Kommando: »Wegtreten!«

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ist loyal bis zum Abschied

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Samstag in Lubmin. Hier am Greifswalder Bodden, wo die DDR ein Atomkraftwerk betrieb, wurde das zweite deutsche Importterminal für Flüssigerdgas in Betrieb genommen. Die Gelegenheit für den Kanzler, sich als Retter aller potenziell Frierenden darzustellen. Doch den mitgereisten Pressetross interessierte etwas anderes: »Herr Bundeskanzler, wann wird der Rücktritt von Frau Lambrecht verkündet?« Olaf Scholz überhörte die Frage scheinbar. Dann ruft einer: »Wer wird ihr nachfolgen?« Auch diese Frage verhallt im Nichts.

Dass die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) eine Fehlbesetzung im Amt ist, die nur er zu verantworten hat, ist nicht nur medial herbeigeredet. Scholz ist unter Druck. Nur mühsam hält er seine rot-grün-gelbe Regierungskoalition zusammen. Grünen-Vizekanzler Robert Habeck, der sich in Lubmin mit Fieber entschuldigen ließ, muckt unberechenbar auf, dessen Parteifreundin, Außenministerin Annalena Baerbock, pfeift auf Ratschläge aus dem Kanzleramt. Auch »Kassenwart« Christian Lindner profiliert seine FDP gegen den sozialdemokratischen Kabinettschef. Energiesorgen und Inflation rauben Scholz die ohnehin schon arg geschrumpfte Zustimmung im Volk, die Verbündeten führen ihn in der ukrainischen Panzerfrage am Nasenring durch die Kriegsarena. Deutschlands Führerschaft in der EU zerbröselt. Und dann ist da auch noch Christine Lambrecht

Das Beste, was Scholz und seine SPD über Lambrecht sagen können ist: Sie war und ist eine treue Seele. Das bewies sie als Justizministerin in Merkels viertem Kabinett, übernahm in der Not zusätzlich die Aufgaben der zurückgetretenen Familienministerin Franziska Giffey. Zuvor hielt sie die SPD-Bundestagsfraktion auf Linie. Nach seinem Wahlsieg machte Scholz die verlässliche Frau zur Verteidigungsministerin.

Lambrecht ist keine Selbstdarstellerin, versucht gar nicht erst, politisch kreativ zu sein. Auch jetzt, da Forderungen nach dem Export schwerer Waffen in die Ukraine fast stündlich im Kanzleramt einschlagen, stellt sich Lambrecht als Buhfrau zur Verfügung. Sie führt aus, was ihr gesagt wird. Dass der Kanzler nicht sehr mitteilsam ist, weiß man und so erklärt sich auch das oft wochenlange Schweigen seiner Ministerin.

Angeblich wäre Lambrecht das Innenressort lieber gewesen, hörte man. Tatsächlich hat sie als Justizchefin Standhaftigkeit im Dauerstreit mit dem einstigen Amtsinhaber Horst Seehofer (CSU) bewiesen. Doch natürlich fügte Lambrecht sich den Wünschen von Olaf Scholz. Was nicht so schwer war, denn: Wer kein erkennbar eigenes Profil besitzt, der muss auch keine Schwierigkeiten beim Ablegen eigener Ansprüche fürchten.

Es steht der Vorwurf im Raum, Lambrecht sei unfähig, ihr Amt auszufüllen. Dem ist zuzustimmen, obgleich die durch ihre Vorgängerinnen und Vorgänger aus der Union hinterlassene Messlatte nicht hoch liegt. Nicht im Ansatz gewann sie das Profil ihres Parteikollegen Peter Struck, der ob seiner direkten Art viel Zuspruch in der Bundeswehr erlangte. Lambrecht hat auch nach einem Jahr im Amt kaum Ahnung vom militärischen Metier. Sie entwickelte kein Gespür für die Truppe und auch im engsten militärischen Führungskreis kann sie maximal auf Loyalität durch Selbstdisziplin hoffen. Obwohl Lambrecht mehrere politische Funktionen ihres Ministeriums mit ihr nah Stehenden besetzte, konnte sie nie Fuß fassen im Bendler-Block. Auch im Kreis der Nato-Kollegen ist sie nie angekommen. Dass die 57-Jährige überdies keinen Versuch unternahm, mit Journalisten ins Gespräch zu kommen, kostete sie zusätzlich Sympathiepunkte. Die fehlten, als sich die selbst verschuldeten Ungeschicklichkeiten häuften. Letztes Beispiel: Lambrechts – gut gemeinte und nachträglich als privat bezeichnete – Neujahresansprache.

Des Kanzlers Fehler liegt nicht so sehr in der falschen Personalwahl, die er vor gut einem Jahr traf. Spätestens seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine war klar, dass das Verteidigungsressort dauerhaft eine wachsende politische Bedeutung erlangt. Scholz verkündete eine »Zeitenwende«, ließ ein 100-Milliarden-Euro-»Sondervermögen« zur besseren Ausstattung und Modernisierung der Bundeswehr auflegen. Nicht bedacht hat er allerdings, dass die zuständige Ministerin nicht in der Lage ist, dieses gewaltige Vorhaben zu managen. Ein Jahr nach Kriegsbeginn ist nicht klar, wie das Material ersetzt wird, das die Bundeswehr im Ad-hoc-Verfahren an die Ukraine abgegeben hat. Die Ehrlichkeit verlangt den Zusatz: Jahrzehntelange Fehlentwicklungen lassen sich nicht in Monaten beheben. Klar, Lambrecht unterschrieb die Bestellung für neue Atombomber, doch einfache Soldaten warten noch immer auf Schutzwesten, Funkgeräte und Munition. Die Panne mit den »Puma«-Panzern erschien ihr als Chance, Profil zu zeigen. Doch sich gegen die Industrie in Szene zu setzen, übersteigt ihre Kraft.

Wer von Lambrecht erwartete, dass sie angesichts des Krieges in Europa sicherheitspolitisch Akzente setzt und sich mit dem Außenamt und der Wissenschaft über Möglichkeiten zur Reduzierung von Spannungen verständigt, lag voll neben der Realität. Stattdessen ließ Lambrecht sich von selbsternannten Militärexperten wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die dem Verteidigungsausschuss des Parlaments vorsteht, abkanzeln. Nach Feldwebel-Art. Anders die Union. Clever beließ sie es dabei, Peinlichkeiten und Fehlentscheidungen zu addieren. Die Ministerin, so das Oppositionskalkül, reitet Scholz und seine Ampel so richtig rein in den Schlamassel.

Scholz steckte in der Zwickmühle. Die treue Lambrecht befreite ihn daraus. Vorerst. Denn – anders als einst SPD-Genosse Rudolf Scharping, so lange im Amt, bis er gefeuert werden musste – Lambrecht bot selbst den Rücktritt an. Nach dem Weggang von Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) im April 2022 wäre das der zweite Wechsel im Kabinett Scholz. Doch wer steht im SPD-Kader zur Verfügung? Arbeitsminister Hubertus Heil? Parteichef Lars Klingbeil? So Scholz nicht eine komplette Regierungsumbildung anstrebt, muss er eine Frau finden. Eva Högl, die bisherige Wehrbeauftragte, zeigt mit ihrer Forderung zur Aufstockung des Bundeswehr-Sondervermögens von 100 auf 200 oder mehr Milliarden Euro Interesse. Doch vielleicht wird sie ja von der stets forsch auftretenden Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Siemtje Möller überholt.

Ein Wechsel wird wohl Anfang der Woche erfolgen. Wer auch immer Lambrecht folgt, hat nur wenig Zeit, um sich auf das nächste, von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin geleitete Ramstein-Treffen vorzubereiten. Dort soll über die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine beraten werden.

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