Aufstand der Toten

Die Partei der Toten setzt mit Performances ein Zeichen gegen den Krieg Wladimir Putins in der Ukraine

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 5 Min.
Anti-Kriegs-Performance auf dem Friedhof: Für solche Aktionen wird die Partei der Toten in Russland verfolgt.
Anti-Kriegs-Performance auf dem Friedhof: Für solche Aktionen wird die Partei der Toten in Russland verfolgt.

Nach einem Jahr Krieg in der Ukraine scheint in Russland der Widerstand gegen die Invasion gebrochen zu sein. Doch immer noch wehren sich Menschen auf unterschiedliche Art gegen die Aggression im Nachbarland. Und immer wieder taucht dabei ein Name auf – die Partei der Toten, von russischen Exilmedien gerne als eine der Antreiberin des Widerstands bezeichnet.

Verfolgung von Kriegsgegnern

Seit Kriegsbeginn kam es in 92 russischen Städten zu Demonstrationen gegen die Invasion. Landesweit zündeten Menschen Wehrkreisämter an und sabotierten die Nachschubrouten der Armee. Nach Angaben der NGO OVD-Info wurden bis zum 23. Januar 19 535 Personen für ihre Anti-Kriegs-Haltung festgenommen. Aktuell stehen 420 Russen vor Gericht, davon 133 wegen angeblicher Fake-Nachrichten, 42 wegen Diskretitierung der Armee und 27 wegen Terrorakten. Gegen 5601 Personen wurden Strafen wegen der Diskretitierung der Armee verhängt. Mindesten 230 Menschen verloren für ihre Haltung den Job. Laut OVD-Info war 2022 das repressivste Jahr der Präsidentschaft Wladimir Putins.

So viel Lob möchte Maxim Jewstropow nicht hören. Das sei schon ein wenig übertrieben, sagt der 43-jährige Philosoph im nd-Gespräch. Jewstropow hatte die Partei der Toten 2017 in St. Petersburg als Performanceprojekt gegründet. Ursprünglich wollte die Partei, die niemals als solche registriert wurde, auf Probleme in der Lokalpolitik von Russlands zweitgrößter Stadt aufmerksam machen. Schon ein Jahr später ging es beim Protest gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters auch um landesweite Politik. Seit dem 24. Februar 2022 gibt es für die Partei der Toten nur noch ein Thema. »Alles, was wir machen, ist gegen den Krieg«, sagt Jewstropow.

Tod bestimmt Politik und Kultur in Russland

Mit ihrem Namen will die Partei der Toten auf die besondere Bedeutung des Todes in Russland aufmerksam machen. Der Tod, meint Jewstropow, sei in Russland nicht nur ein politisches, sondern ein kulturelles Phänomen. Die Sowjetunion und insbesondere der Sieg im Zweiten Weltkrieg ist unter Präsident Wladimir Putin zum zentralen Mythos geworden. Ein Mythos, der in erster Linie auf den Toten aufbaut. So ist die Veteranenverehrung in den vergangenen Jahren immer stärker geworden, während die vielen Opfer der sowjetischen Diktatur in Vergessenheit gerieten. Der Staat instrumentalisiere die Toten, die sich natürlich nicht dagegen wehren können, für seine Zwecke, meint Jewstropow. Bestes Beispiel ist das Unsterbliche Regiment, das einst als Graswurzelbewegung in Sibirien begann und mittlerweile zu einer Massenveranstaltung zur Ehrung der »guten« Toten geworden ist. Wenn sich die Mitglieder der Partei der Toten bei ihren Aktionen Totenschädel-Masken vor die Gesichter halten, kritisieren sie auch die propagandistische Vereinnahmung des Unsterblichen Regiments.

Da offener Protest in Russland kaum noch möglich ist, versucht die Partei der Toten mit Einzelaktionen Zeichen gegen den Krieg zu setzen. Kurz nach Beginn der Invasion sorgte sie mit einer Friedhofs-Performance für Aufsehen. »Russen begraben Russen nicht« und »Wir lassen unsere Jungs nicht im Stich (außer ihren Leichen)« stand als Reaktion auf die Bilder unzähliger zurückgelassener toter Soldaten in der Ukraine auf den Plakaten.

Verfolgung nach der Osteraktion

Zum orthodoxen Osterfest Ende April legten die Aktivisten nach: »Hört auf zu kämpfen. Die russischen Soldaten werden nicht wieder auferstehen« und »Christus ist auferstanden, der Wehrdienstleistende nicht«. Die Behörden sahen in der Aktion die Beleidigung der Gefühle Gläubiger. Anfang September durchsuchten Polizisten und Geheimdienstler mehrere Wohnungen in St. Petersburg. Dabei habe es Menschen getroffen, die wenig oder nichts mit der Partei der Toten zu haben. Hier ging es um Einschüchterung und den Versuch, aus der Performancegruppe eine Organisation zu machen, um gegen sie vorgehen zu können, erklärt Jewstropow.

Im Dezember wurde auch er zur Fahndung ausgeschrieben. Da hatte Jewstropow Russland schon knapp neun Monate verlassen. Kurz nach Kriegsbeginn ist er nach Georgien geflohen. Die Tage vor der Abreise habe er sich verfolgt gefühlt und bei verschiedenen Freunden geschlafen, erzählt er. Und auch in Tiflis fühlt er sich nicht richtig sicher, schließlich weiß niemand, wie Georgien in Zukunft mit den Russen im Land umgehen wird. Trotzdem organisiert er von hier aus weiterhin Aktionen und sogar eine Art Trainingslager für die Partei der Toten in der Nähe der Stadt.

Nächster Schritt: die Nekrointernationale

Wie Jewstropow sind auch viele andere Aktivisten geflohen. Wie viele noch in Russland sind, weiß er nicht. Bereits vor den polizeilichen Ermittlungen war es schwer, Menschen aufzurufen, sich an Aktionen zu beteiligen. Das sei zwar notwendig, weil man etwas gegen diesen Krieg tun muss. Aber man wolle auch niemanden in Gefahr bringen, resümiert Jewstropow. Dass die Partei der Toten in Russland immer noch aktiv ist und neue Anhänger findet, freut ihn aber. Er bekommt immer wieder Bilder von Aktionen aus Städten, in denen sie nichts annonciert hatten. Wer die Menschen sind, die sich dort mit Totenmaske und Plakat aufstellen, weiß er nicht. Auch das mache die Partei der Toten aus, sagt Jestropow. Besonders freut ihn, dass Menschen in der Ukraine die Aktionen verfolgen und sich bei ihm bedanken.

Im November rief die Partei der Toten die Nekrointernationale aus, die sich über die ganze Welt erstrecken soll. Für einen Russen sei es zwar merkwürdig, in der aktuellen Situation über eine Internationale zu reden, dennoch will die Partei ihre Art des Protestes weiter in die Welt hinaustragen. In einer Zukunft nach dem Krieg kann sich Jewstropow vorstellen, nach Russland zurückzukehren und aus dem Performance-Projekt eine richtige Partei zu machen. Im Video zur Gründung 2017 sagte er: »Wählt die Toten, denn wir sind die Mehrheit.« Eine Wahl gewinnen wird die Partei nicht, aber ein halbes oder ganzes Prozent sei sicher drin, ist Jewstropow überzeugt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.