Wer Pop verstehen will

Wie Popkonzerte zu einem Millionengeschäft wurden: »Rock’n’Rau«, die an Anekdoten überreiche Biografie von Fritz Rau

  • Jens Buchholz
  • Lesedauer: 4 Min.

Bob Dylan tritt 1978 auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg auf. Dylan, der aus einer jüdischen Familie stammt, hatte große Bedenken, an diesem ehemaligen Propagandaort der Nazis ein Konzert zu spielen: »I think Nuremberg is the wrong place« sagte er zu seinem Tourneeveranstalter Fritz Rau. Doch dem gelingt es, den Sänger umzustimmen. Gerade dort, meint Rau, solle Dylan seinen großen Auftritt hinlegen. Am Tag des Konzerts regnet es – bis Dylan die Bühne betritt. Da bricht die Sonne durch und taucht die Bühne in ein magisches Licht. Rau ist sehr erleichtert – und just in diesem Moment fallen ihm die Verse eines Liedes ein, das er bei der Hitlerjugend gelernt hat: »Als die gold’ne Abendsonne sendet ihren letzten Schein.«

Fritz Rau wurde 1930 bei Karlsruhe geboren und in der NS-Zeit sozialisiert. Seine Biografie, die in dem Buch »Rock’n’Rau« aufgearbeitet wird, steht exemplarisch für viele Männer und Frauen dieser Generation. Eine Generation, die sich als junge Erwachsene aus dem Muff der Adenauerzeit zu befreien versuchte, aber schon zu alt für die 68er war. Er erzählte den Journalisten und Rundfunkmoderatoren Kathrin Brigl und Siegfried Schmidt-Joos über sein Leben, über mehrere 100 Stunden lang, die daraus eine lohnenswert zu lesende Biografie machten. Raus Leben ist voller interessanter Brüche, die von ebenso pointierten, wie manchmal auch banalen Anekdoten begleitet werden.

Raus Vater war Schmied, der früh verstarb, ebenso seine Mutter. 1940 wird Rau von Berliner Verwandten aufgenommen. Er ist ein begabter Schüler. Er kehrt zurück in seine badische Heimat und besucht dort das Gymnasium. Mit einem hervorragenden Abitur in der Tasche zieht er nach Heidelberg und studiert Jura. Und auch hier zeigt er eine große Begabung. Gleichzeitig entdeckt er im Club Cave 54 seine Leidenschaft für den Jazz. 1955 veranstaltet er für den Jazzposaunisten Albert Mangelstorff in Heidelberg sein erstes Konzert. Der Konzertveranstalter Horst Lippmann engagiert Rau für seine Jazz-Veranstaltungen als Tourneebegleiter. Schließlich wird Rau zum Partner Lippmanns.

Aber er ist innerlich zerrissen. Denn einerseits will er ein bürgerliches Leben als Anwalt und Ehemann im Einfamilienhaus führen. Andererseits liebt er den Trubel und Glamour des Tourlebens. Zumal das Geschäft immer erfolgreicher wird. Mit dem 1962 erstmals aufgelegten und sehr einflussreichen »American Folk Blues Festival« bringen Lippmann und Rau dem deutschen Publikum erstmals schwarze Bluesinterpreten nahe. Nach und nach arbeitete Rau mit sämtlichen Größen der Popwelt zusammen: Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Joan Baez, Tina Turner, Michael Jackson, Marlene Dietrich, The Doors, Frank Zappa, The Who, David Bowie, Queen und vielen, vielen mehr.

Dass Dreifachleben als Jurist, Familienvater und Konzertveranstalter führte schließlich zum Zusammenbruch. Die Juristerei gab er auf. Von seiner Frau trennte er sich vorübergehend. Besonders nahe stand Rau sein Schützling Udo Lindenberg, der ihn auch während des Krebstodes seiner Frau begleitete.

»Rock«, wird Fritz Rau im Buch zitiert, »wurde von einem Tausend-Dollar-Business, zu einem Multimillionen-Dollar-Geschäft. Damit wurde die Musik gleichsam nebensächlich, denn alles konzentrierte sich auf die Frage, wie das Geschäft noch besser laufen kann«. Deshalb ist »Rock’n’Rau« ist ein auf vielschichtige Weise spannendes Buch. Denn es ist nicht nur ein exemplarisches Portrait der verlorenen Generation auf ihrem Weg in die Freiheit, sondern es zeigt auch, wie sehr große Popmusik und Kapitalismus zusammengehören.

Popmusik ist nicht einfach nur eine Kunst, die einen Lebensstil im Gepäck hat. Popmusik funktioniert nur, wenn sie ein Publikum hat, wenn sie gekauft wird. Die Entwicklung Raus von einem Konzertveranstalter mit Mission, der seinem Publikum den Jazz bringen will, der den Blues nach Europa holt, hin zum Großveranstalter, der für Madonna Konzerte Sonderzüge bereitstellen lässt, in denen dann eine Miss-Madonna-Wahl stattfindet, spricht Bände. Politisch sympathisiert Rau mit den Grünen, in den frühen Achtzigerjahren organisiert er für die noch junge Partei die Werbetour »Grüne Raupe«.

Rau stirbt 2013. Kathrin Brigl und Siegfried Schmitz Joos kannten ihn lange und haben ihm nun mit »Rock’n’Rau ein Denkmal gesetzt. Manchmal geht es mit den beiden Autoren ein bisschen durch, wenn sie Raus Anekdoten zu romanhaften Szenen und Dialogen ausgestalten. Oft aber lassen sie einfach Rau selber erzählen, wie er in seinen Erinnerungen hin und her springt und von einem zum anderen kommt, aber am Ende wieder auf dem Punkt landet. Am Ende der Biografie haben die beiden dann noch eine Art Best-Of-Anekdoten angehängt, die in der biografischen Erzählung keinen Platz mehr gefunden hat. Wer Pop verstehen will und sich für Popgeschichte interessiert, der liegt mit diesem Buch richtig.

Kathrin Brigl & Siegfried Schmidt-Joos: Rock’n’Rau. Wie der Konzertveranstalter Fritz Rau zum Buchhalter der Träume wurde. Verlag Andreas Reiffer, 400 S., 24 €.

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