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Ramstein spürt den Krieg
Auf der US-Luftwaffenbasis diskutiert der Westen seine Ukraine-Strategie. Die örtliche Friedensbewegung sucht nach Alternativen.
In Kaiserslautern, unweit der US-Luftwaffenbasis Ramstein, spürt man im Alltag früher als anderswo, wenn weit entfernt ein Krieg ausbricht oder eskaliert. Das erklärt der Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen Linken, Stefan Glander: Die Flugzeuge starten dichter hintereinander und schwärmen in alle Richtungen aus. Die Geräusche der Düsenjets ließen Glander schon in der Kindheit in Kaiserslautern im Bett hochschrecken. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine erleben Glanders Mitbürger*innen vermehrt Flüge von des US-Stützpunkts, von den riesigen Tankflugzeugen bis zu den schnellen Kampfjets C-21 und C-130J, die Richtung Osten und Südosten losfliegen.
Beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe am letzten Freitag wurde die Lieferung von weiterem Kriegsgerät in die Ukraine organisiert. Besonders debattierten die Verteidigungsminister von mehr als 50 Ländern über die Notwendigkeit der deutschen Leopard 2-Panzer für die Ukraine; die deutsche Regierung verweigert die Exportgenehmigung – bislang, jedenfalls. Doch die USA, deren Verteidigungsminister Lloyd Austin zum Treffen in Rammstein eingeladen hatte, geben sich gelassen. Sie erwarten wohl ein baldiges Umdenken der Bundesregierung.
In Ramstein gibt sich Robert A. Firman, Oberst der US-Luftwaffe, gegenüber dem »nd« entspannt: Das Leben auf dem Stützpunkt habe sich seit dem Kriegsausbruch nicht wesentlich verändert, schon seit Jahrzehnten starten und landen viele Flüge auf dem weltweit größten US-Luftwaffenstützpunkt. Über neue Zielflughäfen seit dem Kriegsausbruch will er nicht sprechen, doch Rumänien und Polen gelten als die Hauptdestinationen.
Anders war die Situation laut Firman am Ende des US-Afghanistan-Einsatzes vor anderthalb Jahren. Damals hätte man kaum schlafen können. Es wurden Unmengen Material durch die Luft transportiert, teilweise landete alle 15 Minuten ein Flugzeug. Ramstein ist auch für die Planung und Steuerung der US-Drohneneinsätze zuständig. Auf die Frage, wie die USA der Ukraine konkret gegen die russischen Drohneneinsätze helfe, behauptet Firman, man sei nur beratend tätig. Die US-Luftwaffe würde den Ukrainern helfen, ein besseres Bild des Luftraums zu entwickeln, um die Abwehr von kommenden Bedrohungen zu verbessern.
Der Name Ramstein steht symbolisch für die wechselvollen deutsch-amerikanischen Beziehungen seit Ende des Zweiten Weltkriegs: Vor allem durch das Unglück von 1988, wo die Zuschaustellung von militärischer Macht und Überlegenheit bei einer Flugschau für 300 000 Besucher mit dem Tod von 70 Menschen und über 1000 Verletzten endete, erlangte er traurige Berühmtheit. Glander, der am Rande der Air Base Ramstein aufgewachsen ist, erinnert sich an das heulende Geräusch der Sirenen der ausschwärmenden Krankenwagen – zuerst wusste niemand, was vorgefallen war. Auf der Landstrasse L363, nah dem Tor zur Air Base, gibt es heute eine Gedenkstätte als Erinnerung des Unglücks. Die rheinland-pfälzische Friedensbewegung hält dort noch immer regelmäßige Andachten ab.
Am selben Ort versammelt sich am Freitagmorgen des 20. Januar auch die Presse, um im Morgengrauen für das Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in ehemaligen Schulbussen der US-Luftwaffe abgeholt zu werden. Zuvor werden Taschen und Kameras von Suchhunden überprüft. Die Hundeführer des Militärs wirken routiniert, sie gehen sehr liebevoll mit ihren Tieren um, Kommandos erfolgen durch Fingerschnipsen: die erste amerikanische Machtdemonstration des Tages.
US-Verteidigungsminister Austin, selbst Ex-General, ist Meister des diplomatischen Tons. Stolz beschreibt er den Zusammenhalt seiner Koalition. Unter Austins Führung wächst der Druck auf Deutschland in der Frage der Ausfuhr von Leopard-Panzern, vor allem auf Bestreben von lieferwilligen Ländern wie Polen, Finnland und Großbritannien. Doch auch Geduld und Toleranz für den Widerstand der Regierung von Olaf Scholz sind vernehmbar. In den Tagen zuvor hatte es unbestätigte Berichte gegeben, dass Scholz in einem Telefongespräch mit Joe Biden versucht hätte, den Einsatz von amerikanischen Abrams-Panzern als Bedingung für die Lieferung des Leopard ins Spiel zu bringen. Doch dieser Anspruch auf Augenhöhe blieb Scholz wohl verweigert. Schon vor dem Treffen äußerte sich US-Brigadegeneral Patrick S. Ryder gegenüber dem nd: »Wir haben im Moment gar keine Pläne, der Ukraine Abrams-Panzer zu geben, das System ist zu komplex«. Stunden später behauptete der neue deutsche Verteidigungsminister Pistorius Ähnliches: In den Diskussionen seien die Abrams-Panzer nicht mal erwähnt worden.
Deutsche wie US-Amerikaner geben sich beim Treffen in Ramstein nüchtern, ebenso wie NATO-Chef Jens Stoltenberg, der das Ergebnis der Konferenz mit eiserner Miene als wichtigen Schritt zur weiteren Unterstützung der mechanisierten Kriegsführung der Ukraine bezeichnet. Andere Teilnehmer geben sich emotionaler, allen voran der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. »Bei Terror gibt es keinen Raum für Diskussionen, Krieg duldet keinen Zeitverlust«, so Selenskyj auf Englisch. »Wenn Sie Eltern von Kindern sind,« ermahnt er die versammelten Verteidigungsminister, »dann wissen Sie, dass ihren Kindern immer sofort geholfen werden muss.« Auch der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak von der rechtsgerichteten PiS trat mit Leidenschaft vor die Presse; unter Anspannung hält er eine Ansprache auf Polnisch, am Ende spricht er aber auf Englisch von seiner Hoffnung, »dass die Deutschen doch die Freigabe der Leoparden erlauben«.
Die Lieferung der Leopard-Panzer wird als eine Schicksalsfrage betrachtet, doch selbst enttäuschte Teilnehmer geben sich zuversichtlich: Sie muss kommen. Selenskyj erklärt, dass »Zeit eine russische Waffe« sei. Austin mahnt leise, dass das Zeitfenster vor der Frühlingsoffensive immer kleiner werde. Die weitere Entwicklung werde eine deutsche Entscheidung erzwingen, so der Tenor in Ramstein.
Doch am Ende des Treffens wird eine Einschätzung geäußert, die keineswegs von einmütigem Optimismus im Bündnis zeugt: Mark A. Milley, Vorsitzender des Vereinigten Generalstabes, hält fast dieselbe Rede, die er in Washington schon im Dezember gehalten hatte und für die er scharf kritisiert wurde. Dieser Krieg sei eine Katastrophe, sagte er, vor allem für die Russen. Die Ukrainer würden die Invasoren im kommenden Jahr aber kaum vertreiben können. Zu lang sei die Kriegsfront, die sich, gemessen in US-amerikanischen Größenordnungen, von Washington bis Atlanta erstrecken würde.
Milley berichtet von der Begegnung mit seinem ukrainischen Amtskollegen Walerij Saluschnyj an der polnischen Grenze und mit Soldaten und Ausbildern im »Camp Cherson« in Grafenwöhr, die den Umgang mit dem neuen Bradley-Leichtpanzer lernen. Doch eine mögliche Kriegswende durch den Einsatz der Panzer oder durch anderes Kriegsgerät erwähnt Milley mit keinem Wort. Im Dezember legte er den Ukrainern nahe, jetzt zu verhandeln, denn die Zeit vor der Frühlingsoffensive schwinde. In Ramstein wiederholte er diesen Rat nicht, sagte aber stattdessen, dass dieser Konflikt, wie die meisten Kriege, am Verhandlungstisch enden werde.
Ist die Absicht hinter dieser Aussage, die Ukraine zu demoralisieren? Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Die eigentlichen Adressaten von Milleys Worten sind eher die notorisch optimistischen Neokonservativen in Washington, die zunehmend einen ukrainischen Angriff auf die Krim als Befreiungsschlag empfehlen. Am Ende des Afghanistankrieges wurde in Washington bemängelt, dass exzessiv optimistische Szenarien zur Überschätzung der Regierung in Kabul geführt hätten. Nach einem erfolglosen Krieg kam der überhastete Rückzug. Der enge Flugplan in Ramstein war das Ergebnis. Milley unterstreicht nun die Notwendigkeit einer nüchternen Lageeinschätzung. Auch vermittelt er distanzierte Gelassenheit: Amerika kann in diesem Fall zurückhaltend sein, weil es keine unmittelbare Kriegspartei ist.
Mit Milleys Einschätzung gingen die Reden auf der Air Base zu Ende; die Presse macht sich auf der dunklen, verschneiten Landstrasse L363 mit ihren steilen Abhängen und Gräben auf den Rückweg. In Kaiserslautern beginnt an diesem Abend eine andere Diskussion über den Ukraine-Krieg, veranstaltet vom Linken-Chef Glander im alten Fachwerkgebäude des Zinke-Museums im Stadtzentrum. Das Gespräch ist seit Monaten geplant. Rund 40 Menschen kommen zu einer Diskussion mit dem Friedensaktivisten Klaus Wirtgen von der Friedensinitiative Westpfalz und Jan van Aken von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Man redet über das Leben auf dem »westpfälzischen Pulverfass« zwischen Ramstein und Büchel, wo US-Atomwaffen lagern. Die Atmosphäre erinnert an das Westdeutschland der 80er Jahre, als Menschen wie Glander politisch aktiv wurden. Jetzt würde Glander Kaiserslautern gerne mehr Konversionsprojekte anbieten. Die Stadt ist arm und will dringend von der Entwicklung des Rhein-Neckar-Raums profitieren, hat aber kaum freie Industrieflächen anzubieten.
Die öffentliche Debatte um den Ukraine-Krieg wird als unzureichend empfunden, besonders am Anfang des Krieges. Obwohl die Bevölkerung viel skeptischer auf Waffenlieferungen reagierte, seien die Medien viel nationalistischer als in den 80ern. Viele im Publikum beschreiben ihren Eindruck, der Diskurs sei von »Denkverboten« geprägt. Wirtgen beschreibt den Ukraine-Krieg in ähnlichen Tönen wie Milley eine Stunde zuvor: eine unfassbar verlustreiche Tragödie, bei der Zivilisten sterben und Soldaten, die gerne weiter gelebt hätten, zerfetzt werden. Er fordert eine erhöhte Wachsamkeit und meint, einzig humanitäre Hilfe biete Sicherheit.
Doch der Krieg fordert täglich weitere Opfer, manchmal in Massen, wie beim Angriff auf das Wohnhaus in Dnipro letzte Wochen, manchmal in Gruppen, wie beim Absturz des Helikopters mit dem ukrainischen Innenminister Denys Monastyrskyj und seinen Mitarbeitern. Vor ein paar Tagen wurde der Tod des desertierten US-Soldaten Daniel Swift bei Bachmut bekanntgegeben: Swift, der aus Oregon stammt und der Eliteeinheit »Navy Seals« der US-Marine angehörte, hatte sich als freiwilliger Kämpfer ukrainischen Einheiten angeschlossen.
Auch die Friedensbewegung in Kaiserslautern musste in diesem Kriegsjahr ein Opfer beklagen. Der leidenschaftliche »Friedenspfarrer« der Evangelischen Landeskirche, Detlev Besier, war in den ersten Wochen des Krieges ständig im Einsatz. Er sprach alle Altersgruppen an, seine Friedensgottesdienste waren sehr voll, als die Menschen mit der neuen Situation nach dem russischen Überfall überfordert waren. Eines Abends in der Dämmerung fuhr der 62-jährige mit seinem Fahrrad auf der Landstrasse L363 bei Landstuhl südlich der Airbase entlang. Ein Autofahrer hielt keinen Abstand und stieß Besier in den steilen Abgrund neben der Straße. Er beging danach Fahrerflucht. Besier wurde schwer verletzt in eine Klinik eingeliefert. Wenige Tage später verlor Kaiserslautern seinen Friedenspfarrer.
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