Vom Luxus, nicht weisungs­gebunden zu sein

Musikkabarettist Marco Tschirpke über Kleinkunst, Bierböcke und Ärger

Erst muss die Gitarre stimmen, dann geht's stimmungsvoll los: Marco Tschirpke
Erst muss die Gitarre stimmen, dann geht's stimmungsvoll los: Marco Tschirpke

Sie verdienen Ihre Brötchen damit, Menschen zum Lachen zu bringen. Gelingt dies in diesen düsteren Zeiten überhaupt noch? Und kann man damit auch die Wurst und den Käse zum Brötchen verdienen?

Interview

Er ist unerschrocken, tollkühn, übermütig: ein Recke aus Rathenow. Sein Schild und Schwert sind Klavier und Feder. Mit Humor, Esprit und Eigensinn spottet der Musikkabarettist Marco Tschirpke, Jg. 1975, über grüne Minister und »Reichsbürger«, zeigt der kapitalistischen Kälte die kalte Schulter und erklärt der Kriegstreiberei den Krieg. Der studierte Musiker, Absolvent der Folkwang-Hochschule Essen, seit 2002 in Berlin lebend, veröffentlichte dieser Tage neue politische Lyrik: »Dichten bis ich Dresche kriege« (Eulenspiegel-Verlag, 95 S., geb., 15 €). Im kommenden Jahr ist er wieder auf Tour.

Ich staune selber, dass das geht. Und zwar beides. Letzteres erkläre ich mir so: Im Gegensatz zu meinen gesellschaftlichen Ansprüchen sind meine privaten bescheiden.

Der 13. Dezember wurde in der DDR alljährlich als Pioniergeburtstag begangen. Sie sind noch Jungpionier geworden, aber nicht mehr FDJler? Sie gehören der Generation der Wende- respektive »Zonenkinder« an.

Ich war 1989 vierzehn und hatte noch ein paar Wochen lang ein Blauhemd, aber diesbezüglich keine Gefühle. Als freier deutscher Jugendlicher hatte man andere Interessen.

Weinen Sie der DDR eine oder zwei oder gar keine Tränen nach?

Der DDR weine ich keine Träne nach, dem Sozialismus schon. In unserem gesitteten Haushalt unterscheidet man zwischen Grundidee und Ausformung.

Sie vertonen Lieder von Peter Hacks. Als er von der großen Bühne des Lebens abtrat, betraten Sie die Bühne der sogenannten Kleinkunst. Empfinden Sie diesen Begriff nicht als Beleidigung für Ihren Berufsstand? Denn auch diese fordert harte Arbeit, Schweiß und Tränen, kann ich mir vorstellen.

Kleinkunst ist die natürliche Schwundstufe der Kunst. Aber da sie unabhängig ist von einem Theaterapparat mit seinem Personal, seiner Bürokratie, besteht ihre Herausforderung darin, die Kargheit der Mittel vergessen zu lassen. Darüber hinaus ist es freilich ein großer Luxus, nicht weisungsgebunden zu arbeiten.

In einem Ihrer Gedichte, abgedruckt in Ihrem neuen Lyrik-Band, fordern Sie ihre Leser*innen frank und frei auf: »Nenn mich einen Bolschewisten…« Haben Sie keine Angst, dass dieses Schreckgespenst in deutschen Landen Ihnen das Publikum vergraulen könnte? Und warum haben Sie nicht gedichtet: Nenn mich einen Bolschewiken – für manche ein gravierender Unterschied in Glaubensfragen. Weil sich das dann nicht gereimt hätte?

Ich würde es keine Aufforderung nennen; ich nehme lediglich eine mögliche Reaktion (sic!) vorweg. Na, und der gemütliche deutsche Kabarettbesucher zuckt so schön zusammen bei dem Wort, da ist er ganz wach.

Wie ist das mit der Eingebung bei Ihnen? Wann kommen Ihnen die besten Ideen? Benötigen Sie zur Inspiration wie Friedrich Schiller einen faulen Apfel?

Ich habe eher das Problem, dass ich bestimmte Einfälle lieber nicht hätte. Zum Beispiel schreibe ich jedes Jahr drei bis vier Pferdelieder – und weiß beim besten Willen nicht, weshalb.

Sie nennen Ihre Gags »Lapsuslieder«? Hat Ihnen ein Lapsus mal richtig Ärger eingebracht?

Auf ein Gedicht über Franz Marc und August Macke hin erhielt ich Post von der Direktorin des August-Macke-Hauses in Bonn. Sie warf mir vor, historische Tatsachen zu verfälschen. Ein wunderbarer Ärger!

Große Aufregung im Feuilleton war just, dass Kurt Krömer ein Interview mit Faisal Kawusi abbrach, diesem Sexismus und Rassismus vorwerfend, worauf jener ihn einen Moralapostel schimpfte. Gibt es auch für Kabarettisten, Comedians rote Linien?

Unter migrantischen Comedians gibt es einige, die den Sex- und Rassismus des deutschen Publikums bedienen. Dabei bemerken sie selbst es oft nicht. Oder erst, wenn ich es ihnen sage.

Auffällig ist, dass Sie in wenigen Zeilen große historische Themen angehen und sich an großen historischen Persönlichkeiten reiben, von Platon, Marat bis Marie-Antoinette und weiß nicht wen noch. Haben Sie keine Angst, sich dabei zu verheben? Nicht nur Museumsdirektor*innen, Wissenschaftler allgemein, namentlich Historiker, können gut meckern.

Heutzutage ist die Quellenlage selbst für Laien recht gut. Und da Historiker immer auch zu bestimmten Lagern gehören, sehe ich mich selbst nicht so immens zur Neutralität verpflichtet.

Ist Ihnen schon widerfahren, dass eine Pointe nicht verstanden wurde, betretenes Schweigen im Saal herrschte? Was ja der peinlichste Moment für Kabarettisten sein dürfte.

Das will ich ja mal hoffen, dass nicht jede Pointe von allen verstanden wird! Wirklich, dann würde ich etwas falsch machen. Die traurige Regel ist doch, dass der Zuschauer unterfordert wird. Dabei liebt er die Überforderung, wenn sie ihm schmackhaft gemacht wird.

Sie haben – so scheint es mir – vor nix und niemandem Respekt – weder vor der Bundesregierung noch vor dem British Empire, nicht vor Biermann oder Baerbock. Haben Sie keine Bange, doch mal verdroschen zu werden?

Bange hätte ich, wenn man mir das Bundesverdienstkreuz andrehen wollte. Bierböcke bereiten mir persönlich keine Sorgen, aber sie sind eine Gefahr für andere Völker.

Ihr Spott klammert Leser linker Blätter nicht aus. Aber nd-Abonnenten haben Sie da nicht im Visier. Hoffe ich doch.

Gemeint ist stets, wer sich angesprochen fühlt. Jeder Abonnent jeder Zeitung liest sein Blatt, um in den eigenen Ansichten bestätigt zu werden. Er ist Teil einer Gruppe, die sich nie trifft, aber das Weltbild teilt. Darum, glaube ich, geht es in dem betreffenden Gedicht.

Ist es für Sie nicht furchtbar lästig, dass nervige Journalisten von Ihnen – wie generell von Vertreter*innen Ihrer Zunft – immer lustige, witzige Antworten erwarten? Sie können ehrlich antworten, ich verdresche Sie nicht. Pionierehrenwort.

Die Sünden der Journalisten liegen in ganz anderen Bereichen.

Marco Tschirpke stellt seinen neuen Gedichtband am 23. Februar 2023 in Berlin vor: 15 Uhr, Helle Panke, Kopenhagener Str. 9, 10437 Berlin.

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