»Wir brauchen verbindliche Regeln«

Foodwatch sieht beim Kindermarketing bisher nur Lidl auf dem richtigen Weg

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Discounterriese Lidl hat angekündigt, sein Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel zu beenden. Wie ernst meint der Konzern das Ihrer Meinung nach?

Wir hoffen, dass den Ankündigungen auch Taten folgen. Bis 2025 sollen beispielsweise keine Comicfiguren mehr auf den Verpackungen ungesunder Lidl-Produkte abgedruckt sein. Da die Lidl-Eigenmarken in den Auslagen der Filialen einen beträchtlichen Anteil ausmachen, wäre das ein großer Schritt.

Interview

Dario Sarmadi ist Pressesprecher der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Diese setzt sich dafür ein, dass die Regeln und Gesetze für Lebensmittel in den EU-Mitgliedsstaaten konsequent die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher in
den Vordergrund stellen müssen. 

Macht Lidl das aus eigenem Antrieb oder spielt dabei eine Rolle, dass der Gesetzgeber bei dem Thema offenbar auch endlich mehr Druck machen will?

Lidl ist die erste Handelskette in Deutschland, die sich an dem wissenschaftlich fundierten Nähwert-Profilmodell der WHO orientiert. Es bewertet Lebensmittel anhand ihrer Nährwertzusammensetzung dahingehend, ob sie sich im Marketing an Kinder richten dürfen oder nicht. Dabei sind die Anteile von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz, aber auch der Kaloriengehalt, Zuckerzusätze und zugefügte Süßstoffe ausschlaggebend. Wenn also zum Beispiel ein Joghurt mehr als zehn Gramm Zucker auf 100 Gramm enthält, darf sich das Produktmarketing nicht an Kinder richten. Das schließt neben den Verpackungen auch Werbung im TV, Radio und bei Online-Streamingdiensten sowie auf Plakaten ein. Dass Lidl dies umsetzen will, ohne dass es bereits eine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt, ist ein Novum. Deshalb begrüßen wir von Foodwatch diesen Schritt.

In welchem Ausmaß wird nach Ihren Analysen an Kinder gerichtet für ungesunde Lebensmittel geworben?

Erst kürzlich hat eine Untersuchung des Experten für Kindermarketing Tobias Effertz von der Universität Hamburg ergeben, dass fast die Hälfte der Werbung für ungesunde Lebensmittel, die Kinder im Fernsehen wahrnehmen, zur abendlichen Hauptsendezeit läuft. Demnach sehen TV-nutzende Kinder zwischen drei und 13 Jahren in der Zeit zwischen 20 und 22 Uhr im Schnitt fünf Werbespots für Zuckerbomben oder fettige Snacks. Kinder sitzen vor allem abends vor dem Fernseher, um beispielsweise zusammen mit der Familie eine Sendung zu schauen. So war zwischen 2019 und 2021 jede dritte der unter Kindern beliebtesten TV-Sendungen kein klassisches Kinderformat, sondern eine zur Primetime ausgestrahlte Unterhaltungssendung, ein Familienfilm oder eine Sportübertragung, wie Daten der AGF Videoforschung zeigen. Um Kinder umfassend zu schützen, darf das von der Bundesregierung geplante Gesetz gegen Kindermarketing für Ungesundes also nicht ausschließlich Kindersendungen in den Blick nehmen, sondern muss vielmehr eine zeitliche Beschränkung enthalten: TV-Werbung für ungesunde Lebensmittel sollte auf allen Kanälen zwischen 6 Uhr morgens und 23 Uhr abends untersagt sein.

Sie fordern auch den anderen großen deutschen Discounter-Konzern Aldi auf, dem Beispiel von Lidl zu folgen. Wie ist da der aktuelle Stand?

Bei Aldi ist es nach wie vor so, dass in den Regalen zahlreiche Produkte mit Kinderoptik liegen, die nach besagten WHO-Kriterien ungesund sind. Ein Beispiel ist das Produkt »Knusperone Honey Wheat«: Diese im knallbunten Comic-Design verpackten Frühstücksflocken enthalten auf 100 Gramm insgesamt 33 Gramm Zucker. In der 750-Gramm-Packung stecken damit mehr als 80 Stück Zuckerwürfel. Das ist mehr als doppelt so viel Zucker, wie von der WHO als Obergrenze für Kindermarketing erlaubt ist. Damit torpediert der Konzern das Bemühen vieler Eltern, ihre Kinder für eine gesunde Ernährung zu begeistern. Immerhin hat zumindest Aldi-Süd offenbar unserem Druck nachgegeben und vergangene Woche angekündigt, einen entsprechenden Werbestopp auf den Weg zu bringen.

Wieso haben Sie mit ihrer Kritik diese ungesunden Lebensmittel für Kinder betreffend gerade die beiden Discounterriesen im Visier?

Bei den Discountern machen die Eigenmarken einfach den größten Anteil der Produktpalette aus. Rewe und Edeka beispielsweise haben nur etwa 20 Prozent Eigenmarken.

Was hat der Gesetzgeber bisher getan, um Kinder besser vor ungesunden Lebensmitteln zu schützen?

Die Staatssekretärin im Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium, Silvia Bender, hatte eigentlich versprochen, ein Gesetz gegen Kindermarketing für Ungesundes bis Ende vergangenen Jahres auf den Weg zu bringen. Doch bislang ist nichts passiert. Dabei brauchen wir dringend verbindliche Regeln, damit sich flächendeckend etwas tut.

Wie positiv würden sich solche verbindlichen Regeln auf die Gesundheit der Kinder auswirken?

Das Beispiel der Limosteuer in Großbritannien zeigt, wie es gehen kann. Dadurch haben die dortigen Getränkehersteller den Zuckergehalt ihrer Produkte deutlich reduziert, wonach sogenannte Erfrischungsgetränke Stand 2019 nur noch 2,9 Gramm Zucker pro 100 Milliliter enthalten dürfen – dies entspricht einem Rückgang gegenüber der Zeit davor um etwa 35 Prozent. Auch der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker über Getränke ist dort in den vergangenen Jahren um 30 Prozent beziehungsweise 4,6 Gramm pro Tag gesunken. Stattdessen ist der Verkauf von Wasser sowie zuckerfreien und zuckerarmen Getränken um 40 Prozent gestiegen.

Was sind Ihrer Meinung nach weitere Bausteine für eine gesündere Ernährung bei Kindern?

Wir fordern die Lebensmittelampel Nutri-Score auf den Verpackungen aller verarbeiteten Lebensmittel. Minister Özdemir muss sich für eine EU-weite Regelung stark machen. Auch die Streichung der Mehrwertsteuer bei Obst und Gemüse wäre ein wichtiger Schritt. Darüber hinaus fordern wir auch die Erhöhung der Regelsätze beim Bürgergeld, damit sich auch ärmere Familien gesund ernähren können.

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