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Angst um die Idylle
400 Asylbewerber sollen in Bad Sachsa untergebracht werden. Der Kommune im Harz sind das zu viele
Eines will Daniel Quade vorab loswerden. Bad Sachsa, sagt der Bürgermeister der beschaulichen 7000-Einwohner-Gemeinde am Südrand des Harzes, sei »traditionell eine Stadt, die sich durch Hilfsbereitschaft in Notlagen auszeichnet und in der fast 60 unterschiedliche Nationen eine friedliche Gemeinschaft bilden«. Ende der 1970er Jahre habe die Kommune 150 »Boat People« aus Vietnam aufgenommen. In den 1990ern kamen zahlreiche Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Und seit einem Jahr bestehe ein »kontinuierlicher Zufluss« von ukrainischen Flüchtlingen nach Bad Sachsa. 200 Ukrainerinnen und Ukrainer seien in privaten Unterkünften untergekommen. »Zusätzlich haben wir rund 100 Hilfesuchende aus anderen Nationen in unserem Stadtgebiet aufgenommen.«
Und nun? Jetzt entsteht – als Außenstelle des Grenzdurchgangslagers Friedland – in Bad Sachsa auch noch eine Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Niedersachsen für rund 500 Geflüchtete. Die Mehrheit, etwa 400 Personen, sollen in der ehemaligen Paracelsus-Klinik unterkommen, erläutert die Sprecherin der Landesaufnahmebehörde (LAB) Niedersachsen, Hannah Hintze. Das frühere Reha-Krankenhaus war in finanzielle Turbulenzen geraten und steht nach mehrmaligem Besitzerwechsel seit einiger Zeit leer.
Gegenwärtig laufen dort noch Bauarbeiten, konkret geht es dabei Hintze zufolge um letzte Maßnahmen für die Sicherung des Brandschutzes. Der eigentlich für den Beginn dieses Jahres geplante Einzug der ersten Bewohnerinnen und Bewohner ist nun für das zweite Quartal 2023 geplant. Die LAB hat das Gebäude für zunächst zehn Jahre angemietet.
Weitere 100 Plätze für Flüchtlinge sollen in einem benachbarten Gebäude entstehen, einer nicht genutzten Villa; hier verhandelt die Behörde allerdings noch über einen Mietvertrag. Wie in Friedland sollen die Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst etwa zwei Monate in der Erstaufnahmeeinrichtung in Bad Sachsa bleiben. Dort werden sie registriert, können Integrations- und Sprachkurse besuchen und die ersten bürokratischen Hürden für ein mögliches Bleiberecht erklimmen. Anschließend werden sie auf andere Kommunen verteilt.
Ähnlich wie das »Mutterhaus« in Friedland steht die neue Unterkunft in Bad Sachsa nach Angaben von LAB-Sprecherin Hintze grundsätzlich geflüchteten Menschen aus allen Ländern und mit unterschiedlichem Flüchtlingsstatus offen. Wegen des Sonderstatus von Geflüchteten aus der Ukraine, die ihren Wohnsitz frei wählen können, würden voraussichtlich aber keine oder nur wenige Menschen aus diesem Kriegsland in Bad Sachsa aufgenommen.
Bei 500 weiteren Personen würde der Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung in der Kernstadt 15 Prozent betragen, rechnet FDP-Bürgermeister Quade vor: Die Bürgerinnen und Bürger in Bad Sachsa hätten bereits »viel mehr getan als andere Kommunen« – sie hätten Schutzsuchende direkt an der Grenze abgeholt, Wohnraum zur Verfügung gestellt, Freizeitangebote organisiert: »Wir dürfen die Hilfsbereitschaft der Einwohnerinnen und Einwohner nicht überstrapazieren.«
Der Bürgermeister verweist auch darauf, dass die Stadt fast ausschließlich vom Tourismus lebe. Dieser bringe jährliche Bruttoumsätze von mehr als 46 Millionen Euro ein, mehr als 900 und damit 55 Prozent aller Arbeitsplätze hingen am Fremdenverkehr. »Die Menschen haben Angst vor negativen Auswirkungen auf den Tourismus und daraus resultierende Existenzängste. Das bekomme ich regelmäßig in Gesprächen mitgeteilt.«
Auch die im Stadtrat vertretenen Parteien teilen die Bedenken. Die Aufnahmeeinrichtung solle die Zahl an 150 Plätzen nicht überschreiten, heißt es unisono bei der SPD-Fraktion und den beiden anderen im Kommunalparlament vertretenen Gruppen. Die Liberalen sind in Bad Sachsa quasi eine Volkspartei und holten bei der letzten Kommunalwahl mehr als 30 Prozent der Stimmen; sie bilden eine Gruppe zusammen mit den Grünen und zwei Bürgerlisten. Die CDU hat sich mit einem früher der AfD und später der Lucke-Partei Alfa angehörenden Ratsherrn zu einer Gruppe zusammengetan.
Die Kommunalpolitiker verwahren sich zugleich geschlossen dagegen, in eine rechte Ecke gedrängt zu werden. Eine »überdimensionierte« Flüchtlingsunterkunft könne vielmehr den Nährboden für gewisse Tendenzen in diese Richtung bieten, »auch das wollen wir mit aller Macht verhindern«. Ihre Position, sagen die Ratsmitglieder, sei schließlich auch im Sinne der Flüchtlinge. Deren Unterbringung solle schließlich menschenwürdig gestaltet sein. Niemand wolle, »dass die Menschen dort zusammengepfercht werden, das schürt nur neue Konflikte«.
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