- Wirtschaft und Umwelt
- Klimawandel
Ein Jahr der Extreme
Regenmangel, Flusstiefstände, Waldbrände, Hitzerekorde im Norden – 2022 hatte es in sich
Das erste Wetterextrem des Jahres 2022 in Deutschland sorgte noch nicht für große Schlagzeilen. »In diesem März gab es mehr Sonne als sonst normalerweise in einem durchschnittlichen Juli«, erklärte Andreas Friedrich, Sprecher des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Nach Messungen der Wetterstationen der Bundesbehörde lag die Sonnenscheindauer in diesem Monat bei über 235 Stunden. Das war mehr als das Doppelte des März-Durchschnitts der Periode 1961 bis 1990 mit 111 Sonnenstunden. Der Märzmonat 2022 war damit der mit Abstand sonnenscheinreichste seit Messbeginn 1951.
Viel Sonne bedeutet natürlich wenig Wolken und damit wenig Wasser: In Brandenburg und Berlin fielen im ganzen Monat nicht einmal drei Liter Regen pro Quadratmeter, wo doch im März hier zwölfmal mehr »normal« sind. An der Mecklenburgischen Seenplatte, in der Uckermark und in Vorpommern registrierte der Deutsche Wetterdienst sogar weniger als ein Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Auch andere Regionen litten 2022 schon früh im Jahr unter extremer Dürre – Süddeutschland und der Harz im Oberboden (bis 25 Zentimeter Tiefe), die Altmark, Teile der Pfalz, Niedersachsens und Badens im Unterboden (sogar bis zu 1,8 Meter).
Die ersten, die das Sonnenextrem spürten, waren die Bauern. »Darunter leiden Wintergetreide, Raps und auch die Frühjahrskulturen, die ausgesät worden sind, wie zum Beispiel Sommergerste oder Zuckerrüben«, erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied. Auch die Kartoffeln kämen so »nicht richtig in die Gänge«. Tobias Fuchs, beim Wetterdienst für das Fachgebiet »Klima und Umwelt« zuständig, erläutert: »Die Zunahme der Frühjahrestrockenheit ausgerechnet in einem Zeitraum, in dem die Vegetation ›erwacht‹ und einen hohen Bedarf an Wasser hat, führt zu erheblichen Beeinträchtigungen bei der Pflanzenentwicklung.«
Und ja, es ist der Klimawandel! »Unsere Daten zeigen, dass die Trockentage im Frühling in den letzten Jahren bereits deutlich zugenommen haben«, sagt DWD-Sprecher Friedrich. Damit bestätigt sich, was die Wissenschaft schon vor 20 Jahren prognostiziert hatte. Allerdings sind die Folgen wohl gravierender als bislang angenommen: Vieles, was die Wissenschaft für die 2030er oder 2040er Jahre vorhersagte, lässt sich bereits jetzt beobachten.
Und sorgt dann auch für Schlagzeilen – Anfang Juli beispielsweise, als am Berg Marmolata in den italienischen Dolomiten ein Gletschersturz elf Bergsteiger in den Tod riss und acht weitere zum Teil schwer verletzte. Zuvor war es mit plus zehn Grad ungewöhnlich warm in 3000 Metern Höhe. Den Alpen schmilzt ihr Kitt, der Permafrost, weg. In der Folge trockneten die Flüsse aus, der Po in Italien, in Deutschland die Weser. Der Rhein-Pegel fiel im August in Emmerich (Nordrhein-Westfalen) erstmals auf minus zwei Zentimeter, ein neuer Negativrekord. Dass hier auf dem Niederrhein überhaupt noch Schiffe fahren konnten, lag daran, dass die Fahrrinne immer weiter ausgebaggert worden war.
Während es in Pakistan so stark regnete, dass mehr als 1700 Menschen ihr Leben in den Fluten verloren, brannten hierzulande wegen großer Hitze und kaum Niederschlag die Wälder. Wochenlang kämpften Feuerwehrleute gegen die Flammen in der Sächsischen Schweiz, der Harz brannte lichterloh, in Berlin war es der Grunewald. Ende Juli verbreitete sich ein Video im Netz, das meterhohe Flammen an der Autobahn bei Kassel zeigte. Feuer in der Gohrischheide, die sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen liegt; Waldbrand nahe Treuenbrietzen (ebenfalls in Brandenburg) oder an der Bahnstrecke bei Lehrte (Niedersachsen) – nie gab es hierzulande mehr Brände als im Jahr 2022. Insgesamt vernichteten die Flammen 4293 Hektar Natur in Deutschland. Das ist eine Fläche, die so groß ist wie die, die sich im Besitz der Stadt Nürnberg befindet.
Mit Temperaturen um 40 Grad gab es im Juli neue Hitzerekorde in Norddeutschland. Und weil es viel zu wenig regnete, war dieser Sommer lange auf Kurs Jahrhundertdürre: Nach den Daten des Deutschen Wetterdienstes fielen bis Ende August im Flächenmittel nur 104 Liter Regen pro Quadratmeter. Im Sommer 1911, dem bisherigen Minusrekordhalter, kamen 125 Liter zusammen. Normal über das langjährige Mittel wären 245 Liter. Nur weil dann doch ein Tiefdruckgebiet kräftige Gewitter brachte, blieb der neue Dürrerekord aus.
Tatsächlich sagen Klimamodelle voraus, dass die mitteleuropäischen Sommer trockener werden und Wetterextreme zunehmen. Und die Wissenschaft belegt, dass wir uns bereits jetzt am oberen Rand der Modelvorhersagen befinden. Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung hatte zum Ergebnis: Durch die globale Erwärmung wird es wahrscheinlicher, dass Wetterlagen in den Sommermonaten auf der Nord-Halbkugel länger anhalten, was dann zu mehr Extremereignissen führt. So wie in diesem Sommer, in dem über weiten Teilen Europas eine Wetterlage anhielt, die über Monate warme Luft aus dem Mittelmeerraum zu uns führte. Feuchte Westwinde wurden dagegen von einem Hochdruckgebiet über dem Kontinent blockiert.
Dann folgte ein Rekord-Oktober: Vielerorts kletterten die Temperaturen über 25 Grad. Dadurch ist das Jahr 2022 insgesamt auf dem Weg, das wärmste aller Zeiten in Mitteleuropa zu werden. Demnach war es bis Anfang Dezember im Durchschnitt 2,4 Grad Celsius wärmer als im langjährigen Mittel. Besonders betroffen Südwestdeutschland: In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und im Saarland war es sogar drei Grad wärmer als normal. Damit erwärmt sich Mitteleuropa deutlich stärker als manch anderer Teil der Welt. Im Pariser Klimaabkommen hatten sich die Staaten verpflichtet, die durchschnittliche Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Heißer, trockener, extremer: »Der Klimawandel ist längst kein exotisches Phänomen mehr, das uns in Form von Extremwetter abends in den TV-Berichten der Auslandskorrespondenten aus fernen Ländern begegnet«, sagt Tobias Fuchs vom Deutschen Wetterdienst. Und: Viele Folgen des Klimawandels werden unumkehrbar sein. Deshalb wäre echter Klimaschutz jetzt endlich nötig! Zum Beispiel mit einem Tempolimit und
einem Kohleausstieg.
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