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Comeback auf Dauer?
Nach dem Wahlerfolg der CDU fragen sich Beobachter, ob sich die Partei wieder dauerhaft in Berlin etablieren kann
Nach den Abgeordnetenhauswahlen 2021 hatten wohl die wenigsten damit gerechnet, dass sich die CDU zügig wieder aufrappeln würde. Mit 18 Prozent war die Partei damals auf dem dritten Platz gelandet und konnte nur in ihren Hochburgen Direktmandate holen, kein einziges jedoch im Innenstadtbereich. Auch danach wirkte es lange Zeit nicht so, als wenn die Partei große Chancen auf den Posten des Regierenden hätte. Noch im Herbst 2022 lag sie in den Umfragen gleichauf mit SPD und Grünen. Doch nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts, dass die Abgeordnetenhauswahl wiederholt werden muss, vergrößerte die CDU schnell den Abstand zu Grün und Rot.
Am Ende kam es sogar noch heftiger, als es die Umfragen vorhergesagt hatten. Mit 28,2 Prozent hat die CDU nun zehn Prozent Vorsprung auf SPD und Grüne. 48 der 78 Direktmandate konnte die Partei erobern. Besonders stark bleiben die Christdemokraten außerhalb des Innenstadtbereichs. Bis auf zehn Mandate konnte die CDU hier alle Wahlkreise gewinnen. Ihr stärkstes Ergebnis holte die CDU in Lichtenrade, wo Direktkandidat Christian Zander mit 49,6 Prozent die anderen Parteien hinter sich ließ. Auch in Spandau, Reinickendorf, Marzahn-Hellersdorf und Süd-Neukölln holte sie deutlich über 40 Prozent. Vergleichsweise knapp wurde es außerhalb des S-Bahn-Rings nur in Treptow-Köpenick, wo SPD und Linke je ein Mandat erobern konnten und die CDU die restlichen mit Ergebnissen um die 30 Prozent holte. 2021 hatte die SPD diese Mandate gewonnen.
Vor allem in Lichtenberg konnten die Christdemokraten diesmal einige überraschend deutliche Siege einfahren. Auffallend ist vor allem der Erfolg in Großwohnsiedlungen. Im Wahlkreis Lichtenberg 2, der Alt-Hohenschönhausen umfasst, konnte CDU-Direktkandidat Martin Pätzold, der 2021 das Direkmandat nur knapp vor dem Kandidaten der Linkspartei gewann, sein Ergebnis verdoppeln. Ähnliches gilt für Danny Freymark im nördlich gelegenen Wahlkreis Lichtenberg 1, der von 25 Prozent Stimmanteil auf über 40 Prozent sprang. Im Wahlkreis Lichtenberg 3, der Fennpfuhl umfasst, konnte die CDU mit 0,1 Prozentpunkten Vorsprung denkbar knapp den Wahlkreis von der Linkspartei erobern. In Lichtenberg 5 (Friedrichsfelde und Rummelsburg) und im innenstadtnahen Wahlkreis Lichtenberg 4 konnte sich hingegen Die Linke durchsetzen.
Auch innerhalb des Innenstadtrings fällt das Ergebnis in Hochhaussiedlungen auf – vor allem vor dem Hintergrund, dass die Gegenden zuvor beim besten Willen nicht als CDU-Hochburgen galten. In Mitte konnten die Christdemokraten rund um die Leipziger Straße und auf der Fischerinsel Mehrheiten hinter sich bringen, in Kreuzberg im westlichen Teil des Mehringplatzes und in der Siedlung nördlich vom U-Bahnhof Prinzenstraße. Andere Wohnlagen wie am Kottbusser Tor oder um die Karl-Marx-Allee konnten zwar Mitte-Links-Parteien gewinnen, aber auch hier gab es überdurchschnittliche Gewinne für die CDU. Unterdurchschnittlich schnitten die Christdemokraten dagegen in Nord-Neukölln ab, wo die Partei nur ein geringfügig besseres Ergebnis als 2021 holte.
Viele politische Beobachter fragen sich nun, ob der CDU-Wahlerfolg nur ein einmaliger Protest der Wähler gegen die mit der verkorksten Wahl 2021 überdeutlich gewordenen Missstände in der Berliner Verwaltung war oder ob die Partei sich wieder dauerhaft in der Stadt etablieren kann. Ein Novum wäre es nicht. Von den Achtzigern an bis zum Jahr 2001 war die CDU mit ihren Regierenden Bürgermeistern Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen die dominierende politische Kraft in der Stadt. Nach dem Bankenskandal verlor sie jedoch die Hälfte ihrer Wähler und blieb in den folgenden zwei Jahrzehnten im Bereich von etwa 20 Prozent Wähleranteil. Von 2011 bis 2016 war sie als Juniorpartner an einer Großen Koalition beteiligt, blieb in der Regierung aber blass.
»Die CDU ist der lachende Vierte«, sagt Antonios Souris, Politikwissenschaftler an der Freien Universität. Als langjährige Oppositionskraft habe sie glaubhaft machen können, dass sie an dem Debakel um die Abgeordnetenhauswahl 2021 nicht beteiligt war. Das habe es der CDU erleichtert, als »bürgerliche Protestwahloption« zu erscheinen, mit der der regierenden Koalition ein »Denkzettel« verpasst werden konnte. Mit dem Fokus auf Verkehrspolitik sei vor allem in den Außenbezirken, wo viele auf ein Auto angewiesen seien, ein erfolgreicher Wahlkampf gelungen. Auch Sicherheitspolitik sei dort ein wichtiges Thema gewesen.
Ob die Partei ihren Erfolg verstetigt, hänge vor allem davon ab, ob es ihr jetzt gelingt, eine Senatskoalition zu bilden. »Die CDU ist eine klassische Regierungspartei«, sagt Souris. In der Opposition fiele es ihr dagegen schwerer, Themen zu setzen. Sollte die CDU an der Regierungsbildung scheitern, hätte sie Probleme, weiter so stark wahrgenommen zu werden. »Die CDU hat von vielen aktuellen Kontroversen profitiert«, sagt Souris. »In ein paar Monaten gibt es vielleicht schon wieder ganz andere Themen, mit denen sie sich schlechter profilieren kann.«
Gero Neugebauer, ebenfalls Politikwissenschaftler an der Freien Universität, glaubt hingegen, dass die Partei gerade in der Opposition wachsen könnte. »Die CDU hätte eine bessere Chance, wenn sie aus der Opposition die Regierung vorführt«, sagt er. »Es gilt immer noch der Satz: Es wird nicht eine gute Opposition gewählt, sondern eine schlechte Regierung abgewählt.« Bei der Wahl am Sonntag habe die Partei auch viele Stimmen von Wählern erhalten, die sich zwar an den Verwaltungsproblemen in der Stadt stören, aber den konservativen Werten der Partei nicht nahestehen.
»Wenn die CDU dauerhaften Erfolg in Berlin haben will, muss sie auch Wähler ansprechen können, die sich einen moderaten Fortschritt wünschen«, sagt Neugebauer. »Dafür braucht sie ein Modernisierungskonzept, mit der sie weite Teile der Bevölkerung ansprechen kann.« Ohne ein solches Konzept sei das Wahlergebnis vom Sonntag ein zeitweiliger Aufschwung, der nicht von Dauer sein werde. »Angesichts der Präsentation der CDU im Wahlkampf habe ich aber Zweifel, ob diese Modernisierung überhaupt gewünscht ist.«
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