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Mieter der Weberwiese retten
»Gestreckter Erwerb« könnte vor Verkauf umgewandelter Wohnungen schützen
»Seit November haben Vermarktung und Verkauf wieder Fahrt aufgenommen«, sagt Bernd Lützele am Mittwochabend. Etwa hundert Mieter der Friedrichshainer Weberwiese sind am Franz-Mehring-Platz kurzfristig zusammengekommen. Die von den Mietern gegründete Initiative und der Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne) informieren über einen Fahrplan, um ihre Wohnungen zu retten.
Es geht um einen Komplex mit über 500 Wohnungen, die auch als Tækker-Häuser bekannt sind. Die Firma des dänischen Investors teilte sie auf, bevor der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Gebiet um die Weberwiese als Milieuschutzgebiet auswies. Im Jahr 2017 gingen die Häuser dann an das undurchsichtige Firmenkonstrukt »White Tulip«. Durch die Aufteilung können die Wohnungen als Eigentumswohnungen verkauft werden. Für die Mieter besteht damit die Gefahr, nach Ablauf einer maximal zehnjährigen Frist wegen Eigenbedarf gekündigt zu werden.
Die maximale Verwertungsstrategie habe sich aber schon in den vergangenen Jahren gezeigt, sagt Lützele, der seit 2003 an der Weberwiese wohnt. Wenn jemand auszieht, würden Wohnungen anschließend mitunter möbliert vermietet. An vielen Häusern unternehme der Eigentümer keine Instandhaltungsmaßnahmen. Mieter berichten beispielsweise von braunem, mit Schwermetallen und Legionellen belastetem Wasser.
Die größte Angst ist aber eine andere: Eine Agentur hat Mietern bereits Angebote unterbreitet, um sie aus ihren Wohnungen herauszukaufen. In den nächsten drei Monaten soll eine einberufene Kommission einen Plan entwerfen, wie die Wohnungen gerettet werden können. Dabei wird zum einen über einen Erwerb der Wohnungen im Paket nachgedacht. Weil der Eigentümer sich darauf aber wahrscheinlich nicht einlassen wird, liegt die Hoffnung auf einem Modell, das in der unmittelbaren Umgebung schon einmal zur Anwendung kam.
2019 sollten über 700 Wohnungen an der Karl-Marx-Allee an die Deutsche Wohnen verkauft werden. Bei vielen Wohnungen nutzten die Mieter ihr individuelles Vorkaufsrecht, das sie mithilfe eines Kredits der Investitionsbank Berlin ausübten. Anschließend verkauften sie die Wohnung an die Gewobag weiter. »Gestreckter Erwerb« nennt sich das. Anja Köhler vom Mieterbeirat Karl-Marx-Allee sicherte den Nachbarn von der Weberwiese am Mittwoch Unterstützung zu. »Wir sind an eurer Seite.«
Der Fall Weberwiese unterscheide sich aber von dem der Karl-Marx-Allee, erklärt Bezirksstadtrat Florian Schmidt (Grüne). Damals sollten plötzlich mehrere Hundert Wohnungen auf einen Schlag verkauft werden. »Die Karl-Marx-Allee ist eine Ausnahme, das war ein Hexenritt. Hier sehen wir eher die Salami-Taktik«, so Schmidt. Denn statt mit einem Mal werden an der Weberwiese die Wohnungen nach und nach verkauft. Ob der gestreckte Erwerb dennoch möglich ist, werde man prüfen.
Dafür müsste allerdings das Geld bereitstehen und es bräuchte einen festen Ablauf, der dann jedes Mal starten könnte, wenn eine einzelne Wohnung auf dem Spiel steht. Hier sind sowohl das Stadtentwicklungs- als auch das Finanzressort auf Landesebene gefragt. Es braucht beispielsweise ein landeseigenes Wohnungsunternehmen, das die Wohnung dann übernimmt. Letztlich hängt es auch von den ausgerufenen Preisen ab.
Politiker von Grünen, Linke und der lokalen SPD sicherten den Mietern am Mittwoch ihre Unterstützung zu. Sie machten aber auch klar, dass die Wiederholungswahl und die anstehende Regierungsbildung erst einmal einer schnellen politischen Einigung nicht förderlich ist. Es brauche deshalb den Druck der Mieter, betonten alle.
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