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Kinderfreundlichkeit ist das neue Ziel
Japans Regierung will mit besseren Bedingungen für Nachwuchs die Geburtenrate steigern
»Wir stehen an einem Scheideweg«, mahnte Premierminister Fumio Kishida in seiner ersten Ansprache im japanischen Parlament Anfang der Woche. Damit war nicht etwa der Krieg in der Ukraine, der auch in seinem Land zu einer historischen Aufrüstung geführt hat, und auch nicht die hohe Inflationsrate, die den Menschen große Teile ihrer Kaufkraft auffrisst, gemeint. Kishida führte aus: »Wenn es um die Geburten- und Erziehungspolitik geht, heißt es jetzt oder nie.« Das Thema könne einfach nicht länger warten. Sonst verlöre die Gesellschaft ihre Funktionsfähigkeit.
Wie in vielen wohlhabenden Ländern ist auch in Japan die Geburtenrate – also die durchschnittliche Anzahl der Kinder, die eine Frau in ihrem Leben zur Welt bringt – historisch niedrig: In dem ostasiatischen Land lag sie zuletzt bei 1,33, also noch etwas unterhalb des Niveaus Deutschlands (1,52), der Schweiz (1,51) und Österreichs (1,44). Damit die Bevölkerungsgröße konstant bleibt, wäre eine Reproduktionsrate von rund 2,1 nötig. Und da Japan sich neben einer niedrigen Geburtenrate auch durch eine strenge Migrationspolitik auszeichnet, schrumpft die Bevölkerung seit Jahren.
Als Problem gilt dies vor allem deshalb, weil diverse soziale Systeme – von Rentenkassen bis zur Krankenversicherung – auf der Annahme einer zumindest konstanten Bevölkerung basieren. Zudem ist es bei einer fallenden Zahl von Konsumenten und Produzentinnen schwierig, weiteres Wirtschaftswachstum und damit Wohlstandsgewinne zu erzielen. Ein Szenario, das in Japan schon Realität ist: Als ein entscheidender Faktor für die Stagnation der Wirtschaft, die seit nunmehr drei Jahrzehnten anhält, gilt die demografische Lage des Landes.
Premierminister Kishida will dies nun ändern. Zwar gibt es seit Jahren ein für die Geburtenpolitik zuständiges Ministerium, Kishida hat das Thema nun aber zur »höchsten Priorität« erklärt. Bis Ende März will sein Kabinett eine Strategie ausarbeiten, wie die Gesellschaft kinderfreundlicher werden soll.
Das Problem ist nämlich nicht, dass Menschen keine Kinder haben wollen, was Umfragen immer wieder zeigen. Vielmehr passen sie ihre Pläne zur Familiengründung den widrigen gesellschaftlichen Umständen an. So liegt auf den ersten Blick auf der Hand, was Japan tun müsste, um zumindest mit anderen Ländern aufzuholen. Im Vergleich zu diversen Industriestaaten mit ähnlichem Wohlstandsniveau und höheren Reproduktionsraten erhalten Eltern in Japan nicht nur weniger öffentliche Zuschüsse zur Kindererziehung. Das Kinderkriegen ist im ostasiatischen Land auch sonst mit hohen Kosten verbunden.
So ist einerseits das Bildungswesen in Japan weitgehend privatisiert: Angesehene Schulen kosten Gebühren von oft mehreren Hundert Euro im Monat, hinzu kommt die übliche Praxis von Nachhilfeunterricht. Zudem haben Väter und Mütter zwar theoretisch das Recht, sich zeitweise vom Arbeitsplatz zurückzuziehen, um sich um das neugeborene Kind zu kümmern. Umfragen aber haben über die Jahre gezeigt, dass rund ein Viertel aller Frauen bei einer Schwangerschaft am Arbeitsplatz diskriminiert und vom Arbeitgeber eher entmutigt wird, was die Chancen auf einen erfolgreichen Wiedereinstieg angeht.
Auch mangelt es an Kinderbetreuungsmöglichkeiten, was tendenziell eher Frauen, die in Japan meist geringere Einkommen haben als Männer, aus dem Arbeitsmarkt drängt. Viele Frauen sehen sich damit vor die Entscheidung gestellt: Familiengründung mit Kindern oder Karriere. Dies wiederum setzt berufstätige Männer unter Druck, mehr zu verdienen und eine Familie alleine zu finanzieren.
Japanische Soziolog*innen weisen seit Jahren auf diese Probleme hin. Die Politik aber hat bisher kaum reagiert. Dies dürfte allerdings nicht nur daran liegen, dass die zumeist eher betagten Männer, die in Japans Parlamenten und Kabinetten überrepräsentiert sind, die Lage nicht begriffen haben. Wahrscheinlicher ist, dass sie vor der Größe der Aufgabe zurückschrecken. Damit die Familiengründung in Japan wieder einfacher wird, müsste an diversen Stellschrauben gedreht werden – der Reformbedarf ist groß.
So müsste das Land nicht nur mehr Betreuungsplätze für Kinder bereitstellen, sondern bis auf Weiteres auch Bildung stärker öffentlich finanzieren, sodass sie nicht mehr zu den entscheidenden Kostenfaktoren bei der Familienplanung zählt. Zudem müsste nicht nur der Staat durch die Erhöhung von Elterngeld und -zeit zum Kinderkriegen ermutigen, sondern auch die Arbeitgeber. Dies würde wohl ein Umdenken nicht nur in der Politik, sondern auch in Gesellschaft und Privatwirtschaft erfordern.
Bei einer Schwangerschaft dürfte etwa nicht mehr der momentane Ausfall einer Arbeitnehmerin im Mittelpunkt stehen, wie es in Japan, das mit akutem Arbeitskräftemangel kämpft, heute oft der Fall ist. Teilweise ließe sich diese Mangellage wohl durch eine gelockerte Migrationspolitik beheben, durch die mehr Arbeitskräfte verfügbar würden. Vor allem aber wäre ein Wertewandel nötig, damit Elternschaft bei Beschäftigten nicht als Malus, sondern als Bonus gilt. Dies ist allerdings kein Leichtes. Auch die westlichen Länder, die nur leicht höhere Reproduktionsraten erzielen, tun sich in dieser Hinsicht seit Jahren schwer.
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