• Kultur
  • Bedingungsloses Grundeinkommen

Auf ins Reich der Freiheit

Von der Arbeits- zur Kulturgesellschaft: Zum 100. Geburtstag von André Gorz

  • Ronald Blaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Für ihn war das Proletariat nur die Kopie des Kapitals: André GorzEPA/
Für ihn war das Proletariat nur die Kopie des Kapitals: André GorzEPA/

André Gorz (1923–2007) war ein unabhängiger neomarxistischer Denker, vertraut mit existenzialistischer Gesellschaftsanalyse. Er lebte mit seiner Frau Dorine in Frankreich, war mit Herbert Marcuse befreundet und für Oskar Negt und Jürgen Habermas ein willkommener Diskussionspartner. Geboren am 9. Februar 1923 als Sohn eines jüdischen Holzhändlers, hieß er eigentlich Gerhard Hirsch und entging dem Holocaust erst als Internatsschüler und dann als Student in der Schweiz. Nach dem Krieg ging er nach Paris und arbeitete als Journalist, für seine philosophischen Texte wählte er den Namen André Gorz.

Er arbeitete unter anderem in der Redaktion von »Les Temps Modernes«, der Zeitschrift, die Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir gegründet hatten. 1980 nahm er mit seinem gleichnamigen berühmten Buch »Abschied vom Proletariat«, mit dem er eine ganze Generation linker Intellektueller prägte. Er scheute nicht den Konflikt mit der Arbeiterbewegung bzw. mit den Gewerkschaften – um in solidarischer Absicht auf Fehlorientierungen bzw. Vereinnahmungen durchs Kapital aufmerksam zu machen. Für ihn hatte die Marx’sche Arbeitsutopie einen entscheidenden Mangel: Sie könne nicht die Notwendigkeit der »Aneignung der Totalität der Produktivkräfte« durch die »vereinigten Individuen« (Marx/Engels) begründen. Damit kann die Befreiung von der Arbeit, der Fortschritt ins Reich der Freiheit jenseits der Notwendigkeit und äußeren Zwecke, nicht über die proletarische Befreiung in der Arbeit erfolgen. Für Gorz war das Proletariat nur eine »Kopie des Kapitals«.

Bisher hat die Geschichte diese Kritik an Marx bestätigt. Die angebliche Notwendigkeit bleibt in gesellschaftlich und ökologisch destruktiver Weise ideologisch und politisch herrschend, Lohnarbeit heilig. Umgekehrt wurde für Gorz aber ein Schuh draus: Die Arbeiterbewegung muss sich die radikale Arbeitszeitverkürzung, die Befreiung von der Arbeit auf die Fahnen schreiben, nicht um mehr Zeit für Konsum zu haben, sondern für die freie Entwicklung der Individuen, die ihnen im Lohnverhältnis verwehrt wird. Mit dieser Befähigung können die Arbeiter*innen Entfremdung zurückdrängen und alternative produktive Kooperationsformen entwickeln. Es geht also nicht um die Ausweitung der Lohnarbeit auf alle, sondern um deren Zurückdrängung, letztlich Abschaffung.

Gorz war damit ein Vordenker des Grundeinkommens für alle: »Das allgemeine und bedingungslos garantierte Grundeinkommen, das zusammen mit dem Einkommen aus einer Arbeit beziehbar ist, stellt die beste Handhabe dar, um so weitgehend wie möglich sowohl die bezahlte Arbeit als auch die unbezahlten Aktivitäten umzuverteilen.« Das Grundeinkommen sichere materiell sowohl die Autonomieentwicklung der Individuen als auch die Möglichkeit der »Multiaktivität«. In dieser neuen Vergesellschaftungsform der Individuen nähme die entfremdete Lohnarbeit immer weniger Zeiträume gegenüber den anderen vielfältigen kulturellen und sozialen Aktivitäten ein. Der Weg von der Arbeitsgesellschaft zur Kulturgesellschaft sei frei: Es geht gegen eine Ausweitung der Kapital-/Lohnsphäre in die Lebenswelt der Menschen im Namen von Arbeitsplätzen, gegen die Ausweitung des ökologisch desaströsen Produktivismus und Konsumismus.

Dagegen sei die Absicherung kooperativ-produktiver Arbeit, von Autonomie- und freier Fähigkeitsentwicklung der Individuen das Ziel einer gesellschaftlichen Linken, so Gorz. Dazu müsse man sich aber den Sinn der Ersparnis notwendiger Arbeit aufgrund fortgeschrittener und fortschreitender Produktivität vor Augen halten – dieser liegt jenseits der Lohnarbeit und des von ihr geschaffenen Kapitals.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -