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Das Hoffnungsarme hoffnungslos gemacht
Verdis »Simon Boccanegra« an der Deutschen Oper Berlin
Mit »Simon Boccanegra« erlebte Verdi 1857 einen ungewohnten Misserfolg. Gut zwanzig Jahre später arbeitete er die Oper grundlegend um. Die 1881 uraufgeführte Zweitfassung kam sehr viel besser an und wird seither fast ausschließlich gespielt, so auch jetzt in Berlin. Bei allen Verbesserungen hinsichtlich Instrumentation und musikalischer Dramaturgie ließ sich aber die vertrackte Handlung, die mit etwas zu vielen Unwahrscheinlichkeiten aufwartet, nicht ändern.
Genua, 14. Jahrhundert: In der Stadt bekämpfen sich Adels- und Volkspartei. Paolo Albiani als Vertreter des Volkes setzt durch, dass Simon Boccanegra zum Dogen bestimmt wird. Der Korsar ist populär, weil er eine Piratenplage beseitigt hat; und dem Adligen Fiesco verhasst, weil er dessen Tochter verführt und geschwängert hat. Von ihrem Vater ins Haus eingesperrt, stirbt die Tochter. Fiesco wäre nur zu versöhnen, wenn Boccanegra ihm seine Enkelin ausliefern würde, doch ist diese verschwunden.
Die Haupthandlung der Oper setzt zwanzig Jahre später ein, mit dem Wiederauftauchen von Boccanegras Tochter. Das zieht Liebes- und Rachetaten nach sich, deren Abfolge nur durch Zufälle und Missverständnisse zu motivieren war. Der politische Konflikt zwischen Volk und Adel klingt zuweilen noch an, manchmal als Motivation eines der zahlreichen Umschwünge. Dennoch ist er mehr als ein spätmittelalterliches Setting für ein modernes Familiendrama.
Dies nicht, weil im Privaten politische Positionen besetzt würden – am Ende bestimmt Boccanegra, kurz vor seinem giftbedingten Tod, den Adligen Gabriele Adorno zum Nachfolger, nur weil der der Geliebte seiner Tochter ist. Fiesco ist zufrieden (die Enkelin ist ja vorhanden), und Paolo, der sich als schuftigster Intrigant erwiesen hat, wurde bereits seiner wohlverdienten Hinrichtung zugeführt. Politisch ist dieses Private vielmehr, weil das sinnlos Zerstörerische der privaten Intrigen auf die Sinnlosigkeit von Politik verweist. Erst kurz vor seinem Tod singt Boccanegra davon, wie viel lieber er als junger Mann auf dem Meer gestorben wäre, statt sich in die Politik hineinziehen zu lassen.
Das ist eine Teilwahrheit. Verdi zeigt sie als solche, und dass der Komponist der italienischen Einigungsbewegung schon vor deren Sieg gestaltet, was die Bourgeoisie aus dem Staat machen wird, spricht für ihn. Musikdramatisch erlauben Liebe und Rache, die jähen Umschwünge der Gefühle, große emotionale Wirkungen. Dass das Publikum mehr weiß als die Figuren, ist ein überkommener Spannungstrick, von Verdi geschickt verwendet. Psychologische Stimmigkeit tritt demgegenüber zurück.
Man könnte das als Groteske inszenieren. Regisseur Vasily Barkhatov verzichtet auf sensationsheischende Schockmomente und wählt einen psychologisch-naturalistischen Ansatz, wobei die Kostüme aufs Heute verweisen. Manches aus der Handlung kommt ihm – laut Programmheft – unwahrscheinlich vor, womit er recht hat. Einige Passagen markiert er deshalb optisch als Traum Boccanegras. Das funktioniert allerdings nicht. Anschaulich wird das nur für diejenigen, die vorher das Konzept gelesen haben; und selbst im günstigen Fall hat es doch nur zur Folge, dass der Verlauf noch brüchiger wird.
Wichtig ist allerdings, welche Szenen Barkhatov zum Traum erklärt. Es sind diejenigen, in denen Boccanegra mit seiner wiedergefundenen Tochter Glück erlebt. Zudem rahmen zwei szenische Neuerfindungen den Verlauf ein. Die Machtübertragung an Gabriele ganz am Ende wird als Wiederholung eines Auftritts des Fiesco am Beginn gezeigt. Heißt dies, dass die Adelsmacht restauriert ist? Oder bezeichnet es einen ewigen Kreislauf, die Vergeblichkeit jeder Politik?
Verdi zeigt auch eine andere Teilwahrheit. Nicht nur ist bei ihm Gabriele eine moralisch positive Figur. Auch Boccanegra, so zynisch er nach zwanzig Jahren Herrschaft gegenüber dem Volk geworden ist, bleibt ein Politiker des Ausgleichs, der nach außen zum Frieden rät und nach innen seine Feinde nicht mehr verfolgt als nur eben nötig. So mies Staatspolitik unter bourgeoisen Bedingungen ist, es sind doch richtige Entscheidungen möglich. Niemand, außer dem Volksmann und späteren Kanzler Paolo, ist in »Simon Boccanegra« wirklich böse.
Barkhatov kritisiert radikaler als Verdi und zugleich weniger radikal. Das wirklich Gute (lernt man) gibt es unter den herrschenden Bedingungen nicht; halten wir uns also von der schmutzigen Politik doch besser fern? In Einzelheiten der Figurenführung, dieses grundsätzlichen Problems ungeachtet, findet er kluge Lösungen.
Musikalisch ist die Produktion sehr gelungen. Dirigent Jader Bignamini setzt auf dramatische Zuspitzung, scheut auch raue Klangwirkungen nicht. In der durchweg guten Besetzung Michael Bachtadze in der dankbaren Schurkenrolle des Paolo. Hervorzugeben sind auch George Petean, der die Schattierungen der Titelrolle zu gestalten weiß, und Liang Li als ein Fiesco, der bedrohliche Rachsucht und skrupulöse Korrektheit zusammenbringt.
Nächste Vorstellungen: 9./17./19./25.2.
Nächste Vorstellungen: 9./17./19./25.2.
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