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Letzte Generation und Autofahrer zusammengerechnet

Bei der Erfassung von Klebe-Straftaten werden in Berlin offenbar auch Angriffe gegen die Aktivisten selbst hinzugezählt

Gekleidet in orangene Warnwesten stellen sich die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation den Autos am Sachsendamm in Schöneberg entgegen. Trotz roter Ampel machen die Fahrzeuge keine Anstalten anzuhalten, schieben Protestierende vor sich her und bringen sie in Gefahr. Es handelt sich um Aufnahmen von Mitte Januar, die Letzte Generation hat sie im Netz veröffentlicht. »Heute Morgen blockierten diese Menschen friedlich in Berlin und riskierten dabei Gesundheit und Strafen«, schreibt sie auf Twitter.

Den innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Vasili Franco, machen Szenen wie diese wütend. »Wie geeignet kann jemand sein, ein Fahrzeug zu führen, wenn er dazu bereit ist, Demonstrierende anzufahren?«, sagt er zu »nd«. In der politischen Debatte um die Klebe-Proteste der Aktivistinnen und Aktivisten nimmt der Politiker ein Ungleichgewicht wahr: Der Fokus liege hauptsächlich auf den Straftaten der Letzten Generation, während aggressive Autofahrerinnen und Autofahrer kaum berücksichtigt würden.

In einer Schriftlichen Anfrage erkundigte sich der Grünen-Abgeordnete nach Angriffen gegen Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation. Wie aus der »nd« exklusiv vorliegenden Antwort der Senatsinnenverwaltung nun hervorgeht, erhebt die Polizei Berlin keine »automatisiert recherchefähigen Daten«, die im Kontext der Blockaden zwischen geschädigten Aktivistinnen und Aktivisten und deren eigenen Straftaten unterscheiden.

»In der Kommunikation wurde bisher immer vermittelt, dass es sich bei allem um Straftaten der Letzten Generation handelt. Jetzt kommt raus, dass diese Zahlen auch Straftaten gegen die Demonstrierenden im Rahmen der Blockaden umfassen«, sagt Franco. »Das heißt, wenn jemand Anzeige wegen Übergriffen durch Autofahrer erstattet, wird das in der Öffentlichkeit als Straftat der Aktivisten wahrgenommen.«

Bislang vier Ermittlungsverfahren sind der Antwort zufolge gegen Autofahrerinnen und Autofahrer eingeleitet worden. Zu einer Anklage oder der Beantragung eines Strafbefehls sei es allerdings noch nicht gekommen. Eines der Verfahren habe man bereits eingestellt. Im Zusammenhang mit Straftaten der Aktivistinnen und Aktivisten selbst wurde zuletzt von insgesamt 2700 Anzeigen berichtet.

»Natürlich haben wir es hier mit deutlich weniger Fällen zu tun, aber trotzdem muss die Gleichheit vor dem Recht gelten«, sagt Franco. Es stelle sich auch die Frage, inwiefern Übergriffe von Seiten der Autofahrerinnen und Autofahrer zur Anzeige gebracht würden. »Wenn die Polizei vor Ort ist, muss sie einschreiten. Ich habe schon oft gesehen, dass ermahnende Gespräche geführt werden, wenn jemand beispielsweise beleidigend wird.«

Kritik übt Franco nicht zuletzt an Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und deren Umgang mit dem bisweilen aggressiven Auftreten der Blockierten. Im Abgeordnetenhaus habe er sich bereits nach dem Vorfall am Sachsendamm bei Spranger nach Straftaten von Seiten der Autofahrenden erkundigt. »Die Innensenatorin hat Verständnis für die Übergriffe gezeigt und lieber betont, dass die Geduld der Berlinerinnen und Berliner am Ende sei«, sagt der Grünen-Politiker. Erst dann habe die Innensenatorin darum gebeten, den Behörden zu vertrauen und auf »Selbstjustiz« zu verzichten. Eine deutliche Distanzierung von der Gewalt Autofahrender scheine ihr schwerzufallen.

»Das, was am Sachsendamm passiert ist, war genau das: Selbstjustiz«, ergänzt Franco. »Ich hatte erwartet, dass sie hier eine klare Grenze zieht.« In der Antwort auf seine Anfrage habe die Polizei klargestellt, dass auch hier ermittelt werden müsse. Doch für den Grünen-Abgeordneten bleibt ein fahler Beigeschmack: »Das alles ist problematisch und trägt zur Kriminalisierung der Letzten Generation bei. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis etwas Schlimmeres passiert.«

Letzte Generation verurteilt
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