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Queer und jung: Zu wenige Jugendeinrichtungen in Berlin für LGBTI
Nur drei Einrichtungen bieten queeren Kindern und Jugendlichen einen Schutzraum frei von Diskriminierung
»Wir sind kein Witz und auch keine ›Phase‹, sondern wir existieren und wollen wahrgenommen werden«, »Bitte nehmt Pronomen und Wunschnamen einfach an«, oder schlicht: »Hört uns zu!« Das sind Forderungen und Wünsche aus einer deutschlandweiten Umfrage mit 576 trans*, inter* und nicht-binären (TIN) Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen fünf und 26 Jahren. Anfang vergangenen Jahres hatte ein Bündnis um den Bundesverband Trans die Stimmen gesammelt, Ende 2022 dann die Ergebnisse veröffentlicht.
Der Bedarf nach Anerkennung und Unterstützung ist riesig, so viel wird aus der bisher größten Befragung junger TIN-Menschen in Deutschland klar. Was für den ländlichen oder kleinstädtischen Raum kaum überrascht, gilt allerdings auch für die »Regenbogenhauptstadt«: In Berlin finden bei weitem nicht alle jungen, queeren Menschen die Orte und Ansprechpersonen, die sie bräuchten.
Das sagt zumindest Kerstin Bühler. Die Sozialpädagogin arbeitet bei der Agentur für soziale Perspektiven (ASP), einem freien Träger für politische Bildungsarbeit in Friedrichshain-Kreuzberg. Seit ein paar Jahren fokussiert sie sich auf die Diskriminierung von queeren Kindern und Jugendlichen, erzählt Bühler. Als sie in ihrem Bezirk nach queer-freundlichen Jugendeinrichtungen sucht, findet sie: nichts. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Bis auf zwei Mädchen*-Projekte signalisierten die übrigen Angebote im Bezirk keine Offenheit für queere Jugendliche, so Bühler.
In Friedrichshain-Kreuzberg verantwortet Bühler mit der ASP deshalb seit September ein langjähriges Modellprojekt: Akteur*innen mit queerer Kompetenz und Wissen sollen sich mit Fachkräften in den Jugendeinrichtungen vernetzen, die ASP versorgt sie mit Material, Kontakten und Tipps. Das Projekt wird von einer Stiftung gefördert, betont sie – auch wenn die Jugendförderung im Bezirk inzwischen mit gutem Beispiel vorangehe, nehme die Politik die Bedeutung queer-sensibler Jugendarbeit in ihren Augen noch nicht ausreichend ernst.
In ganz Berlin richten sich insgesamt drei Jugendeinrichtungen spezifisch an queere Kinder und Jugendliche. »Die fahren dann eine oder eineinhalb Stunden, um dort hinzugehen.« Denn die regulären Angebote haben nach Bühlers Erfahrung die Themen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt überhaupt nicht auf dem Schirm. »Wenn wir sagen, dass es in jeder Einrichtung auch queere Jugendliche gibt, glauben die uns das erst mal nicht«, erzählt sie von Treffen mit Fachkräften aus der Kinder- und Jugendhilfe. »Dann heißt es, Geschlecht spielt bei uns überhaupt gar keine Rolle.« Aufgrund fehlender Auseinandersetzung hätten die Erwachsenen dann kein Auge für queerfeindliches Verhalten – oder diskriminierten ihre Schutzbefohlenen selbst. »Viele denken etwa, dass migrantisierte Jugendliche gar nicht queer sein können. Intersektionalität ist da null vorhanden.«
Dabei könnten sichere Orte und vertraute Ansprechpersonen Leben retten. Bühler geht auf das fünf- bis sechsmal erhöhte Suizidrisiko bei trans Jugendlichen im Vergleich zu ihren cisgeschlechtlichen Altersgenoss*innen ein. »Aber Studien zeigen auch, dass eine einzige erwachsene Vertrauensperson dieses Risiko um 40 Prozent senken kann.«
Es ist nicht so, als ob sich Berlin gar nicht für diese Themen interessierte. Im Rahmen der parlamentarischen Initiative »Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt« (IGSV) schuf das Land schon 2009 einen Maßnahmenplan für LSBTI-Themen, der unter anderem einen Fokus auf den Bildungsbereich legte. Als Fachstelle zur Umsetzung und Qualitätssicherung von Bildungsarbeit im Bereich sexuelle und geschlechtliche Vielfalt setzte es den freien Träger »Queerformat« ein. Im Landesauftrag bildet er seit 2010 pädagogische Fachkräfte fort.
Thomas Kugler arbeitet bald 30 Jahre bei »Queerformat«. In seinen Augen hat sich schon viel getan: So gebe es im schulischen Bereich regelmäßig Fortbildungen, die von den Lehrer*innen auch gut angenommen würden, und in so gut wie jeder Schule eine Kontaktperson für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Auch die IGSV hält er für ein »beispielhaftes politisches Projekt«, um die Lebensrealitäten queerer, junger Menschen stärker zu berücksichtigen.
In der Kinder- und Jugendhilfe würden sich mittlerweile viele Kitas mit queeren und insbesondere trans Kindern beschäftigen. »Wenn ein vierjähriges Kind sagt, ich bin kein Junge, oder ich bin kein Mädchen, dann macht es natürlich einen Unterschied, ob du ihm sagst: ›Du hast Flausen im Kopf.‹ Oder ob es einen Raum gibt, wo Kinder auf Respekt stoßen und man genauer hinschaut«, sagt Kugler. Besonders durch das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz von 2021 habe ein Umdenken stattgefunden. Das neue Gesetz erwähnt explizit die Lebensrealitäten transidenter, intersexueller und nichtbinärer junger Menschen, die es zu berücksichtigen gilt.
Doch auch Kugler vermisst klare Leitlinien aus der Bildungsverwaltung, wie etwa mit selbst gewählten Namen von Schüler*innen oder mit Fragen der Toilette- und Umkleiden-Nutzung umgegangen werde. »Im Moment liegt es bei den einzelnen Schulen, das ist zum Nachteil von trans Jugendlichen. Es gibt immer auch Lehrkräfte, die sich weigern, das gewählte Personalpronomen zu benutzen.« Sein*e Kolleg*in Yan Feuge ergänzt: »Oft untersagen Schulleitungen, den selbstgewählten Namen auf Zeugnissen und in schulinternen Dokumenten zu verwenden.« Zwar könnten sich Schüler*innen in solchen Fällen an die Landesantidiskriminierungsstelle wenden, doch der Schritt stelle eine große Hürde dar.
Wenn sich queere junge Menschen in der Schule nicht wohlfühlen und zusätzlich auf Unverständnis in der Familie stoßen, fällt dem Jugendzentrum eine entscheidende Rolle zu. Um die Suche nach den wenigen queersensiblen Orten zu erleichtern, hat Kerstin Bühler die Seite queere-jugend-berlin.de ins Leben gerufen. Hier sammelt sie für ganz Berlin Treffen, Veranstaltungen und Orte, die sich an queere Jugendliche richten – und das ausschließlich ehrenamtlich. Immer noch lasse die Sichtbarkeit von »safer spaces« zu wünschen übrig: »Wenn du ›queer‹ und ›Treffen‹ googlest, findest du Schwulenkneipen, aber keine Jugendeinrichtungen.« Der rechten Rhetorik, queere und insbesondere trans Identitäten seien ein allgegenwärtiger »Trend«, widerspricht sie vehement: »Es gibt eine Welle von Leuten, die den Mund aufmachen, und das ist gut so. Aber die Versorgung reicht auf allen Ebenen nicht aus.«
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