Reden statt schießen

Wolfgang Hübner über zehn Monate Ukraine-Krieg

Schon lange nicht mehr war ein Weihnachtsfest so stark von Krisen überschattet wie in diesem Jahr. Den dunkelsten Schatten wirft der Krieg in der Ukraine, der mit dem russischen Überfall auf das gesamte Nachbarland vor genau zehn Monaten eine grausame neue Qualität erreicht hat. Niemand weiß, wie ein Ende dieses Krieges herbeigeführt werden könnte. Gerade erst hat sich der ukrainische Präsident in den USA weitere Waffenhilfe versprechen lassen. Schätzungen zur Zahl der Kriegsopfer reichen bis in den sechsstelligen Bereich; das überschreitet allmählich die Todeszahlen der blutigen Kriege im Ex-Jugoslawien der 90er Jahre. Auf jeden Fall sind die etwa 15 000 Toten, die der Konflikt in der Ostukraine schon seit 2014 gefordert hatte, längst um ein Vielfaches übertroffen.

Es ist bedrückend, wie der Gewöhnungseffekt funktioniert. Wie das Töten in einer gar nicht so fernen Region zum Gegenstand der Nachrichtenroutine wird. Wie das Militärische und die Sprache der Waffen anscheinend ganz selbstverständlich den Alltag bestimmen.

Nun spricht Wladimir Putin von russischer Verhandlungsbereitschaft. Das könnte Anlass zu leiser Hoffnung sein, wenn es nicht die Erfahrung gäbe: Beide Kriegsparteien machen eine solche Bereitschaft abhängig von ihren Erfolgen oder Misserfolgen an der Front. Wer sich gerade militärisch stark genug fühlt, hat keine Lust zum Reden. So ist Diplomatie ein Spielball kriegerischer Konjunktur. Kiew und seine westlichen Verbündeten sollten Putin beim Wort nehmen – egal, wie ernst es gemeint war – und auch selbst nicht auf Sieg, sondern auf schnellstmögliche Waffenruhe setzen. Ansonsten reden wir in einem Jahr über die nächsten 100 000 Toten. Friedensverhandlungen unter solchen Bedingungen sind eine äußert schwierige Angelegenheit. Ein fortgesetzter Krieg wäre eine tödliche Katastrophe.

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