Im Tandem in den Ratssaal

Mit einem Mentorinnenprogramm sollen Frauen für Kommunalpolitik begeistert werden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass Anne Pawolski sich für Politik zu interessieren begann, ist einer Umgehungsstraße geschuldet. Diese soll in ihrem Wohnort am Stadtrand von Bautzen über das Tal der Spree geführt werden und würde eine malerische Landschaft zerstören. Pawolski und etliche Mitstreiter stellten sich den Plänen entgegen und gründeten eine Bürgerinitiative. Im Prinzip wäre es zudem notwendig, »dort anzusetzen, wo Politik gemacht wird«, nämlich im Gemeinderat, sagt die 34-Jährige. Im konkreten Fall handelt es sich freilich um ein Gremium, von dessen 14 Mitgliedern 13 Männer sind, darunter viele »Honoratioren«. Ob und wie sich eine junge Frau dort behaupten könnte, dazu hat Pawolski noch Zweifel.

Womöglich schwinden diese in Gesprächen mit Andrea Kubank. Sie ist es schon gewohnt, Politik in der Minderheitenposition zu machen. Kubank gehört dem Stadtrat von Bautzen an, in dem Frauen ein Viertel der Abgeordneten stellen, und dem Kreistag, wo es sogar weniger als ein Sechstel sind. Im Juni 2021 kandidierte sie in Bautzen bei der Wahl eines neuen Oberbürgermeisters und war die einzige Frau unter vier Kandidierenden. Ein eklatantes Missverhältnis, findet sie: »Wir sind die Hälfte der Gesellschaft.« Bei vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, zum Beispiel der Betreuung von Geflüchteten, engagierten sich Frauen überdurchschnittlich. In der Politik aber, »dort, wo es um Entscheidungen geht«, seien sie jedoch kaum beteiligt.

Kubank findet, dass sich das ändern muss. Deshalb bemüht sich die Kommunalpolitikerin darum, weiblichen Nachwuchs zu gewinnen. Sie stellte sich als Mentorin für ein Programm zur Verfügung, das im Rahmen des Aktionsprogramms »Frauen in die Politik« von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin zusammen mit dem Deutschen Landfrauenverband organisiert wird. Es zielt darauf ab, den Anteil von Frauen in politischen Ehrenämtern zu erhöhen, insbesondere in ländlichen Regionen. Zudem wolle man »strukturelle Veränderungen anstoßen, die sich positiv auf die Teilhabe von Frauen und die Akzeptanz und Attraktivität von Kommunalpolitik auswirken können«, sagt Lisa Hempe, Projektkoordinatorin bei der EAF, die als gemeinnützige Organisation unter anderem die Teilhabe von Frauen an der Politik fördert.

Ein wichtiges Mittel dafür ist ein Mentorinnenprogramm, in dem Kubank und andere erfahrene Kommunalpolitikerinnen politisch interessierte Frauen oder junge Mandatsträgerinnen betreuen. In einem ersten Durchgang von Juni 2022 bis Mai 2023 wurden nach Angaben des EAF in bundesweit zehn Regionen zunächst 154 solcher Tandems gebildet – oder, wie bei Andrea Kubank, sogar Trios: Die Politikerin der Linken betreut neben Anne Pawolski auch eine junge SPD-Politikerin in Görlitz. Im Jahr 2023/24 werde das Programm fortgesetzt, sagt Hempe. Noch bis März läuft die Ausschreibung für die zweite Runde. Parteizugehörigkeiten spielten dabei keine Rolle, sagt Kubank. »Es geht generell darum, Frauen zum Engagement in der Politik zu ermutigen.«

Derzeit sind viele Umstände noch eher entmutigend. Sitzungen finden häufig zu Zeiten statt, in denen das Familienleben organisiert wird und Kinder betreut werden müssen – was überwiegend noch immer Frauen erledigen. Als Kubank um eine Kandidatur gebeten wurde, waren die Bedingungen günstig: »Meine beiden Jungs waren raus.« Inzwischen ist sie freilich Oma und steht erneut vor der Aufgabe, neben dem ehrenamtlichen Engagement Zeit für die Familie »freizuschaufeln«. Pawolski hat zwar keine Kinder zu versorgen, aber eine Arbeit, die sie »mehr als 40 Stunden« pro Woche fordert. Wie sie es schaffen kann, sich daneben ehrenamtlich politisch zu engagieren, muss sie erst herausfinden.

Das Mentorinnenprogramm bietet dazu Gelegenheit: Kubank und Pawolski wollen etwa gemeinsam Sitzungen von Stadt- und Gemeinderäten besuchen. Sie tauschen sich über organisatorische Fragen aus, darüber, wie Reden und Anträge geschrieben werden, aber auch über eine Atmosphäre in der Lokalpolitik, die Mandatsträgerinnen manchmal als schwierig empfinden, wie Kubank berichtet. Sie würden von männlichen Kollegen oft weniger ernst genommen und etwa bei Reden häufig unterbrochen. Auch den kumpelhaften Ton und die patriarchale Haltung mancher Bürgermeister und Ratskollegen empfänden sie teils als unangenehm und störend.

Gleichzeitig ist Kubank überzeugt, dass es möglich sein muss, auch Frauen, zumal jungen Müttern, eine Beteiligung an der Kommunalpolitik zu ermöglichen: »Ihre Sicht auf viele politische Themen wäre wichtig.«

Bisher wird sie auch in Sachsen noch viel zu selten berücksichtigt. Bei der letzten Wahl der Stadt- und Gemeinderäte 2019 gingen von 6869 Mandaten nur 1419 an Frauen – ein Fünftel. Das Genderkompetenzzentrum Sachsen ermittelte, dass von kommunalen Wahlfunktionen in den letzten zehn Jahren 80 Prozent an Männer gegangen waren. Der Freistaat sei damit »Schlusslicht bei der ehrenamtlichen kommunalpolitischen Partizipation von Frauen«.

Das soll sich möglichst bald ändern. Im Juni 2022 legte eine von der Landesregierung berufene Fachkommission Ideen dazu vor, wie mehr Frauen schon bei der Kommunalwahl 2024 zu Kandidaturen ermutigt werden können. Ihnen Mentorinnen an die Seite zu stellen, ist eine der dort genannten Ideen.

Offen ist, ob die Erfahrungen in einem solchen Programm zu politischem Engagement anstacheln – oder eher abschrecken. Bisher, sagt Lisa Hempe, lasse sich noch nicht sagen, wie viele der Teilnehmerinnen tatsächlich den Schritt in die Politik wagten. Eine Befragung dazu werde es Ende 2024 geben.

Pawolski muss sich schon eher entscheiden, ob sie im Frühjahr 2024 für den Gemeinderat kandidiert – und ob sie als Einzelbewerberin antritt, für eine Partei oder auf einer ganz anderen Basis. Am liebsten, sagt sie, wäre ihr eine »regionale Frauenliste«, bei der mit einheitlichen Slogans und Plakatmotiven gezeigt werden könnte: Im einzelnen Ort mögen Kandidatinnen noch in der Minderheit sein. Aber insgesamt werden es doch immer mehr.

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