Die Gedanken sind frei, solange sie nicht stören

Das deutsche PEN-Zentrum setzt sich für die Freilassung von Julian Assange ein

  • Daniela Dahn
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem schönen alten Volkslied »Die Gedanken sind frei« hat Konstantin Wecker unlängst eine Zeile hinzugedichtet: Die Gedanken sind frei, solange sie nicht stören. Julian Assange wird verfolgt, weil er die Privilegien der Mächtigen zwar nicht gefährdet, aber doch gestört hat. Das angemaßte Privileg besteht darin, einen rechtsfreien Raum für Staatsgeheimnisse zu haben. Selbst dann, wenn diese gesetzeswidrig zustande kamen und nachweislich die skrupellose Durchsetzung der eigenen Interessen der Machthaber zum Ziel haben. Das hat mit westlichen Werten wie Demokratie und Achtung der Menschenrechte nichts zu tun, die Praktiken sind das Gegenteil eines modernen Rechtsstaates. »Die größte Bedrohung für die Sicherheit ist das politische Establishment«, hat UN-Generalsekretär António Guterres schon 2017 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt.

Anstatt die von Assange aufgedeckten Verbrechen zu verfolgen, wird er verfolgt. Investigativer Journalismus wird zu Spionage erklärt. Es ist ein Präzedenzfall, wonach Veröffentlichung geheimer Dokumente immer strafbar ist, unabhängig vom öffentlichen Interesse. Das Schicksal von Assange soll offenbar allen Whistleblowern abschreckend vor Augen stehen.

Übrigens hat der deutsche Gesetzgeber die Whistleblower im eigenen Land immer noch nicht geschützt. Auch nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie hat er sich auf nichts einigen können. Auch dagegen protestieren wir.

2010 hatte Julian Assange mit der mutig zur Verfügung gestellten Plattform Wikileaks die Medienwelt auf den Kopf gestellt: Kriegsverbrechen in Afghanistan und Irak, Folter in Guantanamo, Korruption der Mächtigen weltweit. Keines der zweifelsfrei belegten Verbrechen wurde verfolgt. Nicht einmal die Opfer und ihre Angehörigen wurden entschädigt.

Sämtlich unbewiesen blieben dagegen die Vorwürfe gegen Assange: Vergewaltiger, Hacker, Spion, Hightech-Terrorist. Unbewiesen ist auch, dass die Enthüllungen der vertraulichen Dokumente vor Ort Menschen gefährdet hätten. Bisher ist in keinem einzigen Fall eine Gefährdung konkreter Personen durch Wikileaks nachgewiesen.

Bewiesen ist vielmehr, dass seine Rechte im Gerichtsverfahren verletzt, dass angebliche Beweismittel gefälscht, manipuliert oder unterdrückt wurden. Die Erfindungen dienten dazu, Vorwände für die Strafverfolgung von Julian Assange zu schaffen. Die Denunziationen reichten von frauenfeindlich, antisemitisch bis zu Putin-Knecht. Die Zersetzungsstrategie zielte darauf ab, die Integrität der Plattform Wikileaks in den Reihen ihrer Unterstützer irreparabel zu schädigen. Investigative Gegenstimmen wurden stigmatisiert.

Assange bezahlt das seit über zehn Jahren mit dem Verlust seiner Freiheit, ist isoliert von Familie, Freunden und Außenwelt, auch arbeiten kann er nicht. Dabei sitzt er keine Strafe ab: Weder gab es einen Prozess, noch ist er verurteilt. Es ist kafkaesk. Dass er im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London inhaftiert ist, dient nur der Fluchtverhinderung. Wie lange darf man jemanden aus diesem Grund festhalten? Lebenslang? Assange zeigt klare Symptome psychischer Folter – ist das beabsichtigt?

Dieser Tage hat selbst Australiens Regierungschef Anthony Albanese die US-Regierung aufgefordert, die Strafverfolgung des australischen Staatsbürgers Julian Assange nach über einem Jahrzehnt einzustellen. Er sehe keinen Sinn darin, das juristische Vorgehen gegen ihn endlos auszuweiten.

Doch die erstinstanzliche britische Richterin hat alle Punkte der US-Anklage bestätigt. Sie wird wissen, warum, denn niemand ist dem Filz der britischen Eliten so nahe gekommen wie Wikileaks.

Emma Arbuthnot, Richterin am Londoner High Court, weigerte sich, den Haftbefehl gegen Assange aufzuheben. Damit hat sie sich auch der Uno widersetzt. Sie, die auch für die Auslieferung des Whistleblowers an die USA zuständig ist, ist verheiratet mit dem US-Vertrauten Lord Arbuthnot. Dieser hat als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Unterhauses genau die Kriegsverbrechen gerechtfertigt, die Assange und Wikileaks aufgedeckt haben. In hoher Funktion im Rüstungskonzern Thales, hat Arbuthnot ein persönliches Interesse an den laufenden britischen Waffenlieferungen in die Ukraine. Auch wegen solcher Connections stehen die Chancen für Assange so schlecht.

Der Dank, der Julian Assange wegen solcher Einsichten gebührt, steht im umgekehrten Verhältnis zu den letztlich nicht ausreichenden Solidaritätsbekundungen, die er erfährt. Deshalb fordern wir als Mitglieder des PEN Deutschland in Übereinstimmung mit den Vereinten Nationen von Großbritannien, den Haftbefehl gegen den Wikileaks-Gründer aufzuheben, und von den USA, die Anklage gegen ihn fallen zu lassen. Solidarität mit Assange ist Solidarität mit Meinungsfreiheit und Demokratie.

Daniela Dahn ist Journalistin und Autorin zahlreicher politischer Essays und Bücher. Für ihre publizistische Arbeit wurde sie unter anderem mit dem Ludwig-Börne-Preis geehrt. Der Text ist das Manuskript einer Rede, die Dahn im Dezember auf einer vom PEN-Zentrum Deutschland veranstalteten Kundgebung für die Freilassung von Julian Assange hielt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -