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Ablenkungsmanöver Sport
Wie die Imagekampagnen der arabischen Länder den Weltsport verändern
Wie man die Welt sieht, hängt ganz von der Perspektive ab. Im Land der schlecht gemanagten »One Love«-Binde, dessen Nationalmannschaft bereits gedemütigt die Heimreise angetreten und seinen omnipotenten Manager verloren hat, wird diese Fußball-WM sicherlich als komplettes Desaster in die Annalen eingehen. In der Region des Ausrichterlandes sind die Reaktionen ganz anders. Marokkos Triumph über Portugal und der damit verbundene historische Einzug ins Halbfinale der WM führte zu einer neuen Form von panarabischem Nationalgefühl. Auf genau solche emotionalen Wellen hatten die Organisatoren der ersten Fußball-WM in einem arabischen Land auch gehofft. »Wir wollen die WM zu einem Fest der Fußballfans aus dem arabischen Raum machen, die solch ein Erlebnis bisher nur aus der Ferne haben konnten«, hatte Hassan Al Thawadi, Chef des Organisationskomitees der WM »nd« bei einem der früheren Besuche erklärt. Dieses Fest gibt es nun. Saudi-Arabiens überraschender Sieg über Argentinien trug ebenfalls zu neuem Selbstbewusstsein bei.
Auch politisch sammelt das Gastgeberland derzeit manche Frucht ein. Die starken Männer der lange mit Doha verfeindeten Regionalmächte Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate machten beim Sport-Event ihre erste Aufwartung seit der Beilegung der Boykottstrategie der letzten Jahre. Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman, derjenige, der laut US-Ermittlungen den Auftrag zur Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi gab, war zur Eröffnungsfeier vor Ort. Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani begrüßte ihn ganz offiziell als »Bruder« und betonte eine »gemeinsame Geschichte« und ein »gemeinsames Schicksal«.
Vor wenigen Tagen traf auch der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed al-Nahyan, in Doha ein. Er lobte die WM als »Erfolg und Ehre für alle Golf-Staaten«. Gerade im Sport haben die drei Herrscher viele überschneidende Interessen. Katars Al Thani war noch als Kronprinz bei jenem legendären Abendessen im November 2010 mit Frankreichs damaligem Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dem Fußballmultifunktionär Michel Platini und dem Präsidenten des Fußballklubs Paris St. Germain, Sébastien Bazin, zu Gast, das die Welt des Fußballs massiv änderte. Bei dem Treffen wurde Platini zum Befürworter der WM in Katar umgestimmt. Beim Abendessen mit Sarkozy wurde auch der Verkauf von Paris St. Germain an den katarischen Staatsfonds ausbaldowert. Den 70 Millionen Euro beim Kauf schickte der Staatsfonds weitere 1,589 Milliarden Euro allein an Transfersummen hinterher. Nur um den Quantensprung zu illustrieren: Mit dem Kauf durch Katar erhöhte sich das Transfervolumen von der letzten Saison unter den alten Eignern von neun Millionen Euro auf 107 Millionen im Jahr darauf.
Es waren Jahre des Kaufrauschs. 2008 bereits hatte die Abu Dhabi United Group, der ein Mitglied der herrschenden Familie der Emirate vorsteht, den Premier League-Klub Manchester City für 212 Millionen Dollar erworben – und in der Folgezeit 2,289 Milliarden Euro allein an Transfersummen hinterhergeschoben. Zu der mittlerweile City Football Group benannten Investorengruppe gehören inzwischen auch New York City FC, Melbourne City FC, Girona FC sowie Vereine in Japan, Indien und Uruguay.
2021 zog der Staatsfonds Saudi-Arabiens nach und erwarb für 409 Millionen Dollar den Premier League-Klub Newcastle United. Die Ausgabenbilanz seitdem mutet mit 266 Millionen Euro in den letzten beiden Saisons im Vergleich zu Manchester City und PSG fast sparsam an. Bundesliga-Branchenführer Bayern München gab im gleichen Zeitraum 195 Millionen Euro aus. Das ist bereits eine Summe jenseits normaler Wertvorstellungen. Sie zeigt aber auch die wachsenden Diskrepanzen zwischen eher traditionell geführten Klubs und jenen, deren Bilanzen durch Petro- und Gasdollars aufgebläht werden, auf. Die Tendenz scheint hier, dass Grenzen nur gelten, um hinausgeschoben zu werden.
In diesem Sinne darf man auch das Hochrüsten Saudi-Arabiens als Sportinvestor verstehen. Nach Analysen der Londoner Menschenrechtsorganisation Grant Liberty hat Saudi-Arabien bereits mindestens 1,5 Milliarden Dollar in den globalen Weltsport investiert. Allein die Lizenzen zur Austragung der Supercups der spanischen Liga und der italienischen Serie A kosteten insgesamt 169 Millionen Euro. Die Verbände streichen das Geld gern ein, wie auch die Klubs im Fußball, die Sponsoringverträge mit den Luftfahrtgesellschaften der Golfstaaten haben, die Golfprofis der alternativen LIV-Serie oder auch die Rennställe im Straßenradsport, die sich aus Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien finanzieren lassen. Das betrifft die Teams Bahrain Victorious und UAE mit den jeweiligen Hauptsponsoren. Saudisches Geld steckt bereits über Cosponsoring- und Kooperationsverträge in den Teams BikeExchange und Movistar.
Über normales Sportsponsoring gehen diese Investitionen weit hinaus. Beim Sportsponsoring wollen Unternehmen oder Länder vom positiven Image des Sports profitieren, einen geachteteren Platz in der Weltgemeinschaft einnehmen und – im Falle der Unternehmen – mehr potenzielle Konsumenten erreichen. Sollen über den Weg des Sports aber vor allem Menschenrechtsverletzungen kaschiert werden, spricht man seit Beginn dieses Jahrhunderts von Sportwashing. Das ist vergleichbar dem Greenwashing, bei dem sich Unternehmen vor allem durch symbolische Aktionen ein »grüneres« und nachhaltigeres Image verschaffen wollen. Bei Saudi-Arabien, Katar, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind solche Reinwaschaktionen offensichtlich. In einem Menschenrechtsranking der britischen Nichtregierungsorganisation Global Change Data Lab liegen sie unter 192 erfassten Nationen auf den Plätzen 161 (Katar) bis 187 (Saudi-Arabien). Schweden liegt hier auf Rang eins, Deutschland auf neun.
Ins Gewicht fallen beim Ranking unter anderem die an Sklaverei erinnernden Ausbeutungspraktiken von migrantischen Arbeiter*innen, die im Falle Katars im Rahmen der Fußball-WM größere Aufmerksamkeit erhielten. Sie sind, manchmal sogar noch schärfer, auch in den anderen Ländern der Region die Regel. »Lieber in Katar arbeiten als in Saudi-Arabien, da hast du noch weniger Rechte«, sagte ein Bauarbeiter aus Nepal »nd« vor sieben Jahren in Doha. Auch die strukturellen Benachteiligungen von Frauen spielen beim schlechten Ranking eine Rolle. In Saudi-Arabien kommen zudem Gewaltexzesse wie der perfide Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi durch mutmaßliche Vetraute des Kronprinzen Mohammed bin Salman – dem starken Mann hinter der Sportoffensive des Königreichs – hinzu. In Bahrain gehört die brutale Niederschlagung der Demonstrationen des Arabischen Frühlings im Februar und März 2011 zur Negativagenda. Dort tat sich Prinz Nasser, der Initiator des Radsportprojekts, nach Aussagen festgenommener Oppositioneller als »Folterprinz« unrühmlich hervor. In den Vereinigten Arabischen Emiraten sorgte die Praxis der herrschenden Familie, zwei aufmüpfige Prinzessinnen aus Großbritannien zu entführen, für internationalen Aufruhr. Bereits im Jahr 2000 wurde Prinzessin Shamsa, Tochter des aktuellen Premierministers der Vereinigten Arabischen Emirate, gegen ihren Willen aus London wieder zurück in die Emirate gebracht und dort festgehalten. 2018 geschah das Gleiche ihrer Schwester Latifa. Wie Hohn wirkt in diesem Zusammenhang, dass der UAE-Rennstall inzwischen auch ein Frauenteam hält und es mit dem Spruch bewirbt, Frauen durch den Radsport zu Heldinnen machen zu wollen.
Protestaktionen aus dem Sport gegen die Menschenrechtsverletzungen in den Ländern der Geldgeber und Veranstalter gibt es selten. Die »One Love«-Binde war ein eher kläglicher Versuch. Konsequenter waren die Formel 1-Piloten Sebastian Vettel und Lewis Hamilton. Vettel trat 2021 zur Unterstützung der LGBTQ+-Gemeinschaft bei Rennen in Ungarn und Bahrain mit einem Helm in Regenbogenfarben an. Hamilton wiederholte dies 2022 bei Rennen in Katar, Saudi-Arabien und den Emiraten. Sylvia Schenk, frühere Präsidentin des Bundes deutscher Radfahrer und seit neun Jahren Leiterin der Arbeitsgruppe Sport von Transparency International Deutschland, lobte dies gegenüber »nd« als »Zeichen für eine Haltung individueller Sportlerpersönlichkeiten«. Stärker als die einzelnen Sportler*innen sieht sie aber Verbände und Veranstalter, Klubs und Rennställe in der Pflicht. »Sie sollten die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) anwenden und ein Menschenrechtskonzept entwickeln. Dabei geht es um vielfältige Themen – vom Umgang mit sexualisierter Gewalt im Verband über Mindestlohn für Arbeitskräfte bis zur Diversity in der Organisation und der Inklusion im aktiven Sport«, sagte sie »nd«. Die Leitprinzipien wurden 2011 als Grundlage für die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen festgelegt. Sie sind auch Grundlage des deutschen Lieferketten-Gesetzes. Immerhin haben einzelne Sportverbände wie Fifa, Uefa und IOC diese UNLP formal in Bewerbungskriterien für kommende Großveranstaltungen wie die Euro 2024, die Olympischen Spiele 2024 und die Fifa WM 2026 festgelegt.
Spannend wird, ob diese Kriterien auch angewendet werden. Saudi-Arabien will sich gemeinsam mit Ägypten und Griechenland um die WM 2030 bewerben. Katarische Offizielle bestätigten kürzlich am Rande der WM, dass das Land weiter die Bewerbung für Olympia 2036 anpeilt – zum 100. Jahrestag der ersten großen Sportswashing-Spiele im nationalsozialistischen Deutschland.
Zu befürchten ist, dass die Regelungen ähnlich zaghaft umgesetzt werden wie jene des Financial Fairplay im Fußball. Auch weil das Financial Fairplay vor allem auf Papier existiert, konnten die Petrodollars den Markt so massiv aufblähen, dass ein Großklub wie der FC Barcelona in eine enorme Verschuldung getrieben wurde und ein anderer Großklub – Juventus Turin – nur glaubte, mittels aktuell von den Staatsanwälten untersuchter Bilanzfälschungen überhaupt mithalten zu können im großen Geschäft.
Hier sind die arabischen Investoren inzwischen in einem neuen Stadium angelangt. Sie pumpen nicht mehr nur Geld in die Großvereine. Die von ihnen finanzierten Vereine locken mittlerweile wegen der schieren Wachstumsraten Investoren aus anderen Regionen der Welt an. Die katarischen Besitzer ließen PSG in diesem Jahr auf 4 Milliarden Euro taxieren. Sie wollen Anteile des Klubs an Mitinvestoren so teuer wie möglich verkaufen. Sheikh Mansour von der City Football Group machte das mit Minderheitsverkäufen an chinesische und US-amerikanische Investoren bereits erfolgreich vor. Ethische Bedenken waren nicht zu beobachten.
Auch die Fans sind nicht immer auf der Höhe der Menschenrechtsdebatte. Als Italiens früherer Premierminister Matteo Renzi vor ein paar Tagen bekannt gab, dass Katars Emir seit Jugendzeiten ein Fan von Lazio Rom sei und er ihm jährlich signierte Trikots dieses Lieblingsvereins verschaffen musste, forderten einige Lazio-Anhänger über die sozialen Medien den Emir auf, am besten gleich den Klub zu kaufen, den – bei vielen Fans unbeliebten – Präsidenten Claudio Lotito zu entmachten und viele feine Stars zu kaufen.
Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar
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