Rüstiger Rentner oder Tattergreis

Diskriminierung aufgrund des Alters gehört zum Alltag

Er hat vermutlich keinen Spaß am Seniorentanztee.
Er hat vermutlich keinen Spaß am Seniorentanztee.

Bei der Vorstellung einer Studie zur Altersdiskriminierung in Deutschland fängt Ferda Ataman mit ganz praktischen Beispielen aus ihrer Arbeit an. Kürzlich habe sich ein Mann gemeldet, erzählt die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, 61 Jahre, Ingenieur. Eine Fachkraft wie sie doch so dringend gesucht wird. Er hat dutzende Bewerbungen geschrieben. Doch Einladungen zu Vorstellungsgesprächen kamen kaum. Und als es einmal klappte, hörte er im Rausgehen, dass er »zu alt« sei. Ein anderes Beispiel: eine Ärztin, 60 Jahre alt. Um ihre Praxis zu renovieren, benötigte sie einen Kredit. Den gab es nicht, der Bank war sie zu alt. Aber auch andersrum funktioniert Altersdiskriminierung. Ein junger Mann berichtete Ataman, dass er eine Beförderung nicht bekam, weil er sich »noch gedulden« sollte.

Alltägliche Beispiele, die wahrscheinlich jeder kennt. Darin sieht Ferda Ataman ein Problem. »Altersdiskriminierung wird oft als normal eingeschätzt«, erklärt sie. Das will sie ändern, der Abbau von Ageismus, so der Fachbegriff, soll ein Schwerpunkt ihrer Amtszeit sein. Ein wichtiger Ansatzpunkt, um darüber mehr zu erfahren, sei die am Mittwoch vorgestellte Studie »Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland«.

Rund 15 Prozent der Beratungsanfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hängen mit Altersdiskriminierung zusammen. Die Menschen erlebten bei der Jobsuche, bei der Karriere, Bank- und Finanzdienstleistungen oder Ehrenämtern, dass ihr Alter eine Rolle spielt, so Ataman. Klischees und Stereotype über ältere Menschen seien fest in der Gesellschaft verwurzelt.

Vorgestellt wurde die Studie von Eva-Marie Kessler, Gerontopsychologin von der Medical School Berlin. Was Kessler dann darlegte, zeigte, dass in Deutschland ein gemischtes Bild von alten Menschen vorherrscht. So hätten alte Menschen oft ein hohes Ansehen, etwa wenn es um ihre beruflichen Fähigkeiten geht, sie würden auch nicht als »volkswirtschaftliche Last« angesehen. Gleichzeitig erwarten etwa ein Drittel der Befragten, dass sich Alte aus der Gesellschaft zurückziehen und ihr nicht zur Last fallen. Kessler kritisiert diese Einstellung als »Einladung zu altersdiskrimierendem Verhalten«. Viele der Befragten, die so antworteten, waren selbst älter, dies zeige einen »verinnerlichten Ageismus«, erklärte die Wissenschaftlerin.

Die jüngeren Befragten nehmen Alte oft als »Blockierer« wahr. In einer Frage zum Klimawandel erklären dies 63 Prozent der zwischen 16- und 24-Jährigen. Über alle Altersgruppen verteilt, glauben immerhin 40 Prozent, dass die älteren Menschen die Gesellschaft bei der Bekämpfung des Klimawandels im Stich lassen. 53 Prozent der Befragten sagen, ältere Menschen trügen nicht entscheidend zum gesellschaftlichen Fortschritt bei.

Wann überhaupt ein Mensch als alt gilt, wurde auch in der Studie abgefragt. Das Ergebnis: eine große Spannbreite. Für manche sind schon 40-Jährige alt, andere sehen erst Menschen weit über 70 als alt an. Im Durchschnitt werden 61-Jährige als alt wahrgenommen. Für Eva-Marie Kessler ein zentrales Problem. Wenn Menschen schon mit 61 als alt angesehen werden, hätten sie es schwer, etwa im Beruf noch Fortbildungen zu bekommen. Dabei haben sie bis zur Rente noch mehrere Arbeitsjahre vor sich. Es handele sich auch um eine sehr frühe Wahrnehmung von Menschen als alt, in den Niederlanden würden erst über 70-Jährige als alt angesehen. Allgemein werde der Anteil alter Menschen in Deutschland als zu hoch eingeschätzt. So glauben 74 Prozent der Befragten, dass die über 70-Jährigen fast ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Dabei sind es gerade 18 Prozent.

Kessler macht dafür auch das mediale Bild von Alten verantwortlich, etwa Berichterstattung über den Pflegenotstand. Insgesamt gebe es oftmals ein »defizitorientiertes Altersbild«, dem öfter ein Bild entgegen gesetzt werden könnte, dass die Potentziale von alten Menschen verdeutlicht. In Deutschland gebe es zwar kein stark negatives Altersbild, aber Wahrnehmungen von älteren Menschen könnten vielfältiger ausfallen, so das Fazit der Wissenschaftlerin.

Für Regina Görner, die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, überwiegt ein »überholtes Altersbild«. Die ehemalige CDU-Politikerin äußerte sich überrascht über die Ergebnisse der Studie. Seit 35 Jahren würde über Altersbilder gesprochen. Sie findet es »schockierend«, dass es noch immer viele Vorurteile etwa die Leistungsfähigkeit oder Kreativität von Alten betreffend gibt.

Für Görner bedeutet Altersdiskriminierung eine »gigantische Ressourcenverschwendung in unserer Gesellschaft«. Ältere kämen am Arbeitsplatz oft nicht zum Zuge, dabei hätten sie besondere Talente wie Erfahrung und Resilienz. Dabei sei bekannt, dass Teams oft dann besonders gut sind, wenn sie sich aus unterschiedlichen Generationen zusammensetzen. Auch im ehrenamtlichen Bereich würde ohne Alte nicht viel funktionieren. Bei jungen Menschen hingegen sei in der Arbeitswelt oft viel Flexibilität gefordert, regelmäßige Termine etwa im Sportverein seien daher schwer umzusetzen. »Es verändert sich nur was, wenn Menschen Rechtsansprüche haben und die dann auch wirklich einklagen können.« Die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, der 123 Vereine und Verbände angehören, greift damit einen Vorschlag von Ferda Ataman auf.

Die Antidiskriminierungsbeauftragte sprach sich dafür aus, dass der Begriff »Lebensalter« in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird. Das wäre aus Atamans Sicht ein wichtiges »politisches Zeichen gegen Altersdiskriminierung«. Es müsse klar sein, dass Ungleichbehandlung aufgrund des Alters »inakzetabel« ist. »Ageismus führt im Alltag und Berufsleben oft zu Diskriminierungen. Gerade mit Blick auf den demografischen Wandel ist es wichtig, dass wir hier stärker aufklären«, führte sie ihre Ziele aus. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, in dem Altersdiskriminierung vorkommt, müsse gestärkt werden. Pauschale Ungleichbehandlungen bei Versicherungen sollten genauso abgeschafft werden wie Höchstgrenzen für ehrenamtliche Tätigkeiten.

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