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Tödliches Ewigkeitsproblem

Die Ukraine ist munitionsverseucht und setzt selbst geächtete Streumunition ein

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

In der vergangenen Woche reiste die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock in die Ost-Ukraine. Gemeinsam mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba schaute sie sich im schwer zerstörten Charkiw an, »was russische Truppen hier an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angerichtet haben«. Am Rande versprach Baerbock weitere Millionen Euro zur Minenräumung. Bereits im Herbst hatte die Grünen-Politikerin bei Kiew ein Munitionsräumungsprojekt besichtigt.

Wer in der Statistik des für Rüstungsexporte zuständigen und von Baerbocks Parteikollegen Robert Habeck geleiteten Wirtschaftsministerium blättert, entdeckt in den 2022 erteilten Ausfuhrgenehmigungen für die Ukraine im Wert von über zwei Milliarden Euro auch zehn mobile und geschützte Minenräumgeräte, 42 Minenräumpanzer sowie drei ferngesteuerte Geräte zur Vernichtung von Blindgängern und Sprengfallen.

Auch andere Nato-Staaten helfen bei der Suche und Entschärfung von Sprengkörpern. Großbritanniens Verteidigungsminister Ben Wallace begründete das Engagement jüngst so: »Russlands Einsatz von Landminen sowie Angriffe auf zivile Infrastruktur unterstreichen die schockierende Grausamkeit der Invasion Putins«. Londons Unterstützungspaket solle, so Wallace, der Ukraine helfen, »Land und Gebäude sicher zu räumen, während sie ihr Territorium zurückerobert«.

Nun ist es keineswegs so, dass nur russische Blindgänger auf ukrainischem Territorium auf Opfer warten. Dort liegen auch von ukrainischen Streitkräften gelegte Minen, verschossene Blindgänger und nicht explodierte Bomben herum.

Zusätzlich problematisch wird dies, da die Ukraine sogenannte DPICM-Granaten, also »verbesserte konventionelle Zweizweckmunition«, einsetzt. Dabei handelt es sich um Artilleriegeschosse oder Raketengefechtsköpfe, die sich in einer optimalen Höhe und Entfernung zum gewünschten Ziel in kleinere Bomben zerlegen. Die Zahl nicht explodierter Geschosse ist jedoch im Vergleich zu konventioneller Munition hoch.

Manche dieser Mini-Granaten sind sogar als Minen konzipiert. Sie sind deshalb schwer zu entdecken und lauern jahrelang auf – zumeist zivile – Opfer. Die verheerende Wirkung dieser Waffen ist aus Afghanistan bekannt, wo die sowjetische Luftwaffe solche Cluster-Bomben abwarf. Auch in der Ukraine soll Moskau derartige Angriffe geflogen haben.

Am 1. August 2010 trat ein internationales Übereinkommen in Kraft, das jede Verwendung, Herstellung, Weitergabe und Lagerung von Streumunition verbietet. Der völkerrechtliche Vertrag wurde von 110 Staaten unterzeichnet – nicht jedoch von Russland und der Ukraine. Auch die USA schlossen sich nicht an, doch angesichts der allzu hohen Blindgänger-Rate beschloss die US-Armee, die Produktion von DPICM auslaufen zu lassen. Mit dieser Begründung lehnte Washington auch die im Sommer vergangenen Jahres geäußerte Bitte des ukrainischen Armeechefs Walerij Saluschnyj zur Lieferung der Munition ab. Erfolgreicher waren die Einkaufstouren in europäischen Staaten. Laut dem in den USA erscheinenden Magazin »Foreign Policy« orderte Kiew sogenannte Bonus-Munition, die vom schwedischen Hersteller Bofors gemeinsam mit dem französischen Nexter-Konzern entwickelt wurde. Es gibt Belege, dass diese »intelligenteren« Granaten bereits gegen russische Panzer eingesetzt werden.

Die Verweigerung der Biden-Regierung klingt zwar lobenswert, doch: »Foreign Policy« berichtete, dass die Türkei, die das Abkommen zum Verbot von Streumunition ebenfalls nicht unterzeichnet hat, seit Ende 2022 weitgehend unbemerkt DPIC-Munition in die Ukraine liefert. Deren Produktion geht auf ein Abkommen zurück, das die Nato-Länder USA und Türkei zu Zeiten des Kalten Krieges geschlossen haben.

Laut dem US-Magazin könnte die gelieferte Streumunition, die aus Geschützen mit dem Nato-Kaliber 155 Millimeter verschossen wird, von dem in Ankara ansässigen staatlichen Rüstungskonzern Mechanical and Chemical Industry Corporation hergestellt worden sein. Als Lieferant infrage kommt auch der türkische Raketenproduzent Roketsan. Ebenso denkbar wäre es aber, dass die Granaten aus anderen westlichen Staaten stammen und von der Türkei weitergereicht wurden. Denn – obwohl seit langem geächtet – sind viele Lager noch immer voll mit Streumunition, deren Verwendungsfähigkeit sich dem Ende nähert.

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