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Engpässe in allen Bereichen
Vor allem beim Lehramt sind die Erwartungen an die Hochschulen enorm
Jetzt geht es um die großen Brocken: Kaum ein Dokument ist für die Berliner Hochschulen wohl so wichtig wie die Hochschulverträge. Die milliardenschweren Abmachungen stehen im Zentrum der Landeshochschulfinanzierung. Sie bestimmen, wie viel Geld die Universitäten erhalten – und welche Aufgaben sie dafür erfüllen müssen. Traditionell gliedern sich die Verträge in einen Grundbetrag, der den Hochschulen garantiert wird, und eine flexible Finanzierung, die an das Erreichen bestimmter Vorgaben geknüpft ist. Die Hochschulen entscheiden im Rahmen ihrer Selbstverwaltung weitgehend eigenständig, wie sie die Gelder verwenden und auf welchem Weg sie die gesetzten Ziele erreichen.
Die aktuell laufenden Hochschulverträge wurden zuletzt um ein Jahr bis 2024 verlängert. Bis dahin müssen neue Verträge verhandelt werden. Am Montag sind die Vertragsverhandlungen erstmals Thema im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. Wissenschaftsstaatssekretärin Armaghan Naghipour (parteilos, für Grüne) stellt den Zeitplan vor: Ein erstes Treffen zwischen ihr, Senatorin Ulrike Gote (Grüne) und den Hochschulleitungen habe es bereits gegeben. In Arbeitsgruppen sollen nun spezifische Fragen geklärt werden, bevor im Juni ein Entwurf abgeschlossen werden soll, der dann noch durch das Abgeordnetenhaus gehen muss – für den Umfang des Unterfangens ein straffer Zeitplan.
»Keine Kürzungsdiskussion« wolle man in den Verhandlungen führen, versichert Naghipour. Wie groß der finanzielle Rahmen der Hochschulen in den kommenden Jahren sein wird, wird wohl trotzdem die größte Kontroverse der Verhandlungen sein. Die Universitäten wollen deutlich mehr Geld als die im Koalitionsvertrag vereinbarten 3,5 Prozent Mittelaufwuchs im Jahr. Auch sie leiden unter der Inflation. Vor allem im Energiebereich sind die Kosten für die Hochschulen, die nicht nur Hörsäle und Bibliotheken heizen und beleuchten müssen, sondern auch energieintensive Labore und Computerfarmen betreiben, extrem gestiegen. Aktuell gibt es daher bereits Einschränkungen im Betrieb und bei Investitionen. Im Verlauf des Jahres steht zudem eine Tarifrunde bei den Hochschulen an, die die Personalkosten wohl weiter nach oben treiben wird.
»Wir wollen den Hochschulen eine quantitative und qualitative Weiterentwicklung ermöglichen«, macht Naghipour Hoffnung. Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne), der nach drei Jahren der Schuldenaufnahme seine Senatskollegen zum Sparen animieren will, wird da aber auch ein Wort mitreden wollen.
Die sensible Frage nach dem schnöden Mammon stellen die Abgeordneten am Montag dann auch lieber hinten an. »Wir wollen uns nicht nur fragen, wie viel Geld die Hochschulen brauchen, sondern auch, wofür«, sagt SPD-Wissenschaftssprecherin Ina Czyborra zu Beginn. Im Fokus dieser Sitzung sollen die Erwartungen der Stadt an die Hochschulen stehen. Daher habe man bewusst nicht die Hochschulen, sondern Vertreter von Behörden, Wirtschaft und Gewerkschaften zur Sitzung geladen.
Der Bedarf an Absolventen ist groß, wird dabei schnell deutlich. Einen »Engpass« erlebe man aktuell in vielen Bereichen, berichtet Staatssekretärin Jana Borkamp (Grüne) von der Senatsverwaltung für Finanzen, die für die Personalangelegenheiten des Landes zuständig ist. Schuld hat vor allem die Demografie: Ein Drittel der heute beschäftigten Lehrkräfte werde bis 2027 in Rente gehen, im Verwaltungsdienst sind es knapp 25 Prozent, auch bei Sozialarbeitern und in technischen Diensten droht eine Pensionierungswelle. »Wir brauchen mehr Absolventen«, sagt Borkamp.
In den Fokus der Diskussion rückt schnell die Lehrkräftebildung. Bisher fehle der Lehrkräftebildung der »Wumms«, sagt Martina Regulin, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Berlin. In den aktuell gültigen Hochschulverträgen werden 2000 Absolventen pro Jahr im Lehramt angestrebt. Tatsächlich machen aber nur etwa 1000 Studierende im Jahr in diesen Fächern ihren Abschluss. Man hoffe nach zwei Pandemiejahren auf einen deutlichen Aufschwung bei den Absolventen, sagt Staatssekretärin Naghipour. Bei den Zielvorgaben müsse es mit den neuen Hochschulverträgen aber noch nach oben gehen. Dabei seien zugleich »realistische Zahlen« notwendig, die die Qualität der Ausbildung nicht gefährdeten.
»Für viele Hochschulen ist die Lehrerbildung gerade nur eine lästige Pflichtaufgabe«, sagt Tobias Schulze, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion. In Anbetracht der bereits jetzt schweren Lage sei es aber notwendig, hier die Priorität zu setzen. Diskutiert wird im Ausschuss, Fachhochschulen zu ermöglichen, Berufsschullehrer auszubilden. Ina Czyborra von der SPD regt an, dass abgelehnte Bewerber im Lehramtsstudium auf freie Studienplätze in anderen Fächern vermittelt werden könnten. Auch ein Orientierungsstudium für Lehrämtler kann sie sich vorstellen.
Auch in der freien Wirtschaft ist der Bedarf an Absolventen groß. »Berlin braucht eine starke Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft«, sagt IHK-Vertreterin Sandra Trommdorf. Zentral sei dafür der Transfer zwischen Universitäten und Unternehmen, den die Hochschulen als »dritte Säule« neben Forschung und Lehre verstehen sollten. Sie möchte »passgenaue Studiengänge« und das duale Studium stärken, auch für Unternehmensgründungen von Studierenden sollen die Universitäten bessere Bedingungen schaffen.
Die Erwartungen der Stadtgesellschaft an die Hochschulen sind also groß. Die Gretchenfrage bleibt aber: Wie sollen sie erfüllt werden? »Wir sind uns doch alle einig, dass wir keine Mikrosteuerung wollen«, sagt SPD-Abgeordnete Czyborra. Tatsächlich betonen alle Parteien von CDU bis Linkspartei, dass es wichtig sei, den Hochschulen nicht zu viel in ihre Planungen hineinzureden. Nur IHK-Vertreterin Trommdorf bricht das Tabu und fordert ein größeres Eingreifen des Senats in die Strukturen der Universitäten durch Anreize und Sanktionen. Ein »effektives Controlling« der vereinbarten Ziele fordert dann auch Staatssekretärin Naghipour. Man müsse verhindern, dass sich einzelne Hochschulen »einen schlanken Fuß machen« und ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, warnt Linken-Abgeordneter Schulze. »Institutionsegoismen müssen überwunden werden.« Bis zum Abschluss der Verträge im Sommer werden die Abgeordneten konkreter werden müssen.
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