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- Verwaltungsreform in Berlin
Verwalten gestalten
Berlin soll mal wieder beherrschbar werden
Der Fortschritt liegt im Neuköllner Bürgeramt Blaschkoallee auf dem Schreibtisch, ist anthrazitfarben und etwa so groß wie ein DIN-A4-Blatt. Es ist das neue Pad, auf dem die Unterschriften für Dokumente geleistet werden. Die alten Pads waren kleiner und es gab nur ein Zeitfenster von fünf Sekunden für die Signatur. Das habe viele Kundinnen und Kunden irritiert, oft musste der Prozess mehrfach wiederholt werden, berichtet der Sachbearbeiter. Außerdem wird nun der Inhalt seines Monitors auf dem Pad angezeigt, er muss ihn nun nicht mehr drehen, falls jemand die Angaben überprüfen möchte. »Es geht nun wesentlich schneller«, sagt er zufrieden.
Er sagt das zur Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Der Besuch in der vergangenen Woche soll laut Presseeinladung »Fortschritte der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen« demonstrieren. Dass dabei noch einiges im Argen liegt, zeigt allein der Umstand, dass die Journalistinnen und Journalisten in der Mail aufgefordert werden, eine ausgedruckte Version der Teilnahmezusage der Senatskanzlei mitzubringen.
Es ist ein typischer Giffey-Auftritt. Zunächst erkundigt sich die Regierende bei allen im Wartezimmer Sitzenden einzeln, ob sie Probleme hatten, einen Termin zu bekommen, wie zufrieden sie mit den Leistungen sind. »Alles gut?« – diese Frage stellt sie oft in ihrem üblichen aufmunternden Tonfall.
»Bürgeramt«, das ist seit Langem eines der Reizwörter in der Hauptstadt. Denn Termine sind rar. Wenn es schnell gehen muss, kann es sein, dass sich nur am anderen Ende der Stadt zeitnah einer findet. Und das auch nur, wenn man zu allen möglichen Tageszeiten – besonders empfohlen ist die Zeit zwischen sieben und acht Uhr morgens – die entsprechende Internetseite besucht. Dann werden – oft für denselben Tag noch – Termine freigeschaltet. Nun soll das Ziel, einen Termin innerhalb der nächsten zwei Wochen garantieren zu können, verbindlich Ende 2023 erreicht werden. So ein Versprechen wurde mehrmals gegeben, aber irgendwas kommt dann immer dazwischen. Zuletzt war es Corona. Aktuell ist es die Wiederholungswahl am Sonntag, für deren Vorbereitung in Größenordnungen Beschäftigte aus den Bürgerämtern abgezogen werden mussten.
»Das Bürgeramtsthema ist eines, das viele bewegt und was sehr eng mit unseren großen Fragen von Digitalisierung der Verwaltung, aber auch von Modernisierung der Verwaltung angeht«, sagt Franziska Giffey. »Es geht am Ende immer darum: Wie können wir besser werden?«
Letztlich ist der Pressetermin das volksnahe Signal der wahlkämpfenden Bürgermeisterin, dass nun der ewige Wiedergänger Verwaltungsreform endlich angegangen werden soll. Hinter den Kulissen tobt zu der Zeit ein Koalitionskampf, denn Franziska Giffey hatte das Ziel ausgegeben, auf der letzten regulären Senatssitzung vor der Wahlwiederholung am Sonntag ein Eckpunktepapier für die Reform zu beschließen.
Das ist am vergangenen Dienstag gelungen. Unter dem schmissigen Titel »Meine Stadt. Meine Verwaltung. Mein Berlin« stellten es Franziska Giffey, Bürgermeisterin Bettina Jarasch (Grüne) und Bürgermeister Klaus Lederer (Linke) gemeinsam vor. Dabei ist das ursprünglich zehnseitige Papier, das in der Senatskanzlei von Ralf Kleindiek (SPD), Staatssekretär für Digitales und Verwaltungsmodernisierung und Chief Digital Officer des Landes Berlin, erarbeitet worden ist, auf 15 Seiten angeschwollen. Der Zeitdruck, die Eckpunkte noch vor der Wahl beschließen zu wollen, zwang zu deutlichen Zugeständnissen an die Koalitionspartner. Die zweifelten öffentlich grundsätzlich an dem Sinn und auch der Opportunität, das Papier so kurz vor der Wahl noch beschließen zu wollen.
Kritik hagelte es auch aus den Bezirken. »Ein Eckpunktepapier ist nicht ausreichend, da hätte es eine Abstimmung zwischen den Ebenen gebraucht. Das fordern wir ein und sind als Bezirksbürgermeister einig«, sagte Tempelhof-Schönebergs Bürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) im Vorfeld zu »nd«. Er forderte auch, den Rat der Bürgermeister als Gremium aufzuwerten – mit Initiativ- und Entscheidungsrechten. Also angelehnt an die Funktion des Bundesrats, der die Länderinteressen auf Bundesebene vertritt.
»Ich habe mit den Bezirken gesprochen. Die Vorschläge sind ja nicht vom Himmel gefallen, die werden ja schon länger diskutiert«, entgegnete Staatssekretär Ralf Kleindiek gegenüber »nd«. Die widersprachen dieser Darstellung bereits im November heftig. »Außer Zentralisierungs- und Entmachtungsszenarien fällt der Senatskanzlei nicht viel ein«, schrieb der Lichtenberger Bürgermeister Michael Grunst (Linke) auf Facebook. Er habe aus der Zeitung von dem Papier erfahren.
Mit der Vergangenheit will sich Kleindiek aber gar nicht so beschäftigen. »Es kommt jetzt darauf an, dass die Prozesse weder verwässert noch verschleppt werden«, sagt er. Schließlich ist es nicht der erste Anlauf für eine Verwaltungsreform seit der verunglückten Neufassung des Verhältnisses von Senat und Bezirken, die im Zuge der Fusion von 23 Altbezirken zu den heutigen zwölf Bezirken im Jahr 2001 erfolgt ist.
Der politische Druck auf die SPD, vor der Wahl noch etwas Vorzeigbares zur Verwaltung vorzulegen, kam ironischerweise von den Grünen, die sich als die heftigsten Kritiker des Eckpunktepapiers der Senatskanzlei in Stellung brachten. Im Dezember 2022 forderte Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ein »Update für eine funktionierende Verwaltung« und präsentierte »Grüne Leitlinien für eine Verwaltungsreform«.
»Verabredet war, dass wir im Sommer 2022 über Eckpunkte reden, aber da kam nichts von der Senatskanzlei«, begründet Stefan Ziller diesen Schritt. Er ist Sprecher für Verwaltung und Digitalisierung der Grünen-Abgeordnetenhausfraktion. Auch er will nach vorn schauen. »Das Entscheidende an dem Prozess ist, dass wir endlich anfangen, in die Detailarbeit zu gehen. Wichtig ist es vor allem, Zeitrahmen für die einzelnen Schritte zu setzen«, sagt Ziller zu »nd«. Man müsse »handhabbare Pakete« bearbeiten.
Der im Eckpunktepapier vorgesehene Zeitrahmen ist straff. Noch dieses Jahr soll das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz, das die Aufgabenteilung zwischen Senat und Bezirken regelt, novelliert werden. Gesamtstädtische Steuerungsfunktionen sollen bei den Senatsverwaltungen konzentriert werden, die kommunalen Aufgaben bei den Bezirken. Außerdem müssen auch die Zuständigkeiten der zahlreichen Landesämter klar gefasst werden und dann gibt es noch den schönen Bereich der Querschnittsaufgaben, die sich nicht so einfach aufdröseln lassen.
»Man sollte mit den größten Brocken anfangen«, sagt Ziller. Zum Beispiel die genauen Zuständigkeiten der Ordnungsämter abzustecken. Denn sowohl bei der Parkraumüberwachung als auch bei den Gewerbekontrollen gibt es zahlreiche Überschneidungen mit der Polizei und anderen Behörden. »Wenn man das abgearbeitet hat, kann man sich dem nächsten Thema widmen«, so der Verwaltungsexperte. Nur so sieht er eine Chance, wirklich vorwärtszukommen. »Ich beschäftige mich seit sechseinhalb Jahren damit. Ich habe mir das am Anfang auch einfacher vorgestellt«, sagt Ziller.
Entscheidend für die Aufgabenerfüllung der Bezirke ist das von Grünen und Die Linke in das Eckpunktepapier hereinverhandelte Konnexitätsprinzip. »Bei der Zuordnung von bezirklichen Aufgaben ist sicherzustellen, dass die dafür benötigten Ressourcen zur Verfügung stehen«, wird das im Papier erklärt. »Bisher lief es so: Der Senat stellt fest, dass die Bezirke Aufgabe XY falsch machen. Er nimmt ihnen dann die Zuständigkeit weg, verdoppelt das eingesetzte Personal und dann läuft es auf einmal«, schildert Hendrikje Klein das bisherige Vorgehen gegenüber »nd«. Sie ist Verwaltungsexpertin der Linksfraktion.
Die Linke hat vor allem die Stärkung der Personalfragen im Papier durchgesetzt. »Um an die Leute heranzukommen, muss man die Arbeitsbedingungen verbessern«, sagt Hendrikje Klein. Ein »moderner Landespersonalservice« sowie eine »zentrale Ausbildungsstruktur« sollen entscheidende Hebel sein. »Es ist ganz klar, dass auch in Zukunft Fachkräfte fehlen werden«, erläutert die Linke-Politikerin.
Vor allem müsse die Verwaltung weg von den starren Strukturen hin zu einem mehr projektbezogenen Arbeiten kommen, um die Herausforderungen besser bewältigen zu können, ist Hendrikje Klein überzeugt. »So wird bereits in Jugendämtern gearbeitet. Es ist aber ein Balanceakt, die richtige Waage zwischen Verlässlichkeit und Flexibilität in der Verwaltung zu finden.«
2024 sollen laut Eckpunktepapier die nötigen Änderungen der Landesverfassung für einen Abschluss der Verwaltungsreform erfolgen. Wenn das System der Zielvereinbarungen zwischen Senat und Bezirken wirklich greifen soll, ist die notwendig. Denn für den Bezirk unterzeichnet der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin, doch bisher gibt es zur Durchsetzung kein Durchgriffsrecht gegenüber dem zuständigen Stadtrat oder der Stadträtin.
Die geplante Reform ist eine Mammutaufgabe. »Das beschlossene Eckpunktepapier ist eine Absichtserklärung«, sagt Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst zu »nd«. »Viele Vorhaben wie die Digitalisierung, eine bessere Finanzausstattung der Bezirke oder eine Ausbildungsoffensive hätten längst erledigt sein können, wenn die fachlich zuständigen Senatsverwaltungen ihre Jobs gemacht hätten«, gibt er zu bedenken. »Ich kann nur dringend empfehlen, im weiteren Prozess die Bezirke ernst zu nehmen«, sagt Grunst.
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