»Die Innenpolitik der CDU besteht aus blankem Populismus«

Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco über die CDU – und die Probleme mit SPD-Innensenatorin Spranger

  • Interview: Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 7 Min.
Derbe Parolen: Wie die Berliner CDU im Wahlkampf auftritt, stößt bei Vasili Franco (Grüne) auf Missfallen.
Derbe Parolen: Wie die Berliner CDU im Wahlkampf auftritt, stößt bei Vasili Franco (Grüne) auf Missfallen.

Herr Franco, die Grünen wollen bei der Wahlwiederholung am 12. Februar das Rote Rathaus erobern. Wer den Senat führen will, traut sich dann ja sicher auch das Innenressort zu?

Interview

Vasili Franco, 1992 im russischen St. Petersburg geboren, beteiligte sich als Jugendlicher an den Protesten gegen die Castor-Transporte in Gorleben und trat 2010 den Grünen bei. Der studierte Verwaltungsrechtler zog nach den Wahlen im September 2021 über ein Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg 5 für die Grünen ins Abgeordnetenhaus ein. Der Fraktionssprecher für Innen- und Drogenpolitik gilt als dezidierter Vertreter des linken Parteiflügels.

Ich bin schon lange der Überzeugung, dass es an der Zeit ist, dass Grüne insgesamt in den Innenressorts Verantwortung übernehmen. Es mag vielleicht schon immer so gewesen sein, dass Polizei und Feuerwehr nie die nächsten Verbündeten der Grünen waren. Aber in der Innenpolitik werden so viele Dinge entschieden, die Auswirkungen auf die Freiheits- und Bürger*innenrechte haben. Auch geht es hier um die Frage, wie wir hier in unserer Stadt zusammenleben wollen. Wenn wir Grünen in Regierungsverantwortung sind und zudem noch einen Führungsanspruch haben, dann gehört auch dieses Politikfeld dazu.

Angesichts der Linkslastigkeit der Berliner Grünen bekommen konservative Law-and-Order-Politiker jetzt vermutlich Schnappatmung. Sie zum Beispiel gelten manchen als Radikalinski.

Ich finde es einfach nur lustig, dass uns vorgeworfen wird, wir seien polizeifeindlich, wir seien ideologisch, uns könnte man die Sicherheit nicht anvertrauen. Ich bin der vollen Überzeugung, dass das Gegenteil der Fall ist. Man muss sich nur mal den Innenhaushalt anschauen. Seit 2016 ist unter der Koalition zusammen mit SPD und Linken der Innenetat um mehr als 850 Millionen Euro auf fast drei Milliarden Euro angewachsen. Unter dem vormaligen CDU-Innensenator Frank Henkel waren es gerade mal um die 300 Millionen. Uns also vorzuwerfen, wir kümmern uns nicht um die Sicherheit in dieser Stadt, um die Polizist*innen, die Feuerwehrleute und Rettungskräfte, das hat nichts mit der Realität zu tun.

Weil Sie gerade den zwischen 2011 und 2016 amtierenden CDU-Innensenator Henkel erwähnt haben: Unterscheidet sich denn SPD-Innensenatorin Iris Spranger mit ihren Positionen so stark von ihrem Vor-Vorgänger?

Na ja, es ist schon erschreckend, dass die SPD-Innensenatorin oft näher dran ist an der CDU als an der eigenen Koalition. Statt über eine erfolgreiche Polizeistudie zu diskutieren, lässt sie sich im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses lieber von AfD bis CDU beklatschen. Da muss man sich fragen, für wen diese Innensenatorin regiert. Dennoch ist es wichtig, dass wir hier eine rot-grün-rote Koalition haben, die eben nicht jedem Reflex nach mehr Law-and-Order folgt, sondern für ein Abwägen von Freiheit und Sicherheit steht. Letztendlich kommt dennoch durch, wer das Ressort mit welcher Motivation führt.

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte ja zu ihrem Amtsantritt von einem neuen Stil gesprochen, von mehr rot-grün-rotem Miteinander statt Gegeneinander. Das hat ja nun zumindest im Bereich Innenpolitik überhaupt nicht geklappt.

Ja, das fehlt mir an der Stelle sehr oft. Das gilt vor allem für die Zusammenarbeit mit der Innenverwaltung. Ich bin davon überzeugt, wenn wir mehr Themen als rot-grün-rote Koalition von Anfang an zusammen anpacken würden, würde das auch der Innenpolitik in Berlin guttun.

Von interessierter Seite wurde bis vor Kurzem eifrig gestreut, CDU und Grüne würden bereits für die Zeit nach dem 12. Februar anbändeln. Auch wenn Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch dem nach der im Anschluss an die Silvesterrandale von der Union losgetretenen Vornamendebatte vorerst eine Abfuhr erteilt hat: Wäre eine solche Konstellation überhaupt vorstellbar für Sie?

Die Innenpolitik der CDU besteht aus blankem Populismus. Die haben es in den Haushaltsverhandlungen nicht mal geschafft, einen einzigen Änderungsantrag im Innenausschuss zu stellen. Sich dann als Verteidigerin der Sicherheit hinzustellen, das finde ich schon ein großes Stück.

Das beantwortet meine Frage nicht.

Dann deutlich: Wenn ich mir die Politik der CDU der vergangenen Jahrzehnte ansehe, dann frage ich mich, wie man mit so einer Partei überhaupt eine Koalition machen sollte. Ich kann mir das persönlich nicht vorstellen. Und gerade mit der Silvesterdebatte hat die CDU bewiesen, dass sie in dieser Stadt keine Verantwortung übernehmen sollte. Diese Debatte ist zutiefst unredlich. Wenn es um die Frage nach Vornamen geht, weiß jeder, dass daraus keine kriminologischen Erkenntnisse zu ziehen sind. Jeder Richter würde die rechten Hobbydetektive für das, was sie in den letzten Wochen veranstaltet haben, direkt vom Hofe jagen.

Was macht eigentlich das angekündigte Lagebild zur Silvesternacht?

Da warten wir bis heute drauf.

Wie bewerten Sie überhaupt die Krawalle?

Seit Tag eins wussten ja alle sehr, sehr viel. Dabei ist bis heute eigentlich unklar, welcher Vorfall sich wo mit welchen Beteiligten zugetragen hat. Das muss aufgearbeitet werden. Aber wir vermischen hier alle möglichen Debatten miteinander. Und wenn die Politik als logische Konsequenz fast nur Debatten über Jugendkriminalität und Integration führen will, dann hat das aus meiner Sicht oftmals wenig mit konkreter Ursachenforschung zu tun. Da sucht man ein Feindbild und befeuert offensichtlich Rassismus, der mit kräftigem Applaus von rechts außen aufgenommen wird.

Haben Sie denn anderes erwartet?

Tatsächlich hat es mich erschreckt. Vielfalt ist in dieser Stadt Normalität. Klar können wir auch darüber reden, wie wir Migration gestalten. Wir haben durchaus ein Integrationsversagen. Das liegt aber an der ausgrenzenden, stigmatisierenden Politik der vergangenen Jahrzehnte. An einer Politik, die hier bestimmte Brennpunkte überhaupt erst geschaffen hat, Stadtquartiere, in denen die Menschen keine Perspektive haben. Und dann wundert man sich heute über die Folgen der eigenen Politik und gibt die Schuld auch noch denjenigen, die am wenigsten dafür können.

Könnte ein Blick in die Kriminalitätsstatistik die Debatte versachlichen?

Sicher. Wenn wir uns einfach nur die aktuellen Zahlen im Bereich der Jugendkriminalität anschauen, haben wir den niedrigsten Stand der vergangenen zehn Jahre. Und auch bei Jugendgruppengewalt haben wir so wenige Fälle wie noch nie. Klar, es gibt Probleme und die muss man sich auch anschauen. Aber wir haben es hier weder mit neuen Phänomenen zu tun, noch brauchen wir lange nach Lösungen suchen. Denn die liegen auf der Hand. Das ist die Stärkung von Prävention und sozialen Angeboten. Wer in dieser Debatte einfach mal Kriminolog*innen, Gewaltforscher*innen oder Soziolog*innen zugehört hätte, der wüsste, dass man diese Debatte auch sachlich und unemotional führen kann.

Innensenatorin Spranger scheint es vor allem um mehr Ausrüstung für Einsatzkräfte zu gehen: Taser, Bodycams – dann ist alles in bester Ordnung …

Wir erleben hier wiederkehrende Phantomdebatten. Seien es die Bodycams, seien es die Taser. Als ob sich Innenpolitik nur darum drehen würde. Dabei sind da die Wege durch den Koalitionsvertrag doch klar vorgezeichnet. Wir setzen auf wissenschaftliche Evaluation. Mich hat das als neues Innenausschussmitglied tatsächlich erstaunt, wie wissenschaftsfeindlich man eigentlich in dem Themenfeld unterwegs ist. Auch im Bereich der Polizei muss doch unser Anspruch sein, Entscheidungen anhand von Daten und Fakten zu treffen. Stattdessen erleben wir eine Innensenatorin, die in allererster Linie eine Ankündigungssenatorin ist. Es wird nicht vorher darüber diskutiert, es wird angekündigt. Einfach mal ein Thema rausgehauen. Oftmals ohne Plan.

Nun gut, aber bei der Polizeiwache am Kottbusser Tor in Kreuzberg hat Spranger nicht nur angekündigt, sondern ihr Ding bis zum Ende durchgezogen. In Kürze soll die Wache eröffnen.

Die Kotti-Wache ist aus meiner Sicht vor allem ein Symbolprojekt. Hinsichtlich der Sicherheit am Kotti gäbe es wirklich viel, worüber man reden müsste. Nur eine Wache in den Kiez klatschen, ist keine Lösung. Die rund 3,8 Millionen Euro, die hierfür ausgegeben werden, das wären für alle Träger – ob in der Sozialarbeit oder in der Drogenhilfe – so viel Geld, davon können diese nur träumen. Die Maßnahmen, die wir eigentlich brauchen, sind klar. Die Frage ist aber, welche Prioritäten wir setzen. Und aus meiner Sicht sind Symbolprojekte die falsche Priorität. Eine andere Innenpolitik wäre möglich. Es wäre, wie gesagt, an der Zeit.

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