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Letzte Generation: Ziviler Ungehorsam als Stoppsignal
Wir brauchen nicht die Kriminalisierung von Aktivisten, sondern schnelle Maßnahmen gegen den Klimawandel
Die weltweite Klima- und Umweltbewegung warnt seit Jahrzehnten vor Auswirkungen, die der Großteil der Menschen im globalen Norden lange Zeit weitgehend ausblenden konnte: Hitzewellen mit Tausenden Toten, Überschwemmungen und Dürren. Bis vor Kurzem schien es vielen Menschen bei uns undenkbar, dass diese Folgen der Klimakrise sie oder ihre Kinder direkt betreffen würden. Doch die letzten Jahre haben diesen Irrglauben offengelegt: Jedes der vergangenen acht Jahre war heißer als alle vorangegangenen in der Geschichte der Menschheit. Allein in Europa starben in diesem Sommer mindestens 15 000 Menschen direkt an den Folgen der verheerenden Hitzewellen. Die Flutkatastrophe an Ahr und Erft hat einige Menschen zum Nachdenken gebracht. Auch die jahrelange Dürre ist nicht mehr länger nur dadurch sichtbar, dass die Satellitenbilder von Europa brauner aussehen als vor fünf Jahren. In einigen Kommunen in Deutschland musste im Sommer bereits die Wasserentnahme verboten werden. Diese Vorboten der drohenden Konsequenzen einer verfehlten Politik sickern nur langsam ins Bewusstsein ein. Gleichzeitig wird die Klimabewegung kriminalisiert.
Die Bundesregierung handelt so, als ob es die Klimafolgen und das stärker werdende Unbehagen in der Bevölkerung nicht geben würde. Der Angriffskrieg Russlands wird genutzt, um unter dem Deckmantel der Energiesicherheit für Jahrzehnte fossile Träume der Flüssiggasindustrie zu zementieren und Erdgas im Senegal fördern zu lassen. Die FDP versucht ernsthaft, die Sektorenziele im Klimaschutzgesetz aufzuweichen. Trotz dieses zentralen Angriffs auf den Klimaschutz hält die SPD sich zurück. Statt aufzuschreien, überlegen die Grünen, welche kleineren Maßnahmen sie im Gegenzug für die Verwässerung des Klimaschutzgesetzes aushandeln könnten. Klimaminister Habeck möchte ernsthaft klimaschädlichen Wasserstoff aus Erdgas mit Milliardenbeträgen fördern.
Die Klimaziele wurden nicht erst in diesem Jahr sowohl im Verkehrs- als auch im Gebäudebereich verfehlt. Ausreichende Maßnahmen, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen: Fehlanzeige. Die Maßnahmen im Verkehrsbereich waren gar so bedeutungslos, dass sie selbst den regierungseigenen Expertenrat ratlos zurückließen. Diese Regierung bricht geltendes Recht im Klimaschutz. Sie setzt damit unsere Lebensgrundlagen, wie die Versorgung mit Wasser und Nahrung, aufs Spiel. Wer glaubt ernsthaft, dass sich zwar bis 2030 noch nichts ändert, danach aber wirklich etwas im Kampf gegen die Krise passiert? Die Frage von Klimaktivist*innen »Was, wenn die Regierung das nicht im Griff hat?« ist berechtigt.
Wenn wir aus einer nicht allzu fernen Zukunft zurückblicken, wird noch deutlicher als heute, wie unangemessen und absurd die Kriminalisierung gewaltfreier Klimaproteste ist. Die Umweltbewegung hat zivilen Ungehorsam als letztes Mittel eingesetzt, um etwa Wälder vor Braunkohlebaggern zu retten oder Castor-Transporte zu blockieren. In diesem Sinne kann ziviler Ungehorsam Teil einer gesunden Demokratie sein. Denn die aktuellen Proteste stellen nicht die Rechtsordnung in Frage. Die Beteiligten sind bereit, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen. Sie verlangen die Einhaltung von Gesetzen durch die rechtbrechende Regierung. Forderungen wie die nach Tempolimit 100 und der Weiterführung des 9-Euro-Tickets wären leicht umsetzbar.
Wer Menschen als Terrorist*innen bezeichnet, weil sie mit Kartoffelbrei auf Kunstwerke hinter Glas werfen, stellt sie auf eine Stufe mit bewaffneten Reichsbürger*innen, die einen Staatsstreich planen. Das polarisiert in einer Zeit, in der Dialog und schnelles Handeln für Klimaschutz notwendig wären. Im Fokus der Klimadebatten sollten vielmehr die Regierung und die Maßnahmen stehen, die jetzt umgesetzt werden müssen, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern.
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