Was vom Bergbau übrig bleibt

Braunkohlesanierung Ost ist ein politischer Sanierungsfall

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Lugteichgebiet im Jahr 2011
Das Lugteichgebiet im Jahr 2011

Wer spüren will, was Ewigkeitslasten des Braunkohlebergbaus sind, fahre in die Lausitz und stoppe kurz vorm sächsischen Hoyerswerda. Dort befand sich einst das Abbaugebiet Laubusch/​Kortitzmühle. 1962 beendete die DDR die Kohleförderung im Tagebau Laubusch, ließ das mehr als 2000 Hektar große Gebiet aber mehr oder weniger liegen. Erst nach der deutschen Einheit wurde ein Sanierungsplan erstellt und 1998 beschlossen. »Mögen alle, die für das Sanierungsgebiet Verantwortung tragen, ihre Anstrengungen auf eine zügige Verwirklichung der Ziele des Braunkohlenplanes richten«, schrieb der damalige Landrat in den Plan.

Die »zügige Verwirklichung« blieb aus. 60 Jahre nach Förderende und 25 Jahre nach dem Beschluss über den Braunkohleplan ist das Lugteichgebiet – unter dem Namen firmiert es heute – weiter zu großen Teilen gesperrt. »Betreten verboten! Es besteht Gefahr für Leib und Leben«, warnen große Tafeln. Inzwischen ist das Sanierungsgebiet auch ein politischer Sanierungsfall. Die Geschichte, wie es dazu kam, beginnt unter anderem damit, dass das sächsische Oberbergamt, die zuständige Aufsichtsbehörde, die Sanierung des Lugteichgebiets zunächst federführend selbst in die Hand nahm.

Dazu nahm das Bergamt die Dienste der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) in Anspruch. Die LMBV hat das Know-how und saniert seit 1992 die ehemaligen Braunkohleflächen, die die DDR unsaniert ließ oder für die wegen der Schrumpfung der Braunkohlewirtschaft nach der Einheit keine Verwendung mehr bestand. 2016 änderte das Oberbergamt dann offenbar seine Meinung und stellte fest, es habe zu DDR-Zeiten doch bergbauliche Tätigkeit im heutigen Lugteichgebiet gegeben – und damit liege die volle Verantwortung für die Sanierung wieder bei der LMBV. Den wahren Grund für den Sinneswandel sehen Beobachter vor allem darin, dass seit der Jahrtausendwende sogar eigentlich schon sanierte Bergbauflächen ziemlich unerwartet ins Rutschen gerieten. So kam es 2010, wenige Kilometer vom Lugteichgebiet entfernt, im Bergener See, einem Restloch des ehemaligen Braunkohletagebaus Spreetal, zu einer großen Rutschung. Eine Ursache für diesen sogenannten Grundbruch ist der Anstieg des Grundwasserspiegels. Wenn nach der Bergbauzeit die Pumpen abgestellt werden, die die Tagebaue trocken hielten, dringt das Wasser in Hohlräume ein und das Bodenmaterial rutscht zusammen.

Nach dem Grundbruch kam es, wie die LMBV schreibt, vor allem im Nordraum des Lausitzer Reviers zu weiteren Geländeeinbrüchen. »Dies hatte zur Folge, dass erneut großflächige Sperrungen von über 20 000 Hektar vorgenommen werden mussten – überwiegend auf Kippenflächen, die bereits zur Nutzung freigegeben waren«, heißt es auf der Website des Sanierungsunternehmens. Angesichts dessen bekam das Bergamt offenbar kalte Füße und sorgte dafür, dass der LMBV wieder die Verantwortung fürs Lugteichgebiet übergeholfen wurde. Der Sanierer wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen, nicht nur wegen der Kosten. Denn inzwischen hatte die Treuhandnachfolgerin BVVG, der Waldflächen in den ehemaligen Bergbaugebieten formal gehören, hunderte Hektar Wald aus dem Lugteichgebiet verkauft – an Unternehmer, die hoffen, mit dem reichlich vorhandenem Wald Geschäfte machen zu können.

All das hat sich inzwischen zu einem nahezu unentwirrbaren Knäuel verwoben. So befasste sich eine Anhörung im sächsischen Landtag im März allein damit, wo und wie viele Schilder aufzustellen sind, um vor einem Betreten des Gebietes zu warnen. In der Anhörung gestattete laut dem Protokoll ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums aber auch einen Blick ins wahre Gemüt der Sanierungsverantwortlichen: Sanierungskapazitäten stünden nicht unbegrenzt zur Verfügung. Dementsprechend reichten die Planungen der LMBV für die Gesamtsanierung bis ins Jahr 2070, skizzierte der Behördenvertreter.

Experten aus der Region, die mit Journalisten nur unter Zusicherung von Anonymität reden, schätzen die Kosten, um allein die rund 2000 Hektar Lugteichgebiet wirklich zu sanieren, auf etwa 150 bis 160 Millionen Euro. Das wären ungefähr 75 000 Euro pro Hektar. Seit 1992 soll die LMBV laut aktuellen Angaben mit einem Aufwand von fast zwölf Milliarden Euro rund 100 000 Hektar an Bergbauflächen saniert haben. Das sind pro Hektar rund 120 000 Euro. Gemessen daran würde allein die Sanierung der mehr als 30 000 Hektar Innenkippen zwei bis drei Milliarden Euro kosten.

Das letzte Woche vom Bund und den vier ostdeutschen Kohleländern unterzeichnete neue Abkommen zur Braunkohlesanierung sieht für die kommenden fünf Jahre ein Finanzvolumen von 1,4 Milliarden Euro vor, 200 Millionen mehr als in der vorherigen Vereinbarung. Wie viel davon für die eigentliche Sanierung zur Verfügung steht, ist nicht ganz klar. Fest steht nur nur: Das Geld reicht nicht, um auch nur in die Nähe einer abgeschlossenen Sanierung zu kommen. Ein Ende der Braunkohlesanierung sei gegenwärtig nicht absehbar, stellen denn auch Bund und Länder in dem neuen Vertrag fest. Vor der Aussicht, alles könne auf eine ewige Sanierung mit nicht bezifferbaren Kosten hinauslaufen, graut offensichtlich Bund und Ländern. Im neuen Abkommen ist denn auch eine Klausel zu finden, in der es heißt, dass die Kosten einer Sanierungsmaßnahme in einem »angemessenen Verhältnis zum Nutzen für die Allgemeinheit stehen sollen«. Am preiswertesten wäre es natürlich, Flächen wie das Lugteichgebiet weitgehend sich selbst zu überlassen. Dort sind inzwischen wertvolle Biotope entstanden.

Große Teile der Lausitz aber dauerhaft zum Sperrgebiet zu erklären, ist mit der Region nicht zu machen und ihr auch nicht zuzumuten. Was wird dann aus den hochfliegenden Plänen zum Strukturwandel, aus der Lausitzer Seenlandschaft oder der grünen Gigawattfactory? Experten plädieren deswegen dafür, die Sanierungsstandards abzusenken, nicht nur um die Kosten zu begrenzen. Selbst eine teure Sanierung, argumentieren sie, könne am Ende auf den ehemaligen Bergbauflächen keine 100-prozentige Sicherheit bieten. Die nächste Frage wäre: Was ist ein angemessenes Risiko für die sanierten Flächen? Die Debatte darum wird nicht zu umgehen sein. Die Braunkohlesanierung ist zum politischen Sanierungsfall geworden.

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