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Die Inflation im Warenkorb
Wie schnell Preise steigen, ist auch eine Frage der Berechnungsgrundlage
Die Inflationsrate habe im Januar 8,7 Prozent betragen, meldete das Statistische Bundesamt am Mittwoch. Doch was heißt das eigentlich? Die Antwort des Wirtschaftswissenschaftlers Rudolf Hickel: »Die Inflation ist ein Warenkorb.« Und der werde turnusmäßig überarbeitet. Das hat natürlich Folgen, die überraschen: Die statistische Inflationsrate sank aufgrund der jüngsten Überarbeitung um einen ganzen Prozentpunkt.
Die Inflationsrate in Deutschland wird jeden Monat vom Statistischen Bundesamt anhand des sogenannten Verbraucherpreisindex (VPI) ermittelt. In diesen fließen die Preise von knapp 700 Waren ein, vom Apfel über die Flugreise bis zur Miete. Die Zusammensetzung dieses Warenkorbs ist jedoch nicht fix. So hätten die Statistiker in der Vergangenheit Musik-Streaming-Dienste und E-Book-Reader neu in den Korb gelegt oder mit Blick auf die Demografie den Anteil für Zahnreparaturen erhöht, referierte Hickel am Dienstag auf einer Veranstaltung von »Die Neue Gesellschaft« in Hamburg. Hickel: »Insgesamt gab es in der Vergangenheit kaum einen Effekt durch die neue Basis.«
Umso mehr erstaunen die neuen Inflationszahlen, die das Statistische Bundesamt nun vorlegte. In Bezug auf die Jahresinflationsrate hatte das Amt im Januar mitgeteilt, dass die Preise im Durchschnitt des Jahres 2022 im Vergleich zu 2021 um 7,9 Prozent gestiegen seien. Dieses Ergebnis wurde auf Basis des Warenkorbs des Jahres 2015 ermittelt. Berechnet auf der Basis des neuen Warenkorbs liegt die Inflationsrate nun für das vergangene Jahr nur noch bei 6,9 Prozent. Sie war also um einen ganzen Prozentpunkt geringer als auf der alten Berechnungsbasis.
Dabei ist der Verbraucherpreisindex auch aus Sicht des Statistischen Bundesamts ein wichtiger Indikator für die Entwicklung der Kaufkraft der privaten Haushalte und unter anderem in Tarifverhandlungen relevant. So fordern die Gewerkschaften wegen der hohen Teuerungsraten derzeit besonders hohe Tariflohnerhöhungen. Umso bemerkenswerter ist es, wenn die amtlich ausgegebene Inflationsrate aufgrund neuer Berechnungsgrundlagen um einen ganzen Prozentpunkt sinkt.
»Die hohe Steigerung wird damit durch die Neuberechnung zwar etwas gedämpft, das hohe Niveau wird aber grundsätzlich bestätigt«, versuchte Stephanie Hirner, Leiterin der Gruppe »Preise« des Statistischen Bundesamts, während eines online geführten Pressehintergrundgesprächs am Mittwoch die Aufregung zu dämpfen. Die Revision sei »allein auf Fachebene« erfolgt. Es habe dafür keine politischen Vorgaben etwa der Bundesregierung gegeben.
Was war passiert? Traditionell überarbeiten die amtlichen Statistiker alle fünf Jahre ihren Warenkorb. Das war zuletzt für das Basisjahr 2015 erfolgt. Seither bezogen sich alle Angaben zur Inflation auf dieses Jahr. 2022 war demnach ein Rekordjahr für die Geschichte der Bundesrepublik. Nach der nun durchgeführten Neuberechnung stiegen die Preise allerdings in den 1950er und 1970er Jahren zeitweise stärker an als heute. Seit Mittwoch wird nämlich die Veränderung des Verbraucherpreisindex auf das Basisjahr 2020 berechnet, sogar rückwirkend. Da jenes Corona-Jahr auch für das Konsumverhalten der privaten Haushalte ein sehr besonderes Jahr war, haben sich die amtlichen Statistiker entschieden, einen Durchschnitt aus den Jahren 2019 bis 2021 als neues Basisjahr zu nehmen.
Im Zuge der Umstellung wurden zugleich das »Wägungsschema« und damit der Inhalt des Warenkorbes aktualisiert. Mit dem Wägungsschema wird das Gewicht der einzelnen Waren im Korb festgelegt. So wurde der Anteil der Miete gesenkt. Heruntergefahren wurde zudem der Anteil der sogenannten Haushaltsenergien, insbesondere Strom, Gas, Fernwärme und Heizöl. Deren Gewicht im Korb betrug bislang 6,82 Prozent und wurde nun um mehr als ein Drittel auf 4,34 Prozent gesenkt.
Eine solche Veränderung kann in der Geldpolitik durchaus Wirkung zeigen. Bei der Bekämpfung der Inflation spielt deren spezieller Charakter eine zentrale Rolle. Eine kriegsbedingte Hyperinflation wie 1923 hat andere Gründe als eine hausgemachte Inflation, auf die eine Zentralbank mit höheren Zinssätzen reagieren kann. Oder wie jetzt eine durch extrem hohe Energiepreise »importierte Inflation«, so Hickel, die durch steigende Zinssätze eher verschlimmert werde.
Die amtlichen Statistiker zeigten sich dennoch überzeugt, dass ihr Warenkorb »die Lebenswirklichkeit in Deutschland abbildet«. Ökonom Hickel wies jedoch in Hamburg auf eine weitere Crux der offiziellen Inflationsrate hin: Die soziale Spaltung wird durch sie nicht abgebildet.
So lag die Inflationsrate einer einkommensschwachen Vier-Personen-Familie mit monatlich weniger als 2500 Euro im Dezember 2022 um 2,7 Prozentpunkte höher als die eines Alleinlebenden mit hohem Einkommen über 5000 Euro. Hickel zog hier Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) heran. Der Grund sei, erklärte der Bremer Ökonom, dass der Anteil von Haushaltsenergie und Nahrungsmitteln des Grundbedarfs am Haushaltseinkommen für niedrige und mittlere Einkommen größer als bei Wohlhabenden sei. Und die Preise für die ebenfalls großteils eingeführten Nahrungsmittel und für Energie seien in den vergangenen anderthalb Jahren besonders schnell gestiegen.
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