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Nigeria: Rechne niemals mit Strom

Stromausfälle, Bargeldmangel und Benzinknappheit machen den Nigerianern das Leben schwer

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Dauerproblem ist ungelöst, zwei akute Probleme kamen hinzu. Auf durchgehende Stromversorgung kann man sich in Nigeria seit Jahrzehnten nicht verlassen, wer es sich leisten kann, hat einen privaten Stromgenerator zu Hause. Das Akronym der staatlichen Energiebehörde Nepa wird nicht von ungefähr mit »never expect power anytime« (Rechne niemals mit Strom) landläufig umschrieben. Knapp werden kann in Nigeria freilich auch Benzin oder Diesel für den Stromgenerator: Obwohl das Land nach wie vor Afrikas größter Erdölexporteur ist, fehlt es an Kraftstoffen. Denn das Land verfügt über keine einzige funktionierende Raffinerie mehr, da die vier staatlichen Raffinerien inzwischen marode sind und brachliegen. Deswegen muss das westafrikanische Land seinen Benzinbedarf fast vollständig über teure Importe decken. Zudem ist die Ölproduktion selbst auf einen historischen Tiefstand gesunken und beträgt nur noch rund eine Million Barrel am Tag. Vor der Pandemie waren es noch 1,8 Millionen Barrel.

Just vor den Wahlen bildeten sich in vielen Teilen des Landes Schlangen von Menschen, die stundenlang auf Geld und Kraftstoff warteten, da Bargeld und Benzin akut knapp sind. Seit rund einem Jahr gibt es regelmäßig nicht ausreichend Benzin. Hinzu kommt, dass seit einigen Wochen nicht mehr genug Bargeld im Umlauf ist.

Nigerias Zentralbank hatte im Herbst angekündigt, die Scheine in den höchsten Werten von 1000 (circa 2 Euro), 500 und 200 Naira zu ersetzen. Erklärtes Ziel der Reform war es, Fälschungen und Geldwäsche bis hin zur Finanzierung von Terrorismus rund um die Sekte Boko Haram im Norden zu erschweren und der Zentralbank mehr Kontrolle über das im Umlauf befindliche Geld zu geben – mitunter auch, um dem in Nigeria weit verbreiteten Kauf von Wählerstimmen einen Riegel vorzuschieben. Dass US-Dollar bei den Wählern beliebter sind, wurde geflissentlich ignoriert.

Die Banken kommen seit Wochen der Nachfrage nach neuen Scheinen nicht hinterher. Viele Händler nahmen schon vor Ablauf der auf den 10. Februar verlängerten Umtauschfrist keine alten Scheine mehr an, weil sie befürchteten, auf dem Geld sitzen zu bleiben. Und wer altes Bargeld auf sein Konto gutschreiben ließ, schaut nun oft doppelt ins Leere: In der eigenen Geldbörse und in den Geldautomaten fehlt es an Scheinen.

Die Zentralbank beharrt darauf, ausreichend Banknoten gedruckt zu haben. Schuld an der Knappheit seien Gier und Korruption – etwa bei Bankmitarbeitern, die das Geld horteten, um aus der Verknappung Profit zu schlagen. Tatsächlich lassen sich auf dem Schwarzmarkt illegale Geldhändler die neuen Scheine abkaufen – für einen deutlichen Aufschlag. Zentralbankchef Godwin Emefiele sprach sich gegen die einstweilige Verfügung des Obersten Gerichts aus, das Auslaufen der alten Banknoten bis zu einem Urteil auszusetzen, und befeuerte damit die Bargeldkrise weiter. Erst am 3. März will das Oberste Gericht befinden, wie es mit der Gültigkeit der alten Naira-Scheine weitergeht. Deshalb bleibt es bei der Unklarheit, welche Scheine als Bargeldmittel aktuell (noch) akzeptiert sind und welche nicht.

Zuletzt haben sich die Benzin- und Bargeldkrise gegenseitig potenziert. Wurde vor wenigen Wochen noch auf typisch nigerianische Art lakonisch über die schleppend umgesetzte Bargeldreform gescherzt, bestimmen heute Chaos und Tumulte die Lage – bis hin zu Brandanschlägen auf Bankfilialen im ganzen Land; Medien berichteten in diesem Zusammenhang von drei Toten. Rund 60 Prozent der Nigerianer haben in ländlichen Gebieten, in denen es oft keine Bankfilialen oder Geldautomaten gibt, kein Bankkonto, und diejenigen, die eines haben, können nicht auf ihre Ersparnisse zugreifen, weil die Banken oft geschlossen sind.

Der Mangel an Bargeld und Benzin droht auch den Wahlprozess zu gefährden. Die Unabhängige Nationale Wahlkommission Nigerias warnte, dass Treibstoff- und Bargeldknappheit die Bezahlung des Logistikpersonals und den Transport der für den Wahlgang benötigten Materialien beeinträchtigen könnten.

Für Nigerias darbende Bevölkerung sind das keine guten Nachrichten, zumal die Wirtschaft ohnehin schwächelt. Im Jahr 2022 stieg die Inflation zehn Monate in Folge. Im Februar 2023 erreichte sie immer noch beachtliche 21,8 Prozent. Aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten haben viele Familien Mühe, über die Runden zu kommen, und die lokalen Medien bezeichnen die Situation als »katastrophal«.

Wie in vielen afrikanischen Ländern haben es Hochschulabsolventen schwer, einen formellen Job zu finden, der auch nur ansatzweise ihrer Qualifikation entspricht. Jüngste Zahlen des nationalen Statistikamtes zeigen, dass 33 Prozent der Bevölkerung arbeitslos sind – bei den jüngeren Erwachsenen sind es sogar 42,5 Prozent. Dass vom Ressourcenreichtum nichts nach unten durchsickert, ist offensichtlich. Vier von zehn Nigerianern leben unterhalb der Armutsgrenze und »haben keinen Zugang zu Bildung und grundlegender Infrastruktur wie Strom, sauberem Trinkwasser und verbesserten sanitären Einrichtungen«, so die Weltbank.

Auch wenn diese Probleme neben der Sicherheit im Zentrum vieler Wahlkampagnen stehen, sind viele Nigerianer skeptisch, ob der Wahlsieger tatsächlich in der Lage sein wird, sie zu lösen. Fast 40 Prozent der registrierten Wähler sind unter 34 Jahren alt, was den Wahlleiter Mahmood Yakubu veranlasste, von der »Wahl der jungen Leute« zu sprechen. Wie viele der 87 Millionen registrierten Wähler sich überhaupt aufraffen, ihre Stimme trotz Frustration über die Lage abzugeben, bleibt offen und trägt zur Spannung bei. Es könnte wahlentscheidend sein.

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