede von BMW-Vorstandschef Oliver Zipse, als er die 1,7 Milliarden Euro teure Fabrikerweiterung in Spartanburg im US-Bundesstaat South Carolina vor zwei Wochen feierlich einweihte. Zipse mahnte, dass es ein Ding der Unmöglichkeit sei, die weltweite Wertschöpfungskette in einer Nation unterzubringen. Das Elektroauto sei ein globales Produkt in einer Welt des freien Handels. Andere Hersteller geben sich wendiger: Der VW-Nordamerika-Chef Pablo Di Si fordert etwa mehr Zeit für den Beginn der US-Subventionen; erst im Jahr 2024 könne VW nur ansatzweise seine Produktion neu organisieren, um den neuen Regelungen zu entsprechen.
In der EU will man, dass ein solcher Umbau der Produktion für die europäischen Autobauer gar nicht nötig wird, und man tritt nach dem eher ergebnislosen Besuch von Emmanuel Macron in Washington die Flucht nach vorne an. Der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton strafte schon im Vorfeld von Macrons Besuch ein wichtiges Treffen des im Jahr 2021 begründeten »Trade and Technology Council« mit seiner Abwesenheit. Dabei gründeten Biden und die EU diesen Rat, um nach der Amtszeit von Donald Trump, wieder näher zueinander zu finden. Doch Breton glaubt, dass Trumps »America First« einen nahtlosen Übergang in Bidens Handelspolitik gefunden hat.
Frankreich findet mit seiner Position immer mehr Gehör in Deutschland. Denn wegen der neuen US-Industriepolitik und den hohen Gaspreisen grassiert in Europa die Angst vor der Deindustralisierung. So hängen in der EU 13 Millionen Jobs an der Automobilbranche, und viele davon sind in Deutschland, weil die Branche in Deutschland besonders groß ist. »Es ist wie beim Ertrinken, es geht leise vor sich her«, zitiert die US-Tageszeitung »Politico« anonym einen EU-Beamten.
So wird in Brüssel zwar noch vor den Gefahren eines neuen Subventionskrieges gewarnt, doch hat man mittlerweile auch hier umgeschwenkt. »Die neue selbstbewusste Industriepolitik unserer Konkurrenten erfordert eine strukturelle Antwort«, warnte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und brachte eine eigene europäische Industriepolitik ins Spiel. Die EU müsse »Maßnahmen ergreifen, um gleiche Bedingungen zu schaffen«, wo das milliardenschwere Klimaschutz- und Sozialpaket der USA oder andere Vorstöße »zu Verzerrungen führen«, so die CDU-Politikerin.
Aus China kommt eine ganz andere Gefahr für Autohersteller wie Renault, VW oder BMW. Sowohl im niedrig- als auch im hochpreisigen Segment gibt es in China mittlerweile starke Konkurrenz für die Europäer. So mussten BMW und Mercedes jüngst die Preise deutlich senken, weil die chinesische Konkurrenz deutlich beliebter ist. Billigautos wie BYD Han, BYD Song und BYD Qin sind in China außer Konkurrenz.
Beunruhigend für Ingenieure hierzulande ist laut Experten die technische Kreativität der fernöstlichen Autobauer sowie der Unwille der chinesischen Verbraucher, für deutsche Elektroautos denselben Aufpreis zu zahlen wie für die deutschen Verbrennerautos. Und nun zielen die chinesischen Autobauer auch auf den europäischen Markt. So gibt es Schätzungen, dass im Jahr 2025 bis zu 18 Prozent aller Elektroautos in Europa aus China stammen könnten.
»Nennenswert etwas ändern kann die europäische Industrie erst ab 2024«, warnte Alliance-Bernstein-Analyst Daniel Röska jüngst im »Handelsblatt«. Bis dahin bleibt die Hoffnung, dass der Kundenservice der europäischen Hersteller unschlagbar bleibt. Und dann ist da noch die Hoffnung auf einen neuen EU-Protektionismus. »Wir werden nicht die letzten Mohikaner sein«, sagt der Franzose Bruno Le Maire über Europas Treue zum strauchelnden globalen Freihandel.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.