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Politischer Streit nach Messerattacke

Trauerfeier für zwei von einem Palästinenser getötete Teenager in Neumünster

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 4 Min.

Die für zwei junge Menschen tödliche Messerattacke vom 25. Januar in einem Regionalzug zwischen Kiel und Hamburg hat zu einem Streit über versandete Informationen zwischen den Behörden dreier Bundesländer geführt. Das bundesweite Interesse an dem blutigen Verbrechen nahe dem Bahnhof Brokstedt (Kreis Steinburg) ist weiterhin groß.

Derweil fand am Sonntag in Neumünster, wo die beiden Opfer eine Berufsschule besucht hatten, eine ökumenische Trauerfeier für die 17-Jährige und den 19-Jährigen statt. Unter den rund 250 Besuchern des Gottesdienstes waren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD).

Scholz, der auf der Gedenkveranstaltung nicht sprach, hatte zuvor am Rande des Landesparteitags der SPD Schleswig-Holsteins in Husum gesagt, man werde sich mit solchen Taten niemals abfinden. Zur Debatte über die »Rückführung« abgelehnter Asylbewerber sagte Scholz in diesem Zusammenhang, darüber dürfe nicht immer nur geredet werden. Diejenigen, die sich nicht erfolgreich auf den Schutz in Deutschland berufen könnten, müssten in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Damit die betreffenden Länder ihre Bürger zurücknehmen, seien konkrete Vereinbarungen notwendig. Dafür und für ein gemeinsames Agieren auf EU-Ebene dabei werde er »alles tun«, so Scholz.

Unterdessen wird zwischen Politik und Behörden darüber gestritten, ob die Tat von Ibrahim A. sich möglicherweise hätte verhindern lassen können, wenn alle mit ihm in Kontakt stehenden Ämter und Stellen von seiner labilen Psyche, gepaart mit Aggressivität und Drogenkonsum sowie seinem jeweiligen Aufenthaltsort gewusst hätten. Insbesondere in den Innen- und Rechtsausschüssen der Parlamente in Kiel, Hamburg und Düsseldorf sowie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) schob man dabei einander den Schwarzen Peter zu.

Der zuletzt wegen eines gefährlichen Messerangriffs am 18. Januar 2022 vor der Obdachlosenunterkunft »Herz As« in Hamburg verurteilte staatenlose Palästinenser hatte gegen seine einjährige Haftstrafe Berufung eingelegt, blieb aber in der Haftanstalt Billwerder in U-Haft. Als diese die verhängte Haftdauer überstiegen hatte, wurde A. auf freien Fuß gesetzt. Darüber will Hamburg laut Justizbehörde die für den 33-Jährigen zuständige Ausländerbehörde in Kiel informiert haben, was von dieser aber bestritten wird. Dort will man erst in der vergangenen Woche davon erfahren haben.

Jedenfalls wurde Ibrahim A. am 19. Januar aus der Hamburger Untersuchungshaft entlassen und suchte daraufhin wohl selbständig Kontakt zur Ausländerbehörde in Kiel. Von dort wurde er an die städtische Anlaufstelle für Obdachlose verwiesen, weil er sonst keine feste Bleibe mehr hatte. Dort meldete sich A. aber nicht. Es folgte der verhängnisvolle 25. Januar, an dem A. den Regionalzug Richtung Hamburg bestieg. Die beiden von ihm niedergestochenen Jugendlichen waren in Neumünster zugestiegen. A. verletzte zudem fünf weitere Mitreisende zum Teil schwer, ehe er von anderen Fahrgästen überwältigt wurde und die Polizei ihn auf dem Bahnhof Brokstedt festnahm.

Auch von den gegen A. anhängigen Verfahren in Nordrhein-Westfalen war in Schleswig-Holstein nichts bekannt. In den Ausschusssitzungen der vergangenen Woche wurde deutlich, dass in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Kriterien für die Einstufung einer Person als »Intensivtäter« herangezogen werden. Die FDP forderte als Konsequenz aus dem Gewaltverbrechen die Ausstattung von Bahnwaggons mit Überwachungskameras. Der innenpolitische Sprecher ihrer Fraktion im Kieler Landtag, Bernd Buchholz, erklärte: »Klar ist, dass es ein Behördenversagen gab. Jetzt müssen wir klären, an welcher Stelle es stattgefunden hat.«

Der aktuelle Fall hat indes einmal mehr ein schlechtes Bild auf die Medien und ihre Vertreter geworfen. Pietät und Privatsphäre blieben nicht selten auf der Strecke. Unter aufdringlichen Reportern und Fotografen litten die Bevölkerung von Brokstedt wie auch Schüler und Lehrer der Berufsschule in Neumünster. Letztere wurde von Journalisten teilweise regelrecht belagert.

Geringeres mediales Interesse findet hingegen der Werdegang des Täters. Ibrahim A. kam Ende 2014 nach Deutschland, beantragte Asyl. Als er 2016 endlich seinen subsidiären Schutzstatus erhielt, verdingte er sich zunächst als Auslieferer in der Logistikbranche, rutschte aber zunehmend in Drogensucht und Beschaffungskriminalität ab.

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