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Cem Özdemirs »Feuertaufe«
Der Bundesagrarminister wirbt auf der Grünen Woche für seinen zögerlichen Kurs zum Umbau der Landwirtschaft
Der Bundeslandwirtschaftsminister kommt ein wenig zu spät zu seiner, wie er sagt, »Feuertaufe«. Auf der Pressekonferenz zu Beginn der Agrarmesse Grüne Woche wendet er sich erst einem ressortfremden Thema zu: Cem Özdemir spricht sich dafür aus, deutsche Leopard-Panzer in die Ukraine zu schicken, denn der russische Aggressionskrieg könne nur beendet werden, »wenn die Ukraine ihn gewinnt«. Dann geht es flugs zum Hauptthema: Transformation der Landwirtschaft, mehr Nachhaltigkeit, mehr Klima- und Artenschutz. Das sei nicht verhandelbar, beteuert der Grünen-Politiker.
Konkretes kann der Minister jedoch kaum vorweisen. Eines der wichtigsten Rahmenprogramme zur politischen Gestaltung, die Gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP), habe er von seiner Vorgängerin geerbt, sagt Özdemir. »Hier werden wir noch innerhalb dieser Förderperiode eingreifen.« Doch warum hat er in den ersten Monaten seiner Amtszeit, in denen die deutschen Strategiepläne der EU-Kommission präsentiert werden mussten, nicht nachgeliefert? »Özdemir hatte hier Möglichkeiten, sofort aktiv zu werden«, kritisiert Phillip Brändle von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) auf der Grünen Woche. Die Veranstaltung auf dem Berliner Messegelände mit rund 1400 Ausstellenden öffnet an diesem Freitag fürs Publikum und geht bis Ende kommender Woche.
Vorgelegt hat Özdemir einen Gesetzentwurf zur Tierhaltung. Nachdem seine Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) mit einem staatlichen verpflichtenden Label gescheitert war, sollen Verbraucher*innen zukünftig an einer Kennzeichnung ablesen können, wie Tiere gehalten werden. Die Stufen: Stall, Stall und Platz, Frischluftstall, Auslauf/Freiland und Bio als Extra-Kategorie. Die Verpflichtung soll laut Özdemir zunächst für Schweinefleisch gelten, später sollen weitere hinzukommen. Der Gesetzentwurf wurde nach erster Lesung im Bundestag an den Landwirtschaftsausschuss verwiesen.
Doch der Vorschlag stößt auf wenig Zustimmung. Bei einer Anhörung zu Wochenbeginn mahnten Sachverständige Nachbesserungen an. So forderte Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL, auch die Sauenhaltung einzubeziehen. Die Unternehmensinitiative »Tierwohl« sieht die Betriebe benachteiligt, die bereits an dem freiwilligen Label teilnehmen. Von einem »Programm zum Abbau der Tierhaltung« spricht Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. »Wir sind dabei, den Tierhaltungsstandort Deutschland zu gefährden.« Dem Bund für Umwelt und Naturschutz dagegen reicht es nicht, dass es zunächst nur um die Schweine und hier sogar nur um Frischfleisch gehe. »Auch die angesetzten Haushaltsmittel sind viel zu gering«, sagte der Verbandsvorsitzende Olaf Bandt.
Finanziert werden soll der Umbau zunächst mit einer Anschubfinanzierung des Bundes von einer Milliarde Euro. »Das ist für den Anfang erst mal gut, aber es reicht auch nicht«, räumt Özdemir auf der Grünen Woche ein. Für eine weitergehende Finanzierung gebe es in der Koalition Klärungsbedarf. Eine Expertenkommission hatte eine höhere Mehrwertsteuer oder eine »Tierwohlabgabe« auf tierische Produkte vorgeschlagen.
Streit mit dem Bauernverband gibt es auch beim Thema Biosprit. Özdemir möchte wie seine Parteikollegin, Umweltministerin Steffi Lemke, die Förderung spätestens 2030 beenden, denn: »Die Herstellung aus Nahrungspflanzen hat keine Zukunft – vor allem nicht, wenn wir das Thema Ernährungssicherheit und bezahlbare Lebensmittel ernst nehmen.« Lemke hatte den Stopp bereits im Mai 2022 angekündigt, die Abstimmung vor allem mit dem FDP-geführten Verkehrsministerium gestaltet sich schwierig. Nun soll ein neuer Entwurf in der Ressortabstimmung sein. Bauernverbandschef Rukwied hält auf der Grünen Woche dagegen: »Ohne Biosprit geht es nicht.«
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