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In den Fängen der Kirche
Die christlichen Kirchen in Südkorea kümmern sich um Geflüchtete aus dem Norden besonders – auch aus politischen Gründen
Als Yeonhee ihre ersten Male in einer Kirche verbrachte, war sie schockiert, aus was für einer Hölle sie gekommen sein sollte: »Der Pastor sagte, Nordkorea sei das Werk des Teufels. Wer sich dort wohlfühle, sei böse.« Deshalb müsse man viel für Nordkorea beten, damit es endlich Frieden gebe und dieses Regime sein Ende finde. Yeonhee hätte das persönlich nehmen können, schließlich ist Nordkorea ihre Heimat. Und natürlich war sie dort unzufrieden. Sonst wäre sie nicht geflohen.
Die heute 32-Jährige kam vor zwölf Jahren ins liberale Südkorea, um einen Weg aus der Armut zu finden. Ihre Mutter verkaufte im Norden illegal gefangene Tiere, damit die Familie über die Runden kommen konnte. Zu essen gab es daheim genug, aber an Strom mangelte es oft. Yeonhees Fluchtroute führte zunächst über die Nordgrenze ins befreundete Nachbarland China, von wo aus sie mehr als ein Jahr später nach Südkorea reisen konnte. Doch obwohl sie in Südkorea endlich wieder ihre Muttersprache hörte, fühlte sich Yeonhee genauso fremd wie zuvor in China.
Die Geschichte von Yeonhee, die ihren wahren Namen nicht nennen will, weil ihre Familie noch im Norden lebt, ist typisch: Seit dem Korea-Krieg, der 1953 nur in einem Waffenstillstand endete, verließen zahlreiche Menschen den diktatorisch regierten Norden gen Südkorea. Allein seit Ende der 90er Jahre waren es rund 33 000. Viele von ihnen leiden im Süden unter Diskriminierung, sowohl im Bildungssektor als auch auf dem Arbeitsmarkt, wo sie im Schnitt geringere Einkommen erzielen.
Während im Norden die Lebenswege eher vorgezeichnet sind, das Individuum also vermeintlich weniger Risiken eingehen muss, gilt im Süden jeder als seines eigenen Glückes Schmid. »Ich weiß von vielen, die im Süden einfach nicht zurechtkommen«, sagt Yeonhee. Das Leben sei zwar voll mit Möglichkeiten, aber auch voll von Überforderung und sozialer Gleichgültigkeit. Anschluss finden viele Flüchtlinge, wie auch Yeonhee, dann in einer Kirche. Akademische Untersuchungen schätzen den Anteil der Flüchtlinge, die der christlichen Kirche beitreten, auf beeindruckende 80 Prozent.
In einem Restaurant in Seoul erzählt Yeonhee davon, wie das sein kann bei Menschen, die aus einem Staat kommen, dessen Bildungssystem den Atheismus lehrt und einen Führerkult um die Kim-Dynastie betreibt: »Nach meiner Ankunft lernte ich ein Mädchen aus Nordkorea kennen, die eine strenge Christin geworden war. Sie lud mich ein, mit ihr in die Kirche zu gehen. Ich hatte keine Ahnung, was ich da machen sollte.« Freunde hatte Yeonhee aber auch keine, emotionale Unterstützung konnte sie gebrauchen. »Alle waren so nett, und ich fühlte mich nicht mehr anders!«
Schnell fand Yeonhee heraus, dass ihre Kirche, die Youngnak Church, zu den größten Kirchen Südkoreas gehört – und viele Mitglieder alte Verbindungen nach Nordkorea haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Religionsgemeinschaft im Süden von Gläubigen gegründet worden, die nicht im kommunistischen Einparteienstaat hatten leben wollen. Bald wurde diese presbyterianische Kirche zu einer Anlaufstelle für weitere Menschen aus dem Norden.
Nach Feierabend trifft sich Yeonhee mit ihrer Freundin Bomhee, die ebenfalls aus dem Norden stammt. Wenn Yeonhee vom Christentum erzählt, äfft Bomhee die Staatsdoktrin ihres Geburtslandes nach: »Du musst an Kim Jong-un glauben! Einen Gott gibt es nicht!« Yeonhee muss laut lachen, gibt aber auch zu: »Ich habe an die Gehirnwäsche geglaubt. Im Norden sehen wir Südkorea doch als Verräter unserer kommunistischen Ideale. Südkorea sei nur reich, weil es Geld vom Feind erhalte, den USA.«
Wegen dieser Propaganda waren die Predigten in der Kirche für Yeonhee zunächst befremdlich. Bis heute widerspricht sie teilweise: »Ich glaube nicht, dass Nordkorea das Werk des Teufels ist. Das ist übertrieben. Es ist eine Diktatur.« Gut aufgenommen in der Kirche fühlte sie sich dennoch – anders als ihre Freundin Bomhee, die schon einige Jahre früher nach Südkorea gekommen war und ebenfalls schnell auf eine Kirche traf: »Man wurde ständig gehätschelt. Das fühlte sich unecht an. Deshalb habe ich es da nicht lange ausgehalten. All das Gesinge und so.«
Dass Yeonhee und Bomhee unabhängig voneinander in Kontakt mit Kirchen kamen, ist kein Zufall. Neben dem Buddhismus ist das Christentum heute die am weitesten verbreitete Glaubensrichtung in Südkorea. Sowohl der Katholizismus als auch diverse Formen des Protestantismus sind vertreten. Beide verdanken ihre Popularität maßgeblich dem Nachkriegsboom, als Südkorea sich binnen drei Jahrzehnten von einem Agrarland zu einem Industriestaat entwickelte.
In dieser Zeit schafften es die Kirchen, ihren Glaubensweg als eine Art Pfad zum Wohlstand zu etablieren. Kirche und Kapitalismus schienen im Südkorea der Nachkriegsjahre auch deshalb kompatibel, weil beides oft von US-Amerikanern repräsentiert wurde. Und im US-amerikanisch geprägten südkoreanischen Kapitalismus, der sich bis heute durch einen rudimentären Sozialstaat auszeichnet, stiegen die Kirchen zu Einrichtungen des Netzwerkens und sozialer Fürsorge auf.
Das gilt besonders für diverse Großkirchen, die sonntags Zehntausende Gläubige in konzerthallenartigen Kirchenschiffen vereinen. »Die Megachurches sind in der Regel politisch ultrarechts einzuordnen«, sagt Geol Ahn-jin, ein bekannter südkoreanischer Journalist. »Im Wahlkampf stellen sie sich auf die Seite der Konservativen Partei und führen einen Feldzug gegen den Kommunismus.« Ahn fügt hinzu: »Deshalb nähern sich die Megachurches auch oft den Flüchtlingen aus Nordkorea an. Die sind verwundbar, wenn sie in Südkorea ankommen. Sie suchen Anschluss.«
In ihren neuen Gemeinden würden die Flüchtlinge aus dem Norden dann als Kronzeugen genutzt, mit denen sich auch im Süden Politik in eigener Sache machen lasse. »Die Megachurches bezeichnen Nordkorea als Imperium des Bösen, weil sich so auch vor allzu viel Sozialstaat im Süden warnen lässt«, so Ahn. Das Argument dahinter: Ein fürsorglicher Sozialstaat sei der halbe Weg zum Kommunismus und in die Armut. Die Flüchtlinge sollen diese Annahme mit Zeugenberichten bestätigen.
Tatsächlich ist Südkorea, wo Gewerkschaften eher schwach sind und das Bildungssystem weitgehend privatisiert ist, wohl weiter von kommunistischen Gesellschaftsformen entfernt als die meisten Staaten der Welt. Dennoch fallen Predigten in den Megachurches häufig dadurch auf, dass sie den freien Markt loben und den Staat kritisch sehen. Schließlich haben die Kirchen ihre eigenen Sozialeinrichtungen – finanziert durch Kollekten ihrer Mitglieder. Von guten Christen wird in Südkorea erwartet, zehn Prozent ihres Einkommens an die Kirche zu entrichten.
Die Megachurches, darunter die Youngnak Church, werden daher nicht nur dafür kritisiert, im angespannten Korea-Konflikt Öl ins Feuer zu gießen, sondern auch dafür, dies aus ökonomischen Motiven zu tun: je kleiner der Sozialstaat, desto größer die Aufgaben der Kirchen. Auf Interviewanfragen reagieren Vertreter der Megachurches nur selten. Bei einem Treffen der evangelikalen »Lausanner Bewegung« aber verteidigte deren koreanischer Vertreter Lee Sou-Young die Großkirchen: »Es ist nicht vernünftig, Megachurches blind zu kritisieren.«
»Nur Megachurches können Schulen finanzieren, Waisenhäuser, Pflegeheime, Wohlfahrtsleistungen für behinderte Personen, Krankenhäuser oder Medienanstalten«, so Lee. Selbstverständlich geschehe dies dann nach christlichen Werten. Als Mitglied aber profitiere man davon, weiß wiederum Yeonhee. »Die meisten Leute aus Nordkorea, die hier zu Christen werden, brauchen einfach Hilfe«, sagt sie und sieht etwas beschämt aus. Aber als Geflüchtete aus Nordkorea erhalte man diese unbürokratisch.
»Die großen Kirchen unterstützen uns Nordkoreaner eben finanziell.« Deshalb ist Yeonhee bei ihrer Kirche geblieben. »Ich brauchte ein Stipendium, um an die Uni gehen zu können. Es gab so eine Art Trainingsprogramm, das einen auf die Tests vorbereitet hat.« Monatlich erhielt Yeonhee dann umgerechnet rund 200 US-Dollar. Eine strenggläubige Christin sei sie bis heute nicht. Aber ihrer Kirche habe sie viel zu verdanken, fühle sich ihr verpflichtet. Durch ein Auslandssemester in den USA lernte sie fließend Englisch, später fand sie einen Job in der Qualitätskontrolle.
Zudem will Yeonhee einige Elemente des Glaubens nicht missen: »Als ich das erste Mal gebetet hatte, fühlte ich mich total erleichtert. Meine Gedanken schienen sich geordnet zu haben. Wenn ich mir wegen etwas Sorgen mache, bete ich heute. Das hilft mir.« Sollte sie aber eines Tages ihre Eltern wiedersehen, wüsste sie nicht, was sie ihnen erzählen würde: »Es ist besser, meine Eltern wissen nicht, dass ich eine Christin bin.« Yeonhee ist sicher, sie würden es nicht verstehen.
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