Besetzer auf den Boden geholt

Das Protestcamp im »Heibo« bei Dresden, das Wald vor Kiesabbau schützen wollte, wird geräumt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Mukka sitzt entspannt auf einer Plattform vor seinem Baumhaus, das in geschätzt fünf Metern Höhe zwischen Kiefernstämmen errichtet wurde. Er isst Nüsse und schnipst die Schalen auf den Waldboden. Dort steht ein Trupp Bereitschaftspolizisten. Ein paar Meter entfernt holen andere Beamte mithilfe von Hebebühnen und Leitern erste Mitstreiter von Mukka aus ihren provisorischen Behausungen. »Es ist schade, dass wir als die Bösen dargestellt werden«, sagt der junge Mann, »obwohl wir doch für eine gute Sache hier sind.«

Die gute Sache: Das ist der Schutz eines Waldstücks im Laußnitzer Heidebogen unweit des Dresdner Stadtrands, den die Aktivisten liebevoll »Heibo« nennen. Er soll in Teilen dem Kiesabbau weichen, obwohl es viele seltene Tiere und Pflanzen sowie wertvolle Moorlandschaften gibt. Zum Zeichen des Widerstands gegen die geplante Naturzerstörung wurde das Areal im August 2021 besetzt. Die Aktivisten wollen eine »Bauwende« bewirken. Sie argumentieren, dass es auch Technologien gibt, die weniger Naturressourcen in Anspruch nehmen. In den 18 Monaten der Aktion entstanden zahlreiche Baumhäuser und Seilkonstruktionen, die an einen Klettergarten erinnern. Zuletzt wurden auch Barrikaden errichtet und Gräben ausgehoben. Damit bereiteten sich die Besetzer auf die absehbare Räumung vor, die an diesem Mittwoch nun begonnen hat.

Seit dem Morgengrauen rückten Polizisten in das Waldstück ein. Sie hatten zuvor in einer angrenzenden Sandgrube ein provisorisches Zeltcamp errichtet und schwere Technik aufgefahren: Bagger, Planierraupen, Kräne. Bis zu zehn Hundertschaften seien im Einsatz, sagte Einsatzleiter Dirk Linczmajer von der Polizeidirektion Görlitz. Unter ihnen sind auch Kletterspezialisten der Polizei aus Nordrhein-Westfalen, die Erfahrung bei der Beräumung von Protestcamps in luftiger Höhe haben. In Sachsen hat es vergleichbare Aktionen bislang nicht gegeben; die Polizei sprach vorab respektvoll von einem »nicht einfachen, herausfordernden Einsatz«. Auch beim Staatsbetrieb Sachsenforst, dem die Waldfläche gehört, hat man keine einschlägigen Erfahrungen: »Wir sind zum ersten Mal mit so etwas konfrontiert«, sagt Carolin Werthschütz, die bei dem landeseigenen Unternehmen für Bürgeranliegen zuständig ist.

Die Räumung erfolgt, damit die Fläche an das Kieswerk Ottendorf-Okrilla (KBO) übergeben werden kann, das dort neue Abbaufelder erschließen will. Entsprechende Planungen stammen noch aus der DDR-Zeit; der aktuelle Hauptbetriebsplan sei im Dezember vom Oberbergamt zugelassen worden, sagt Werthschütz. Sie betonte, der Sachsenforst müsse die 7,5 Hektar große Fläche »holzfrei« übergeben – was für erheblichen Zeitdruck sorgt: Baumfällungen dürfen laut Naturschutzgesetz nur bis Ende Februar durchgeführt werden. Zwar roden die »Harvester« genannten Erntemaschinen pro Tag jeweils bis zu einem Hektar. Um die »forstwirtschaftlichen Maßnahmen« aber ungestört durchführen zu können, bat der Landesbetrieb die Polizei um Amtshilfe.

Am Morgen der Räumung hatte zunächst das Ordnungsamt des Landkreises Bautzen das Camp inspiziert. Dieses war kurz nach Errichtung als Versammlung eingestuft worden, erklärte dessen Leiter René Burk. Im Mai 2022 wurde ein Auflagenbescheid erlassen, der unter anderem vorsah, dass die Baumhäuser von einem Statiker zu begutachten und Feuerstellen vom Schornsteinfeger abzunehmen seien. Weil dagegen verstoßen wurde, hatte die Behörde bereits eine Frist bis Ende Januar zum freiwilligen Rückbau gesetzt, den die Besetzer indes verweigerten. Nach der morgendlichen Inspektion wurde verfügt, dass die Versammlung aufzulösen sei. Der Forstbetrieb erließ daraufhin ein Betretungsverbot. Dieses setzte die Polizei anschließend um, indem sie die 50 bis 60 Aktivisten zunächst zum freiwilligen Verlassen der Baumhäuser aufforderte und, als das unterblieb, mit der Räumung begann.

Diese erfolgte zügiger als zunächst gedacht. Die Polizei war vorab von einem fünftägigen Einsatz ausgegangen. Doch bereits innerhalb der ersten Stunden wurden mehrere der »Tripods« genannten Hochsitze geräumt, die den Zugang zum Camp blockierten. Nachdem Kletterexperten der Polizei die Bauwerke erklommen hatten, ließen sich die meist vermummten Besetzer bis auf eine Ausnahme ohne Widerstand auf den Boden holen. Auch wenn die Räumung der höher und tiefer im Wald gelegenen Baumhäuser anspruchsvoller werden dürfte, weil die Zufahrt etwa für Hebebühnen nicht so leicht möglich ist, rechneten Beobachter damit, dass die Besetzung bis zum Wochenende beendet ist.

Um diese hatte es bis zuletzt auch ein politisches Tauziehen gegeben. Die Linke im Landtag hatte ein Moratorium gefordert; auch die Grüne Jugend hatte noch nach Beginn der Räumung einen »unverzüglichen Abbaustopp« für den Kies gefordert. Die Grünen im Freistaat stehen erheblich unter Druck, weil das von ihnen geführte Umweltministerium an den politischen Entscheidungen beteiligt war. Ihm untersteht der Forstbetrieb, der die Räumung letztlich veranlasste. Die Landtagsfraktion der Grünen erklärte, man habe in vier Regierungsjahren »nicht alle Fehler der Vergangenheit ausmerzen und sofort drehen (können), was jahrelang schief lief«. Die Heibo-Besetzer wiesen indes darauf hin, dass nach Lützerath und dem Fechenheimer Wald in Hessen erneut eine Räumung unter einer Regierung mit grüner Beteiligung stattfinde, und angemerkt, man sei von der Ökopartei »nicht mal mehr enttäuscht«.

Aktivisten wie Mukka bedauern, dass mit der Räumung »auch eine gesellschaftliche Utopie verloren geht«. Theoretisch, sagt er, »weiß jeder, wie wichtig Wald für eine intakte Umwelt ist«. Wenn es, wie im Heibo, aber konkret werde, »heißt es dann doch: Hier bauen wir lieber Kies für eine Autobahn ab«.

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