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»Wir brauchen auch die Diplomatie«
Europapolitikerin Cornelia Ernst zur Lage im Iran, zu den westlichen Sanktionen gegen Teheran und zur Unterstützung von Verurteilten
In der vergangenen Woche haben die EU-Außenminister weitere Sanktionen gegen Iran beschlossen, bereits zuvor hatte das Europäische Parlament ebenfalls verschärfte Restriktionen angemahnt. Wird sich das Regime in Teheran davon beeindrucken lassen?
Ich denke, Sanktionen sind die einzige Möglichkeit, die wir als Mittel gegen das aktuelle Vorgehen der iranischen Führung in der Hand haben. Allerdings muss man in der Frage der Sanktionen sehr stark differenzieren. Sie sind richtig und notwendig, wenn sie sich gegen Personen richten, die aktiv an den Hinrichtungen beteiligt sind, die Gerichtsurteile gesprochen haben, die verantwortlich sind für die brutale Niederschlagung der Proteste. Was ich allerdings ablehne, sind »Strafmaßnahmen«, die die Bevölkerung insgesamt treffen. Das waren in der Vergangenheit vor allem ökonomische Sanktionen, die von der Trump-Regierung in den USA eingeführt wurden. Aber alles, was pauschal und flächendeckend angewendet wird, ist reine Symbolpolitik und wenig hilfreich. Am wenigsten übrigens für jene Menschen, die kurz vor der Hinrichtung stehen.
In einer internen Analyse haben Sie festgestellt, dass die pauschalen Sanktionen insbesondere der USA nicht unwesentlich zu den Wahlerfolgen der Hardliner in Teheran beigetragen haben.
Da gibt es tatsächlich eine Verbindung. Der Ausstieg von Trump aus dem Atomabkommen mit dem Iran war eines seiner Wahlversprechen gegenüber den radikalen Republikanern, quasi ein Dankeschön. Daneben hat er weitere Sanktionen erlassen, und zwar nach dem Prinzip: Wer mit dem Iran Handel treibt, der darf mit den USA keinen Handel treiben, der wird selbst mit Sanktionen belegt, muss Strafzölle zahlen, das ganze Programm eben. Trump hat damit praktisch den gesamten iranischen Export von Erdöl und Erdgas Richtung Westen abgewürgt. Letztlich hat sich dadurch die Lebenslage der Bevölkerung drastisch verschlechtert. Und das wiederum führte dazu, dass sehr viele Menschen jenen Politikern ihre Stimme gaben, die dem Westen generell den Rücken kehren wollten.
Proteste gegen die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse gab es im Iran seit Jahrzehnten. Das jetzige Aufbegehren hat aber andere Hintergründe und auch eine erheblich größere Dimension.
Der Iran ist im Unterschied zu vielen Ländern in diesem Raum ein sehr demonstrationsbewegtes Land. Im Jahr 2009 wurde gekämpft – die grüne Bewegung gegen die Wahlfälschungen, gegen Ahmadinedschad. Später ging es um Benzinpreise, um die Wassernot, die es in einigen Regionen gibt, insbesondere in den kurdischen. Das waren immer einzelne Kämpfe, die aufgeflammt sind und dann war es wieder vorbei. Die jüngsten Proteste haben aber in der Tat eine andere Qualität. Erstens, weil sie nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini im vergangenen September von Frauen begonnen und zugleich von Männern unterstützt wurden. Das ist zweifellos etwas Besonderes und wäre in vielen islamischen Staaten kaum zu denken. So entstand zweitens eine breite Bewegung, die sich weit über Einzelforderungen hinaus einig ist: Jetzt reichts! Insofern hat die offensichtliche Ermordung einer jungen Frau durch die Sittenpolizei und das brutale Vorgehen des Staates gegen Demonstrierende den Protesten immer mehr politischen Charakter verliehen.
Können die Proteste dem Regime ernsthaft gefährlich werden?
Das Problem bei der Protestbewegung besteht darin, dass sie noch am Anfang steht, noch sehr spontan ist. Sie muss sich strukturieren, organisieren, braucht Führung, auch Führungspersonen. Vor allem muss sie eine Vision entwickeln, was nach dem Regime kommen soll. Ich sehe unsere Aufgabe vor allem darin, die Protestbewegung bei diesen Aufgaben zu unterstützen. Beispielsweise, indem wir sichere Kanäle schaffen, um direkt mit der Protestbewegung zu kommunizieren und indem wir uns für Inhaftierte und von der Todesstrafe direkt Betroffene persönlich einsetzen.
Wie soll denn der Einsatz für Verhaftete, gar für zum Tode Verurteilte aussehen?
Ohne öffentlichen und spürbaren Druck auf das Regime wird sich nur wenig bewegen und natürlich sind trotzdem unsere Einflussmöglichkeiten von außen begrenzt. Wir müssen dennoch die nach wie vor vorhandenen diplomatischen Kanäle nutzen, die Botschaften, die Vertretungen, auch einzelne Diplomaten unter Druck setzen, um Leben retten zu helfen. Das ist ein dauernder Kraftakt und keine Eintagsfliege. Wir werden nicht weiterkommen, wenn wir uns lediglich damit begnügen, Sanktionen auszulösen. Wir kommen um die Sanktionen nicht herum, aber wir brauchen auch die zweite Schiene, und das ist die Diplomatie.
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Sie haben in Ihrem Positionspapier auch parlamentarische Patenschaften angesprochen.
Ja, dass Parlamentarier aus dem Westen mit bedrohten Parlamentariern oder Politikerinnen und Politikern im Iran, beispielsweise von der oppositionellen HDP, Patenschaften aufnehmen, halte ich für einen bestimmten Schutz. In der Bundesrepublik haben solche Patenschaften eine gute Tradition. Natürlich ist das begrenzt. Aber in der Vergangenheit konnten auf diesem Wege durchaus schon Menschen vor dem Schafott gerettet werden.
Nicht erst seit dem Ukraine-Krieg bilden sich neue Achsen zwischen Teheran, Moskau, Peking und Delhi. Wird das dem Regime im Iran zu mehr Stabilität verhelfen?
Absolut. Raisi sucht sehr bewusst die Nähe zu Moskau, Delhi und Peking, um seine Macht zu erhalten. Ich glaube, dass die Chinesen da ein bisschen cleverer sind und sich etwas zurücknehmen, um nicht in den Fokus der ganz großen Kritik zu geraten. Wir können wirklich kein Interesse daran haben, dass sich eine solche Allianz verfestigt. Wegen der politischen Ausrichtung und der Instrumentalisierung zum Machterhalt in allen vier Ländern. Und auch angesichts der Tatsache, dass Russland wie auch der Iran zu den rohstoffreichsten Ländern der Welt gehören und so einen wesentlichen Einfluss auf Weltwirtschaft und Welthandel ausüben können. Diese Allianz stärkt das Teheraner Regime. Das aber hat ausgedient, es muss einfach weg. Das muss aber letztlich von innen her geschehen.
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