• Berlin
  • Überlastung Krankenhäuser

Kurz vor dem Kollaps

Berliner Krankenhäuser schalten in den Notbetrieb, jetzt will die Politik gegensteuern

  • Marten Brehmer
  • Lesedauer: 4 Min.

Schlechteres Timing kann es kaum geben: Während die Krankenhäuser bundesweit zum Jahresende von mehreren Infektionswellen überrollt zu werden drohen und vor allem die Kinderstationen die Überlastungsgrenze schon längst überschritten haben, muss die Brandenburger Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zugeben, dass die Anzahl der Krankenhausbetten für Kinder im vergangenen Jahr gesunken ist. 795 Betten standen 2021 in ganz Brandenburg zur Verfügung – das sind 28 weniger als im Vorjahr. Das setzt einen Trend fort, der seit 2018 anhält. Katharina Slanina sprach von einer »skandalösen Logik, dass die Kliniken bei unseren Kleinsten spären müssen, weil sie sich nicht rechnen«.

Gemeint ist damit, dass die Fallpauschalen, die die Krankenhäuser für die Behandlung der Kinder erhalten, häufig die realen Kosten nicht decken. Vor allem der erhöhte Personalaufwand, der für die Versorgung von Kindern notwendig ist, wird kaum berücksichtigt. Die Belegung der Betten schwankt zudem bei Kindern besonders stark mit den Jahreszeiten. Für viele Krankenhäuser rechnen sich die Kinderstationen daher schlicht nicht. Damit sie besser mit anderen Krankenhäusern konkurrieren können, legen sie ihre Schwerpunkte auf profitablere Bereiche. Zugleich ist die Zahl der Kinderärzte leicht gesunken.

Das auf Wettbewerb ausgerichtete Finanzierungssystem für Krankenhäuser erreicht in diesen Tagen seine Grenzen – mit fatalen Konsequenzen für die Patienten. »Die Folgen der Unterfinanzierung bei Betriebsmitteln und Investitionen zeigen sich nun akut«, teilt der Berliner Krankenhausverband mit. Zu den schon im Umlauf befindlichen Corona- und Influenza-Viren ist in den vergangenen Wochen noch das Respiratorische Synzytialvirus (RS-Virus) hinzugekommen. Die Lungenkrankheit, die das RS-Virus auslöst, ist vor allem für Kinder und Säuglinge gefährlich. Das Virus ist hochansteckend, ganze Schulklassen sind erkrankt. Zugleich infiziert sich auch das medizinische Personal in den Krankenhäusern gehäuft.

In der Summe ergibt das eine explosive Mischung, die die Kapazitäten der Krankenhäuser zu sprengen droht. Notrufe gibt es auch aus Kliniken in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Bremen. Doch in Berlin und Umland ist die Situation besonders dramatisch. Die Lage in den Krankenhäusern spitze sich gerade extrem zu, warnte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Neu erkrankte Kinder müssen aktuell um einen Platz im Krankenhaus bangen.

Die Krankenhäuser versuchen, Personal von den regulären Stationen auf die Kinderstationen zu verlegen, doch dieses Vorgehen hat Grenzen: »Flexibler Einsatz von Personal ist aufgrund zahlreicher Vorgaben und Gesetze sowie akutem Fachkräftemangel kaum möglich«, teilt die Krankenhausgesellschaft mit. Unter der Leitung der Charité wurde ein Netzwerk eingerichtet, mit dem sich die Berliner Kliniken bei der Verteilung der jungen Patienten koordinieren können. Nur: Da ohnehin alle Kliniken überlastet sind, kann wenig verteilt werden.

Teilweise werden daher bereits Kinder an Brandenburger Kliniken weitergegeben, wie das Brandenburger Gesundheitsministerium auf nd-Anfrage bestätigt. Aber auch Brandenburgs Krankenhäuser stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Berliner Charité hat den Notbetrieb erklärt. Um flexibler sein zu können, wurden bis Jahresende alle planbaren Operationen abgesagt. Bei einem Treffen zwischen Senatorin Gote und den Ärzteverbänden wurden weitere Akutmaßnahmen beschlossen. Schulkinder können nun auch ohne Krankschreibung in der Schule fehlen, um Hausärzte zu entlasten. Medizinstudierende werden aufgerufen, in den Krankenhäusern auszuhelfen. Mit der Kassenärztlichen Vereinigung soll es Verhandlungen geben, um mehr Notfallkapazitäten bei niedergelassenen Ärzten zu schaffen. So will man die Situation in vor allem an den Wochenenden überlasteten Notaufnahmen entschärfen. Den Umschwung werden diese Maßnahmen wohl nicht bringen. »Wir haben relativ wenig Instrumente, um der Situation akut beizukommen«, sagt Tobias Schulze, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Am Dienstag will der Gesundheitsausschuss zusammenkommen. Dann soll es vor allem darum gehen, wie die schon beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden können.

Diskutiert wird voraussichtlich auch über mittelfristige Maßnahmen. »Der Schlüssel ist die Verschränkung von ambulanten und klinischen Bereichen«, sagt Schulze. Bei der Grundversorgung von Kindern gebe es bei niedergelassenen Ärzten große Lücken, warnt er. Zudem brauche es mehr als die derzeit fünf Notfallpraxen in ganz Berlin. »Es kann nicht sein, dass alle in die Rettungsstellen laufen an den Abenden und am Wochenende«, so Schulze.

Auch mit diesen Maßnahmen wird jedoch das Grundproblem der Profitlogik nicht gelöst. Die schon länger anvisierte Krankenhausreform im Bund gewinnt in der aktuellen Situation an Dringlichkeit. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Rolle der Fallpauschalen begrenzen und die Grundfinanzierung der Krankenhäuser stärken. Kinderkliniken sollen im nächsten Jahr 300 Millionen Euro zusätzlich erhalten. Tobias Schulze geht das noch nicht weit genug: »Wir brauchen den Systemwechsel«, sagt er. »Dass das zweitteuerste Gesundheitssystem wegen einer Erkältungswelle vor dem Kollaps steht, zeigt, dass etwas grundsätzlich schief läuft.« mit dpa

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.