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Lampedusas Bürgermeister schlägt Alarm
An den Küsten Süditaliens stranden vermehrt Bootsflüchtlinge. Die Regierung lässt die aufnehmenden Kommunen im Stich
Filippo Mannino ist verzweifelt. Er ist Bürgermeister von Lampedusa, Italiens südlichster Insel, die seit eh und je der erste Anlaufpunkt für Migranten ist, die über das Mittelmeer kommen. In den ersten Tagen des neuen Jahres sind über 2000 Menschen, vor allem aus Afrika, aber auch aus Pakistan und Syrien, auf seiner Insel gelandet. »Ich fordere Innenminister Matteo Piantedosi auf, zu uns nach Lampedusa zu kommen. Wenn er auch nur einen Tag an meiner Seite verbringt, wird er mit eigenen Augen sehen, wie dramatisch und unhaltbar die Lage auf unserer Insel ist«, sagte er in einem Interview mit der Zeitung »La Repubblica«.
Vier Tote wurden rund um die Insel aus dem Mittelmeer geborgen – darunter auch ein kleiner Junge, der wohl noch nicht mal ein Jahr alt war. Die Menschen kommen in kleinen Booten, in denen sie zu über 100 sitzen, und werden von der Küstenwache oder auch von Fischern an Land gebracht. »Die großen und sicheren Schiffe der Menschenrechtsorganisationen haben wir hier noch nie gesehen«, sagt Mannino – und bezieht sich auf das jüngste Dekret der ultrarechten Regierung: Damit wird unter anderem Rettungsschiffen von Nichtregierungsorganisationen untersagt, mehr als eine Seenotrettung pro Einsatz zu leisten; außerdem sollen die Schiffskapitäne den Geflüchteten »nahelegen«, bereits an Bord einen Asylantrag zu stellen – nämlich für das Land, unter dessen Flagge das jeweilige Schiff fährt. Die Regierung Meloni gab vor, mit diesen neuen Regeln die Anzahl der in Italien ankommenden Geflüchteten zu reduzieren. Jetzt wird deutlich, dass das reine Augenwischerei war.
Kein Geld von der Regierung
Der 39-jährige parteilose Versicherungsagent, der erst seit wenigen Monaten im Amt ist, erklärt, warum die Lage auf der Insel unhaltbar ist: »Ich bin Bürgermeister einer kleinen Gemeinde mit 6700 Einwohnern. Aber tatsächlich muss ich mich um sehr viel mehr Menschen kümmern – ohne die notwendigen Mittel! Die Regierung hat uns viel versprochen, aber nichts gehalten …« Er sagt, dass die Insel insgesamt ein Budget von 3,5 Millionen Euro jährlich habe. »Aber im letzten Jahr haben wir über 2 Millionen allein für die Ankunft und die Erstaufnahme ausgegeben. Ich wollte einen Spielplatz für die Kinder von Lampedusa bauen, aber dafür habe ich kein Geld, und auch keine Zeit. 2022 sind fast 100 000 Migranten durch Lampedusa gekommen.«
Auf der Insel gibt es eine Erstaufnahme-Einrichtung für 400 Personen. Tatsächlich halten sich dort aber immer etwa 1500 Menschen auf. Die hygienische Situation ist unhaltbar, und Proteste der »Gäste« gibt es jeden Tag. »Wir haben hier eine kleine Krankenstation mit zwei Ärzten«, erklärt der Bürgermeister weiter. »Beide sind permanent im Einsatz. Außerdem haben wir zwei Krankenwagen, die praktisch immer zwischen dem Hafen und der Krankenstation pendeln, und wenn dann ein Lampedusaner Hilfe braucht, ist niemand frei.« Mannino fordert deshalb ein Sondergesetz für Lampedusa, mehr Personal und vor allem mehr Geld.
Ähnliche Probleme gibt es auch in Roccella Jonica im Süden Kalabriens. Vom 31. Dezember bis zum 5. Januar sind in dem Städtchen fast 700 Personen angekommen. Vor einem Jahr, als die Landungen begannen, wurde am Hafen ein Zeltlager für die Erstaufnahme errichtet, das eigentlich für 100 Menschen gedacht war. Im letzten Jahr sind aber über 8000 Menschen angekommen.
Alle diese Migranten kommen entweder autonom in kleinen Booten an oder werden von der Küstenwache an Land gebracht – nicht von den NGOs. Deren Schiffe werden jetzt in norditalienische Häfen umgeleitet – zufälligerweise immer in Gemeinden, die linksorientierte Stadtverwaltungen haben. So erwartet nun Ancona, an der mittleren Adria gelegen, die ersten Landungen. Die sozialdemokratische Bürgermeisterin Valeria Mancinelli hat gerade mal zwei Tage Zeit, um die Ankunft von mehreren Hundert Menschen zu organisieren, die 1575 Kilometer weiter südlich gerettet wurden.
Innenminister weist Verantwortung ab
»Unsere Stadt wird ihr Möglichstes tun«, sagt Valeria Mancinelli, die seit fast zehn Jahren Bürgermeisterin der Hafenstadt ist. »Wir beklagen uns auch nicht, weil wir denjenigen kein Alibi geben wollen, die meinen, dass alles in Ordnung ist, wenn die Migranten nur im Süden landen.« Aber, fährt sie fort, »ich sehe nicht ein, warum die armen Menschen noch einmal drei oder mehr Tage bei hoher See auf den Schiffen bleiben müssen. Man könnte sie doch auch in Süditalien an Land bringen und danach zu uns. Was soll das Ganze?«
Das hat Innenminister Matteo Piantedosi vor wenigen Tagen in einem Interview selbst erklärt. »Viele Bürgermeister predigen Solidarität und Willkommenskultur. Aber wenn sie dann selbst Tausende von nicht regulären Migranten aufnehmen sollen, kritisieren sie das System. Deswegen haben wir die neuen Regeln beschlossen.« Man könnte es auch anders formulieren: Wenn die Opposition die Migranten will, so soll sie sie
auch aufnehmen.
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