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Räumungsverkauf bei Gruner + Jahr
Die Beschäftigten des Traditionshauses wollen sich gegen den geplanten massiven Stellenabbau wehren
Schon von Weitem ist am Hamburger Hafen Am Baumwall 11, zwischen Landungsbrücken und Elbphilharmonie, zu erkennen, dass sich in der gerne als Medienstadt feiernden Hansemetrople ein publizistisches Drama abspielt. »Stoppt den Ausverkauf«, heißt es auf einem großen weißen Banner, das Mitarbeiter*innen neben dem Haupteingang zum Verlagshaus von Gruner + Jahr angebracht haben. Auf dem Fußweg künden Graffitis vom »Notruf Hafenkante«, der jetzt auch hier stattfindet – eine Anspielung auf eine in Hamburg spielende ZDF-Polizeiserie.
Alleine vom Verlagshaus Gruner + Jahr zu sprechen, ist eine Halbwahrheit. Schon seit letzten Sommer heißt das markante Gebäude Mitarbeiter*innen wie Besucher*innen nicht mehr mit dem grünen »G+J«-Logo willkommen, sondern mit dem Schriftzug der neuen Chefetage, die vor allem durch TV- und Radioprogramme bekannte RTL-Gruppe. Noch zur Jahrtausendwende konnte sich das 1965 von den beiden Verlegern Gerd Bucerius und John Jahr sowie dem Druckereibesitzer Richard Gruner gegründete Medienhaus stolz als größter Zeitschriftenverlag Europas bezeichnen.
Glanz längst vergangener Zeiten. Heute gehört das an ein Schiff erinnernde markante Gebäude mit den Bullaugen nicht einmal mehr Gruner + Jahr, sondern dem Immobilienunternehmen Tishman Speyer. Die US-Amerikaner dürfen den Gebäudekomplex zwar erst anderweitig nutzen, wenn der Verlag ausgezogen ist. Allein die Geschichte hinter dem Verkauf klingt bereits mehr nach provinziellem Größenwahn und Überforderung als nach überlegtem Handeln. 2016 hieß der Plan, dass die Adresse Am Baumwall 11 an die Stadt Hamburg geht, Gruner + Jahr sich einen Neubau in unmittelbarer Nachbarschaft zum »Spiegel«-Verlag in der Hafencity leistet. Beides wurde nie Realität.
Ihr Stammhaus verlassen müssen alle Verlagsmitarbeiter*innen dennoch perspektivisch. Ein Teil, weil es bei Gruner + Jahr für sie keine Zukunft gibt. Die anderen müssen umziehen, weil das Gebäude dann viel zu groß geworden sein wird, sollte sich RTL-Vorstandschef Thomas Rabe mit seinen radikalen Umbauplänen durchsetzen, die er vergangenen Dienstag verkündete. Die trockenen Zahlen: 700 Stellen sollen beim Hamburger Verlagshaus weg, die Kosten bis 2025 um 70 Millionen Euro gesenkt und 24 Magazintitel eingestellt oder in einigen wenigen Fällen verkauft werden. Laut Rabe wolle sich RTL auf 13 Kernmarken konzentrieren, darunter das Wochenmagazin »Stern«, das Reportageheft »Geo« und im Unterhaltungssegment etwa die Frauenzeitschrift »Brigitte« und das Klatschmagazin »Gala«. Wegfallen sollen vor allem Ableger dieser Marken, aber auch die beiden sogenannten Personality-Magazine »Barbara« und »Guido«, benannt nach der Moderatorin Barbara Schöneberger und dem Designer Guido Maria Kretschmer. Rabe indes betont: Nur ein kleiner Teil des geplanten Stellenabbaus soll in den Redaktionen stattfinden, Streichungen würden sich auf Arbeitsplätze in der Verwaltung, im Gebäudemanagement und beim Marketing konzentrieren. Das allein wäre schon schlimm genug, doch hinzukommt: Die Mitarbeiter*innen bei Gruner + Jahr trauen Rabe nicht.
Vergangenen Donnerstag Am Baumwall 11: Gerade ist eine Versammlung zu Ende, viele Angestellte strömen zur Mittagszeit aus dem Verlagshaus, schnappen frische Luft, rauchen eine Zigarette und stecken in kleinen Gruppen die Köpfe zusammen. Bestimmendes Thema sind auch hier die geplanten Kürzungen. Worte wie »Zerschlagung«, »Ausverkauf« und »Verrat« schwirren hin und her. Im Fenster des Foyers steht auf einem Plakat des Geschichtsmagazins »P.M. History« ein Zitat des Schriftstellers Salman Rushdie: »Wer seine Geschichte nicht erzählen kann, existiert nicht.« Auch dieser populärwissenschaftliche Titel steht auf Rabes Abschussliste, das Heft steht zum Verkauf, sofern sich Interessent*innen finden.
RTL machte große Versprechungen
Keine zwei Minuten vom Verlagsgebäude entfernt treffe ich mich in einer Bäckerei mit einer langjährigen Redakteurin, die anonym bleiben will. Sie arbeitet für das Wissensressort, also genau in jener Abteilung, bei der mit »P.M.« und mehreren »Geo«-Ablegern besonders viele Titel vor dem Aus stehen. »Man weiß gerade nicht wirklich, wie man sich fühlen soll. Du fühlst dich wie geprügelt«, erzählt sie.
Dabei klang das, was der RTL-Chef noch vor knapp einem Jahr den Mitarbeiter*innen von Gruner + Jahr erzählte, ganz anders und nach einer positiven Zukunft. »Man hat uns große Versprechen gemacht. Alle kommen zusammen, wir sind jetzt eins. Das wurde uns alles positiv verkauft und daran haben wir auch geglaubt.« Wovon die Journalistin spricht? Rabes »Project One«, seine Idee davon, wie die Angebote von RTL und Gruner + Jahr zusammengeführt werden könnten. Dass die Vision als Albtraum endet, war den Mitarbeiter*innen nicht klar, auch weil über Monate aus der Geschäftsführung nichts zu hören war, obwohl viele Gerüchte längst über die Flure hallten. Nicht einmal die Chefredaktionen seien eingebunden gewesen. Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) bestätigt gegenüber »nd«, dass die Geschäftsleitung viel zu lange schwieg. »Eine Katastrophe! Anders lässt sich die Kommunikation nicht beschreiben.« Auch der Betriebsrat habe nichts erfahren.
Das änderte sich am 7. Februar, jenem Tag vor etwas über einer Woche, als der RTL-Chef in Hamburg den Kahlschlag am Baumwall verkündete. »Rabe hat in eineinhalb Stunden nicht einmal das Wort Journalismus verwendet. Das sagt eigentlich schon alles. Auch von solchen Dingen wie gesellschaftliche Verantwortung war keine Rede«, so die Wissens-Redakteurin. Sie und viele Kolleg*innen haben den Eindruck, RTL habe sich an seinen Plänen mit Gruner + Jahr übernommen. »Ich denke, sie haben gemerkt, dass ihnen das zu groß und komplex ist, dass es zu viele Magazintitel sind, um für alle eine Zukunftsvision zu entwickeln. Sie haben ihren Job nicht gemacht – aber wir müssen gehen.«
Tatsächlich nahm Rabe schon im Sommer 2021 den Mund ziemlich voll. Es entstehe ein »journalistisches Powerhouse mit der Inhaltekompetenz von mehr als 1500 Journalistinnen und Journalisten«, tönte der Manager damals. Der 57-Jährige ist einer der einflussreichsten Medienmanager Deutschlands, Vorstandschef bei Bertelsmann, dem RTL zu 75 Prozent gehört, wo er ebenfalls im Chefsessel sitzt. Gruner + Jahr war bis 2021 ein Unternehmsbereich bei Bertelsmann, ehe die Entscheidung fiel, die Hamburger künftig unter RTL-Führung zu stellen. Die Unternehmensstruktur änderte sich, Rabes unmittelbarer Einfluss auf Gruner + Jahr wuchs. Mit Journalismus hat der gebürtige Luxemburger nur als Manager zu tun. Rabe ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler.
»Als Verleger komplett versagt«
»Die 24 Titel werden Opfer überzogener Gewinnerwartungen von Thomas Rabe, der als Verleger komplett versagt«, meint DJV-Sprecher Zörner. Tatsächlich scheint es überhaupt nicht darum zu gehen, ob die Magazine Gewinne abwerfen, bestätigt auch die Wissensredakteurin. Im letzten auf der Bertelsmann-Website abrufbaren Jahresabschlussbericht für 2021 heißt es, Gruner + Jahr verzeichnete ein erfolgreiches Jahr», der «Treiber des positiven Geschäftsverlaufs» sei die «im Vergleich zum Vorjahr deutliche Erholung im Anzeigengeschäft» gewesen. Erfolgsmeldungen, die sich nur ein Jahr später ins Gegenteil verkehrt haben sollen?
Dass kurzfristige finanzielle Aspekte nicht ausschlaggebend gewesen sein können, zeigt das Beispiel «Landlust», ein Magazin, das in Zusammenarbeit von Gruner + Jahr mit dem Landwirtschaftsverlag Münster erscheint. Auflage im letzten Quartal 2022: über 800 000 Exemplare. Das Magazin-Flaggschiff «Stern» verkauft im Vergleich zur «Landlust» nicht einmal halb so viele Hefte. RTL, also Rabe, will die Beteiligung dennoch verkaufen.
Tina Fritsche, Landesgeschäftsführerin Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (DJU), fällt ebenfalls ein klares Urteil über den RTL-Manager: «Rabes Fixsterne sind Zahlen; in seinem Kosmos kommen gesellschaftliche, soziale Verantwortung, wie wir sie von einem CEO eines so bedeutenden Medienkonzerns erwarten, nicht vor.» Das Verlags- und Magazingeschäft habe «schon länger nicht die vorrangige Rolle in den Überlegungen von Bertelsmann gespielt, hat aber kontinuierlich noch gute Gewinne eingebracht, auch wenn diese geringer waren als im TV-Geschäft des Konzerns», so Fritsche. Die Fortentwicklung des eigenen Verlagsgeschäfts zu vernachlässigen und sich nur noch als Abseite eines Fernsehkonzerns zu sehen, sei «gelinde gesagt, mangelnder verlegerischer Ehrgeiz», kritisiert die Gewerkschafterin.
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Auch was das Versprechen des Managers angeht, im redaktionellen Bereich nur wenige Stellen zu streichen, ist Skepsis angebracht, besonders was das Segment Wissensmagazine betrifft. «Du kannst es dir ausrechnen: 110-mal im Jahr kam bisher ein Magazin an den Kiosk und jetzt sind es halt nur 13 ›Geo‹-Ausgaben und das war es. Das kann nicht aufgehen», so die Redakteurin. Hinzukommt: Die in den Medien verbreitete Zahl von 700 gefährdeten Jobs bezieht sich auf Planstellen und nicht auf Personen. Weil auch bei Gruner + Jahr viele Beschäftigte Teilzeit arbeiteten, geht es am Ende um mehr Existenzen als die genannte Zahl.
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«Da es so viele betrifft, kann sich keiner sicher sein, dass es ihn am Ende nicht auch trifft. Ich kenne niemanden, der jetzt die Ellenbogen ausfährt und nur an sich selbst denkt», erzählt die Redakteurin. Aktuell seien die Beschäftigten noch dabei, sich einen genauen Überblick über die Situation zu verschaffen, sich auszutauschen und zu vernetzen. Direkt am Tag der Verkündung des Ausverkaufs gab es eine Demonstration von Beschäftigten auf dem Hamburger Rathausmarkt, bereits Ende Januar veranstalteten sie vor dem Verlagshaus eine «aktive Mittagspause», nachdem sich in Medienberichten immer mehr angedeutet hatte, was Manager Rabe für Pläne haben könnte.
Grüne: RTL hat zu wenig Interesse am Geschäft
Unterstützung erhalten die Beschäftigten auch aus der Politik. Farid Müller, medienpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft, spricht gegenüber «nd» von «einem schweren Schlag für die Medienstadt Hamburg». «Besonders traurig ist, dass es nicht mal eine ernsthafte Prüfung gab, den einst zu Recht stolzen Verlag in seiner Gesamtheit an jemanden zu verkaufen, der stärker am Geschäft interessiert ist.»
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Allerdings räumt der Grünen-Politiker ein: Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidung zum Stellenabbau «gibt es ehrlicherweise kaum». Helfen könne die Stadt aber beispielsweise dabei, einen neuen Standort zu finden. Ähnlich äußerte sich Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda (SPD) in den letzten Tagen. Gespräche zwischen Bertelsmann/RTL und der Stadt gibt es, wirklich Konkretes kam dabei bisher aber nicht heraus.
«Wir vom DJV haben an das Management von RTL und Bertelsmann appelliert, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Bertelsmann hat über viele Jahre beträchtliche Profite mit den G+J-Titeln eingefahren», sagt Hendrik Zörner. Öffentlichkeit und mediale Berichterstattung über den drohenden Kahlschlag könnten den Druck auf RTL/Bertelsmann erhöhen, über die Zukunft des einen oder anderen Titels noch einmal nachzudenken, ist auch die Redakteurin bei Gruner + Jahr überzeugt.
Was sie zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht wusste: Der Protest scheint erste kleine Erfolge zu zeigen. Am Wochenende wurde bekannt, «Geo Epoche» könnte vielleicht doch eine Zukunft haben. Die Journalistin nannte den Titel «den Gold-Standard der Geschichtsmagazine». Qualitätsjournalismus – genau das steht Am Baumwall 11 in Hamburg auf dem Spiel.
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