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Den Fokus auf die Opfer richten
Natascha Strobl über die Causa Teichtmeister
Österreichs Kunstszene befindet sich im Schockzustand. Kürzlich ist bekannt geworden, dass der beliebte Schauspieler Florian Teichtmeister 58.000 Dateien mit Abbildungen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder in Besitz hatte. Seit 13 Jahren sammelte er diese Bilder und fertigte Collagen mit obszönen Sprechblasen an. Die Fotos dazu hat er auf Drehsets selbst geschossen. Es sind abscheuliche Taten.
Es gibt sehr, sehr viele Fragen, die in diesem Zusammenhang auftauchen. Etwa, warum man nach einer Hausdurchsuchung im Herbst 2021 so lange an Teichtmeister festgehalten und ihn weiter in der Branche, unter anderem im Wiener Burgtheater, beschäftigt hat? Warum hat niemand versucht, die ehemalige Lebensgefährtin zu kontaktieren, die der Polizei den entscheidenden Hinweis gab? Wie ist es überhaupt um den Kinderschutz in der österreichischen Kulturszene bestellt? Und die wichtigste Frage überhaupt: Was ist mit den Opfern?
Stattdessen werden Nebelgranaten geschossen. Vom Rechtsverteidiger Teichtmeisters, von konservativen Politiker*innen und von der extremen Rechten. Es ist die Aufgabe eines Anwalts, Litigations-PR zu betreiben. In diesem Fall ist es aber besonders ekelerregend. Teichtmeisters Anwalt spricht von einem »rein digitalen Delikt«, eine Unterscheidung, die es so im österreichischen Gesetz nicht gibt. Zumal die Konsument*innen dieser Darstellungen bewirken, dass es zu den Gewaltakten an Kindern und Jugendlichen kommt.
Konservative Politiker echauffieren sich, dass Sebastian Kurz’ Name bei Ermittlungen wegen Korruption sofort bekannt wurde, während man Teichtmeisters Name über ein Jahr lang nicht medial nennen durfte. Hier werden Sachen vermengt, die nichts miteinander zu tun haben und die nur dazu dienen, den ehemaligen Bundeskanzler reinzuwaschen. Klar, neben jemandem, der Dateien mit sexualisierter Gewalt an Kindern sammelt, schaut jeder gut aus. Aber das ist ja nicht der Maßstab. Es ist auch unredlich, den Fokus von den Opfern zu lenken und zu glauben, Kurz sei das wahre Opfer dieser Causa.
Und dann gibt es noch die extreme Rechte, die – in Form der Verwaltungsmasse der Identitären – krampfhaft versucht, wieder Fuß zu fassen. Wie bei ihren Anfängen versuchte sie es auch dieses Mal mit einer Transparentaktion. Aktivist*innen brachten ein Plakat vor dem Burgtheater an. Tenor: Eine dekadente, linke Kulturszene vergreift sich an Kindern. Und das ist alles Beleg für die Schlechtigkeit der linken Schickeria.
Das könnte bei jedem anderen Thema witzig sein, ist doch das Burgtheater der Inbegriff des konservativen Bürgertums. Das Burgtheater ist in etwa so links wie ein Abend in einer Loge der Wiener Staatsoper mit anschließendem Hummer-Dinner. An solchen Kleinigkeiten stört man sich aber nicht in der extremen Rechten. Irgendwas mit Kultur und Wien, und schon hat man das Narrativ konstruiert. Das Perfide: Diese Parallelrealitäten lenken ebenfalls von den eigentlichen Opfern ab. Opfer ist nicht die österreichische Kulturnation. Opfer ist auch kein Film oder Theater. Opfer ist nicht ein Politiker, der ebenfalls in Konflikt mit dem Gesetz gekommen ist. Und auf keinen Fall sind extrem rechte Aktivisten im apokalyptischen Weltschmerz die Opfer. Opfer sind die tausenden Kinder, denen jedes Jahr sexualisierte Gewalt angetan wird. Das muss der Fokus des Falls Teichtmeister sein.
Die entscheidenden Fragen sind: Wohin kann man sich bei Verdachtsfällen wenden? Wie gehen Justiz und Polizei damit um? Gibt es überall, wo sich Kinder aufhalten, ernstzunehmende Kinderschutzkonzepte? Und wie können Kinder in ihrer materiellen und sozialen und psychischen Lage so gestärkt werden, dass sie ernst genommen werden und äußern können, wenn ihnen etwas komisch vorkommt? Es wäre gut, wenn alle sich zu Gunsten dieser Kinder in der Debatte zurücknehmen würden.
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