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Katalanen demonstrieren gegen spanisch-französischen Gipfel

Unabhängigkeitsbewegung ruft gemeinsam zu Protesten auf, aber Regierungschef Aragonès aus dem eigenen Lager spielt nicht mit

  • Ralf Streck, Tarragona
  • Lesedauer: 4 Min.

»Hier ist nichts zu Ende« – so lautet das Motto der Demonstration, mit dem die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Katalonien zum Protest gegen den spanisch-französischen Gipfel am Donnerstag in der katalanischen Metropole Barcelona aufgerufen haben. Neben dem großen »Katalanischen Nationalkongress« (ANC) rufen auch die große Kulturorganisation »Òmnium Cultural« und der »Republikrat« (CdRep) federführend zum Protest gegen das bilaterale Gipfeltreffen auf, zu dem Ministerpräsident Pedro Sánchez den französischen Präsidenten Emmanuel Macron mitsamt seiner Ministerdelegation eingeladen hat. Die ANC-Mitglieder wollen in Gelbwesten auflaufen, um sich mit dem Großstreik am Donnerstag gegen die geplante Rentenreform in Frankreich zu solidarisieren.

Das Treffen in Barcelona ist für viele Katalanen, deren Land zwischen Spanien und Frankreich aufgeteilt ist, eine Provokation. Diese hat der Sozialdemokrat Sánchez noch gesteigert, als er im Dezember im Parlament mit Blick auf den Unabhängigkeitsprozess, der vor allem 2017 mit dem von Spanien verbotenen Referendum hochkochte, verkündete: »Der Prozess ist beendet.« Das sagte er in Bezug darauf, dass es ihm in den vergangenen Jahren gelungen ist, einen Spaltungskeil zwischen die drei Parteien zu treiben, die für die Unabhängigkeit von Spanien eintreten. Dafür führt er an, dass die in Katalonien eine schwache Minderheitsregierung anführende »Republikanische Linke« (ERC) den »Verfassungsrahmen« anerkannt habe. In diesem Rahmen könne in Spanien jedes Projekt verteidigt werden, meint Sánchez.

Bei den vergangenen Wahlen erreichten die Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, bei stark gesunkener Wahlbeteiligung mit 52 Prozent erstmals eine Mehrheit der Stimmen. Die ANC-Präsidentin Dolors Feliu ist der Ansicht, dass der Gipfel als »Akt der Besetzung« geplant ist. Sánchez und Macron reisten nach Barcelona zu einem »Herrschaftsakt«, um zu zeigen, »dass sie über Katalonien entscheiden«. Der Sprecher des Republikrats Toni Castellà erklärt: »Es ist offensichtlich, dass der Prozess nicht beendet ist.« Der CdRep-Sprecher, gleichzeitig Generalsekretär der kleinen Partei »Demòcrates« (Demokraten), verweist darauf, dass Sánchez weiter auf Repression setze. Der Prozess sei erst dann zu Ende, wenn die Unabhängigkeit erreicht sei, wird hier allseits versichert.

Während Sánchez den »Tod des Unabhängigkeitsprozesses bescheinigen« wolle, »bescheinigen wir, dass Spanien kein Rechtsstaat ist«, wird im Aufruf ausgeführt. Es gebe immer noch politische Exilanten wie den Exilpräsidenten Carles Puigdemont, es stünden noch Gerichtsverfahren gegen 500 Personen aus. Insgesamt 4000 Menschen sind von Verfahren betroffen und zum Teil stehen Haftstrafen von bis zu 13 Jahren im Raum. Castellà verweist auch darauf, dass es »den angeblichen Dialog« zur Konfliktlösung real nicht gebe. Tatsächlich fand in drei Jahren kein einziges ordentliches Treffen zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung statt, in dem es eine Tagesordnung und ein Abschlussprotokoll gegeben hätte.

Castellà vermutet, Sánchez habe angesichts der Gespaltenheit der Bewegung in den vergangenen beiden Jahren darauf gesetzt, dass diese zu keiner Reaktion fähig wäre. Doch dutzende Organisationen haben sich dem Protest angeschlossen, zuletzt auch die ERC, auf deren Stimmen die spanische Minderheitsregierung angewiesen ist. Beteiligen wird sich auch der ERC-Chef Oriol Junqueras. Er wolle nicht »gegen etwas« demonstrieren, sondern für die Unabhängigkeit, das Selbstbestimmungsrecht und eine Amnestie, sagt er. Man müsse »maximale Geschlossenheit« und »maximalen Zusammenhalt« zeigen.

Seine ERC steht enorm unter Druck, da sie im Schmusekurs mit Sánchez kaum etwas erreicht hat und immer stärker im eigenen Lager angegriffen wird. Im vergangenen Jahr ist daran die Koalition mit »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) zerbrochen, hinter der Puigdemont steht. Schon zuvor hatte die antikapitalistische CUP der ERC-Regierung unter Pere Aragonès die Unterstützung wegen vieler gebrochener Vereinbarungen entzogen. Am Nationalfeiertag Kataloniens am 11. September hatte die ERC erstmals nicht zur Großdemonstration aufgerufen und sogar versucht zu demobilisieren, weil sie sich angegriffen fühlte.

Da im Mai in Katalonien Kommunalwahlen anstehen, im November die spanischen Parlamentswahlen, ruft die ERC einerseits zu den Protesten auf, doch andererseits wird sich Regierungschef Aragonès am Gipfel beteiligen. Vorab wurde bekannt, dass er von den Gesprächen ausgeschlossen ist und nur an der Begrüßung teilnehmen darf.

Viele in Katalonien fordern wie die CUP von ihm, er solle seine Teilnahme verweigern, da ihm ohnehin nur eine symbolische Rolle zugewiesen werde. Die CUP-Abgeordnete Laia Estrada meint, seine Anwesenheit werde nur dazu genutzt, um die »Nachricht vom Scheitern der Bewegung zu stützen«. Auch sie forderte alle zu einer »massiven Antwort« auf das »Propagandamanöver« auf. Der Gipfel solle zu einem »kollektiven Schrei an die internationale Gemeinschaft« umgewandelt werden, um statt dem Tod die Lebendigkeit der Bewegung zu zeigen.

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