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In den Fängen der Gier
Juventus Turin könnte nach Bilanzfälschungen über Jahre hinweg aus dem internationalen Fußball verbannt werden
Die »Alte Dame« ist mächtig durcheinander. Drei Gegentore kassierte Juventus Turin am Sonntag im eigenen Stadion gegen Atalanta Bergamo. Früher galten die Turiner in den Zebratrikots als die Defensivkünstler der Serie A. Jetzt sorgen sie für Resultate wie das 3:3 gegen Bergamo; zuvor gab es sogar eine historische 1:5-Klatsche gegen Tabellenführer SSC Neapel.
Doch nicht nur Juves Abwehr ist löchrig geworden. Dem Rekordmeister sind auch die Führungsfiguren verloren gegangen. Ende vergangenen Jahres traten Präsident Andrea Agnelli und der komplette Aufsichtsrat zurück, weil der Druck angesichts straf- und sportrechtlicher Ermittlungen wegen mutmaßlichen Bilanzbetrugs zu groß geworden war.
Jene Ermittlungen führten dieser Tage nun zu ersten Konsequenzen: Juventus wurde vom italienischen Fußballverband FIGC mit 15 Punkten Abzug in der laufenden Meisterschaft belegt. »Sie müssen hinter dem AS Rom sein«, begründete Chefankläger Giuseppe Chinè das Strafmaß. Und das nicht, weil Chinè möglicherweise Roma-Fan ist – als Staatsanwalt arbeitete er viele Jahre in Süditalien –, sondern weil er den Branchenführer des italienischen Fußballs aus den Champions-League-Plätzen heraushaben will.
Genau diese Platzierungen, die die Teilnahme an Europas Königsklasse ermöglichen, habe der Klub schließlich mit illegalen Mitteln erreicht, argumentierte Chinè: »In den Spielzeiten, um die es geht, hatte Turin beträchtliche Verluste. Anstatt sie aus eigener Tasche zu kompensieren, kreierte der Klub künstliche Wertsteigerungen von Spielern, was ihm erlaubte, echtes Geld auf dem Transfermarkt einzusammeln, das dann den sportlichen Wettbewerb verfälschte.«
Auf etwa 170 Millionen Euro taxierte Chinè die Einnahmen, die Juventus in den Jahren 2019 bis 2021 durch fingierte Wertsteigerungen erzielt hat. Sie ließen die Bilanzen etwas hübscher, aber noch lange nicht gesund aussehen. Selbst mit diesen Tricks ist der Schuldenstand enorm. 2021/22 wurden Verluste von mehr als 250 Millionen Euro eingefahren, über fünf Jahre summieren sie sich sogar auf 611 Millionen. Auslöser war ein aus dem Ruder gelaufener Transfermarkt. An der Spitze steht natürlich die Verpflichtung von Cristiano Ronaldo. Mit der Ablöse von 117 Millionen Euro, Gehältern und Boni beliefen sich die Gesamtkosten für den mittlerweile in Saudi-Arabien spielenden Portugiesen auf 272 Millionen Euro.
Um diese Ausgaben, die Juventus endlich den Sieg in der Champions League bescheren sollten, zu kompensieren, verfolgte die alte Führung um Präsident Agnelli zwei Wege. Der eine hieß Super League. Deren Kerngedanke war, eine Geldmaschine in Gang zu setzen, von der Juventus in ähnlichem Maße profitieren würde wie die Konkurrenten aus der Premier League. Die Idee zündete vor allem dort, wo die Problemlage ähnlich war. Sehr gern beteiligten sich die ebenfalls hoch verschuldeten spanischen Spitzenteams Real Madrid und FC Barcelona an dem »Blutpakt der Klubs«, zu dem Agnelli die Unternehmung hochstilisiert hatte.
Das ging krachend schief, vor allem weil Fans in ganz Europa rebellierten. Um zumindest kurzfristig die Bilanzen aufzuhübschen und glimpflich bei den Financial-Fairplay-Untersuchungen von Europas Dachverband Uefa davonzukommen, wurde das Instrument der künstlichen Wertsteigerungen angewendet. In Italien hat dies Tradition. Juventus baute es aber zu einem System aus.
Der Mechanismus funktioniert so: Verein A verkauft Spieler zu einem bestimmten Betrag und einem mit der Gegenseite vereinbarten Wert. Die Einnahmen können sofort verbucht werden. Verein B, der den Spieler kauft, kann die Ausgaben hingegen auf die komplette Vertragszeit stückeln. Der Buchwert des Spielers aber kann sofort auf der Positivseite der Bilanzen eingetragen werden. Oft gaben sich Vereine gegenseitig Spieler und vereinbarten Bewertungen für diese, die gut zu den eigenen Bilanznöten passten. Und nicht selten, gerade im Fall von Juventus, wurden Spieler gekauft und verkauft, die niemals in Pflichtspielen eingesetzt wurden, sondern allein den Bilanzen guttaten.
Vermutet hatte man all das schon länger. Doch erst Ermittlungen im Rahmen der Operation »Prisma« führten zu Beweisen. Eine Razzia im März 2022 in den Geschäftsräumen von Juventus war besonders ergiebig. Unter anderem kam das »schwarze Buch des Fabio Paratici« zum Vorschein. Darin notierte der neu bestellte Sportdirektor Federico Cherubini massive Zweifel an der Strategie seines Vorgängers Paratici. Er monierte »Ankäufe ohne Sinn und ohne Maß« und einen »exzessiven Gebrauch künstlicher Wertsteigerungen«. Die Ermittler der Justiz hörten zudem Telefongespräche ab. In einem davon gab Agnelli gegenüber seinem Cousin John Elkann, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Muttergesellschaft Stellantis, zu: »Wir haben exzessiven Gebrauch vom Instrument der Wertsteigerungen gemacht.«
Diese Beweismittel stützten auch die Argumentation des Sportanklägers Chinè, dass Juventus-Manager ganz bewusst manipuliert hatten. Das FIGC-Sportgericht ging über seine Forderungen nun sogar hinaus und erhöhte das Strafmaß von ursprünglich 9 auf 15 Punkte Abzug. Juventus ist jetzt 27 Punkte von Tabellenführer Neapel entfernt, 14 Punkte von der Champions-League-Berechtigung, aber nur noch 11 vom ersten Abstiegsplatz.
Weiteres Ungemach droht: Die Prozesseröffnung im Verfahren der Strafjustiz wegen Bilanzfälschung ist für Ende März angesetzt. Zudem werden Tricks bei Spielergehältern untersucht. Und die Uefa leitete aufgrund der neuen Beweislage eine neue Untersuchung auf Einhaltung des Financial Fair Play ein. Kommentatoren in Italien rechnen angesichts der unter Umständen noch kommenden Strafen mit mehreren Jahren Absenz von Juventus im internationalen Fußball. Das wiederum könnte zu einer Flucht von Starspielern und Sponsoren führen. Durch ihre maßlose Gier hat die alte Klubführung diesen einstigen Spitzenverein womöglich an den Rand des Abgrunds gebracht.
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